Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2011

Bewaffnete Konflikte mit Todesfolge vor Gericht. Berlin 1929 bis 1932/33

Köln: PapyRossa, 2011, 154 S., 14 Euro
von  Johannes Fülberth
Schon lange gilt es unter linken und bürgerlichen Antifaschistinnen und Antifaschisten als ausgemacht, dass die Justiz der Weimarer Republik in krasser Weise auf dem rechten Auge blind war. Tatsächlich hatte es die Republik versäumt, Richter- und Staatsanwaltschaft nach dem Novemberumsturz 1918 zu erneuern. Es gab zwar einen Republikanischen Richterbund, dem aber nur wenige Richterinnen und Richter angehörten. Die meisten gehörten zum Deutschen Richterbund, der offiziell als politisch neutral galt, inoffiziell aber monarchistisch und deutschnational ausgerichtet war.
Fast alle Richterinnen und Richter der Weimarer Republik waren in der Kaiserzeit in ihr Amt gekommen. Da dieser bürgerlich-demokratischen Republik nur 14 Jahre beschieden waren, änderte sich daran bis zu ihrem Ende aller Wahrscheinlichkeit nach nicht viel. Das Gleiche gilt für Militär und Polizei, wenn es auch bei Letzterer vor allem im sozialdemokratisch-liberal-zentrumskatholisch regierten Land Preußen Demokratisierungsbemühungen gab, die aber letztlich vergeblich blieben.

Die politische Einseitigkeit der Justiz kann für die Anfangsjahre der Weimarer Republik als bewiesen gelten. Freikorpsangehörige, oft ehemalige kaiserliche Offiziere, konnten bei den ihnen politisch und gesellschaftlich nahe stehenden Richtern auf Verständnis und milde Urteile hoffen. Wie sieht es aber mit der Endphase der Weimarer Republik aus? Ist die Annahme berechtigt, dass die Lebensdauer der Republik zu kurz war, um an der Einstellung der Richterschaft etwas zu ändern?

Dieser Frage geht Johannes Fülberth nach, indem er 18 Fälle aus Berlin in den Jahren 1929 bis 1933 analysiert. Bei allen Fällen handelt es sich um Auseinandersetzungen zwischen Nazis einerseits und entweder kommunistischen oder – seltener – sozialdemokratischen Antifaschistinnen und Antifaschisten andererseits, bei denen Menschen ums Leben kamen.

Fülberth analysiert die Fälle mit angenehmer Sachlichkeit. Für ihn steht das Ergebnis in Bezug auf die Richterschaft nicht von vornherein fest. An seiner Parteilichkeit für die antifaschistische Sache entsteht dabei kein Zweifel. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Milde gegenüber rechten Gewalttätern und die übertriebene Härte gegenüber linken Angeklagten nicht mehr ganz so skandalös waren wie in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, aber sie war durchaus noch vorhanden. So beurteilten die Richter einen waagerecht quer über die Straße abgegebenen Schuss aus einem Jagdgewehr, den ein NSDAP-Mitglied aus seiner Wohnung abgab und der einen Menschen tötete, als «Warnschuss».

Fülberth fasst das Ergebnis seiner Untersuchung so zusammen: «Von einer Gleichbehandlung der Täter war in vielen Prozessen nichts zu spüren. Auch die Prozesse wegen Tötungsdelikten stellen sich oft nur nach außen hin als ‹normale› Strafverfahren dar. Ihr politischer Gehalt erschließt sich erst nach sorgfältiger Analyse. Es kann zwar nur in einigen Fällen von offen parteiischer Willkürjustiz gesprochen werden, aber die nationalsozialistischen Angeklagten trafen wesentlich häufiger auf richterliches Verständnis, als dies kommunistische Beschuldigte je hätten für sich erhoffen können.»

Johannes Fülberth ist ein ebenso sachliches wie spannendes Buch gelungen, das all jenen empfohlen sei, die sich für die Ursprünge des deutschen Faschismus und für die undemokratischen Traditionen der deutschen Justiz interessieren, die ja auch nach 1945 in der BRD ohne echten Bruch weiterarbeitete. Zu beiden Themen liefert das Buch einen interessanten Beitrag.

Andreas Bodden

 

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.