Zur Debatte um die Titelseite der jungen Welt und die Reaktionen in SoZ 8-9/2011
Noch nach 20 Jahren sorgen pointierte (besser: einseitige) Positionen zur DDR wie sie in der jW oder auch im «Offenen Brief» zum Ausdruck kamen, der als Antwort darauf von der SoZ dokumentiert wurde, für heftige Kontroversen in der Linken. Auch die SoZ-Redaktion hat Leserzuschriften erhalten; wir sind dankbar dafür und veröffentlichen sie gerne an dieser Stelle. Gilt doch: Erst wenn wir einen breiten Konsens erreichen (und mehrheitsfähig machen), wie unsere Alternative zum herrschenden Katastrophensystem aussehen soll, ist die DDR wirklich Vergangenheit.
Hass auf die DDR
von Edeltraut Felfe
Zum «Offenen Brief» von Renate Hürtgen und anderen vom AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost/West
Um es vorweg zu nehmen: Die Titelseite der jungen Welt am 13.August 2011 findet nicht meinen Beifall. Aber eine Reaktion wie in dem «Offenen Brief» stößt mich ab.
Wie sollte er Menschen ansprechen, gemeinsam etwas gegen die menschenverachtende, Hass gegen andere Menschen säende kapitalistische Gesellschaftsordnung zu tun? Der Brief scheint nicht von diesem Grundanliegen Linker, sondern von Hass auf die DDR, auf alle, die dort etwas verantwortet haben, auf alle, die sie heute nicht in Bausch und Bogen verdammen, diktiert zu sein. Mit ihm war offensichtlich keine auf Analyse der jeweils konkreten Verhältnisse beruhende Kritik und keine auf die Zukunft gerichtete produktive Sachdiskussion beabsichtigt.
In der SoZ wurde gelegentlich der Versuch dazu unternommen. Hier nur soviel: Der «reaktionäre Rand der Linken» sammelt sich nicht um die junge Welt, sondern sie ist vor allem die konsequent antikapitalistische deutsche Tageszeitung und deshalb nicht rückwärtsgewandt, sondern progressiv.
Dieser Antikapitalismus der jW sei ausdrücklich nicht ihr Kampf, betonen die Verfasser des Offenen Briefes. Welcher dann? Und kann eine tatsächliche Alternative zum Kapitalismus ohne Vergesellschaftung des großen machtgebenden Produktiv- und Geldvermögens gedacht und gesucht werden? Und können dann Antikapitalisten auf deutschem Boden tatsächlich nur «Mythen über ‹Errungenschaften› der SED-Diktatur» und «Propagandalügen», die den «heute Herrschenden in Nichts nachstünden», finden? Stimmte nichts von dem, was die jW am 13.August an Gutem in der DDR für Bevölkerungsmehrheiten benannt hat? Und müssen Antikapitalisten nicht solidarisch Ursachen dafür und Ursachen für das Scheitern des sozialistischen Versuchs aufarbeiten?
Hass verzerrt die Züge, lässt widerliche Worte wählen, führt zu bestimmten Gleichsetzungen von «reaktionärem Rand» am linken und am rechten politischen Spektrum der Parteien und landet mit dem Boykottaufruf gegen die junge Welt» bei den Verteidigern des Kapitalismus jeglicher Couleur. Mit diesem «Offenen Brief» wird kein Beitrag für ein linkes Presseorgan geleistet, wie es Angela Klein in ihrem Artikel zum selben Thema für dringend nötig hält.
Es ist alles gesagt
von Herbert Steffes
Es gibt wohl kaum einen Linken, welcher Art auch immer, der die real existiert habende DDR noch gut findet oder gar zurück haben möchte. Sahra Wagenknecht hat einen langen Weg zurückgelegt, um zu einer nüchternen Bewertung zu kommen.
Für Linke heute, gleich ob aus dem Westen oder dem Osten der heutigen BRD, gibt es keinerlei Grund, Jahrzehnte nach der Staatsgründung, nach dem 13.August oder nach dem Zusammenbruch und Anschluss der DDR sich positiv oder negativ zur DDR zu artikulieren: es ist alles gesagt. Ich springe schon lange nicht mehr über Stöckchen, die mir hingehalten werden. Haben sich CDU, CSU, FDP und die anderen reaktionären Parteien der BRD jemals von den alten Nazis in ihren eigenen Reihen distanziert?! Eben. Gleiches Recht für alle.
Zur DDR: Die Kommunisten/Sozialisten in der SBZ, dann DDR, hatten fast keine Chance, doch sie waren bemüht, sie zu nutzen: Sie, die gerade dem Nazireich entronnen waren, Gefängnis, «Z», KZ, Gefangenschaft (und die Wehrmachtsoldaten wussten, wie sie in Russland gehaust haben – viele hatte vermutlich ein schlechtes Gewissen) und die ewige Angst vor Denunzianten und Gestapo überstanden hatten, wollten/sollten eine neue Gesellschaft aufbauen. Ohne die kleinste Regierungserfahrung, gegen eine feindliche, zumindest aber unwillige, gewiss aber unerfahrene Bevölkerung, unter dem Schutz der Sowjetarmee das Banner des Kommunismus für die neue Zeit hissen? Es gab Aufgaben, die leichter zu erfüllen waren. (Ich vermute, der Antikommunismus aus der Weimarer Zeit und dem Nazireich war noch sehr lebendig.)
Walter Ulbricht war gewiss doktrinär und extrem misstrauisch – aber wie viele treue Kommunisten haben im Hotel Lux jeden Morgen darauf gehorcht, wo die Stiefelschritte des NKWD anhielten? Das waren Erfahrungen, die sich nicht so leicht auflösen ließen – sie mündeten, ohne noch mehr ins Einzelne zu gehen, in Furcht vor denkenden Mitgenossen, in Misstrauen, vermutlich auch in Angst vor dem eigenen Versagen. Die Institution Stalin will ich gar nicht weiter anleuchten: Alles zusammen waren die Gründungsbedingungen und -voraussetzungen in SBZ und DDR denkbar schwierig: Herkules hätte vielleicht eine größere Chance gehabt.
Ist sich irgend jemand von den heutigen, ach so klugen, Linken/Sozialisten (oder was auch immer sie zu sein meinen) eigentlich dessen auch nur ein wenig bewusst? Sich heute, unter den machtvollen «Bajonetten» des übermächtigen Klassenfeindes zu distanzieren... das kann jeder kleine Scheißer, jeder Mitläufer, jeder Opportunist. Doch jede dieser Distanzierungen schädigt unsere eigene Sache – auf lange Zeit, auf eine Zeit, die sich dehnen wird bis an die Grenzen der Unendlichkeit.
Ja, was unsere Sache angeht, ihre Chancen in der Zukunft (die Gegenwart überspringe ich schon mal), da bin ich ausgesprochener Pessimist. Warren Buffet war es, der kürzlich richtig verkündete: «Es ist Klassenkampf – und wir werden ihn gewinnen!» Das genau bringt es auf den Punkt: Wir, die gewöhnlichen kleinen, namenlosen Sozialisten, sind Nichts(e) und Niemand(e).
Doch bei «uns» also gibt es Leute, die fechten immer wieder die Kriege der Vergangenheit aus, bis zum Erbrechen – und die Anderen siegen und siegen. Die Trotzkisten lernen es nicht, die DKP torkelt, sogar Robert Steigerwald sieht die DDR heute anders als vor 1990, nur Gunter Ackermann ist sich treu geblieben... Die LINKEN? Peinlich, aber nicht untypisch in ihrer heutigen Zerrissenheit. So wird das alles nix, garnix.
Modell Sozialismus? Gewiss doch! Mit freien, denkenden Individuen, die – wieder – über Gemeinschaftssinn verfügen, die nicht nur den Begriff Solidarität kennen, sondern damit sogar etwas anfangen können – der Zukunft zugewandt. Ja, die Kommunisten und Sozialisten hatten prächtige Lieder – wäre doch davon nur ein klein wenig im Bewusstsein der so viel zitierten Massen hängen geblieben. Doch zu viele SED- und DDR-Funktionäre waren miese Opportunisten, die die Sache, die wohl nicht ihre eigene war, kaputt gemacht haben.
Und ich selbst? Kein Kommunist, kein Nachbeter, in langen 42 Jahren aktiver Sozialdemokrat – und nach dem zweiten Schröder’schen Wahlsieg endlich ausgetreten. Nur... das politische Maul halten... das will und kann ich immer noch nicht. Denn: Ich lebe noch.
Das Fehlen von Sozialismus ist die Grundbedingung der Mauer
von Sebastian Gerhardt
Nachstehender Beitrag war Bestandteil der Debatte in der Bildungsgemeinschaft SALZ und ist in voller Länge nachzulesen unter
Die Blattlinie [der jW] zum 13.August 1961 lautet: Es war zwar vielleicht nicht schön, aber es hat den Frieden gerettet, die westliche Aggression aufgehalten, in der DDR viele nette Dinge ermöglicht und war daher gerechtfertigt.
Mit den Tatsachen hat das nichts zu tun. Die vermeintlich gestoppten westlichen Aggressoren hatten zuvor bereits klar gesagt, wo ihre Einflusssphäre beginnt – und endet: beim ungehinderten Zugang der Westalliierten zu Westberlin.
Die Instabilität, die das Politbüro der SED und das Politbüro der KPdSU 1961 loswerden wollten, war eine innere Angelegenheit der DDR. Hunderttausende haben sich an die Freiheit der kleinen Leute gehalten: Wenn man schon nichts zu sagen hat, will man dafür wenigstens anständig bezahlt werden – und gingen deshalb in den Westen. Das Fehlen von Sozialismus ist die Grundbedingung der Mauer.
Und deshalb waren die Genossen auch immer sehr empfindlich, wenn es um die Gründe ging, weshalb Menschen die DDR verlassen wollten. Wer darauf hinwies, dass es wohl innere Gründe dafür geben müsse, der wurde rasch und nachhaltig über die Grenzen des in der DDR politisch Korrekten belehrt. [...]
Was mit der Mauer gesichert wurde, war die Herrschaft der Politbürokratie. Und deshalb ist auch aus den Hoffnungen, man könne nach 1961 ungestört vom Westen so richtig den Sozialismus aufbauen, nichts geworden. Denn ein wesentliches Hindernis für eine sozialistische DDR ist mit dem Mauerbau im wahrsten Sinne des Wortes befestigt worden: die Stellung der SED-Führung.
Die Kontrolle über die eigene Bevölkerung sollte intakt bleiben: Deshalb wurde an der DDR-Grenze geschossen, und zwar nicht auf «den Klassenfeind». Die «Mauerschützenprozesse» der 90er Jahre haben wie wenige andere Verfahren zur offiziellen Delegitimierung der DDR beigetragen. Soweit da noch etwas zu delegitimieren war. Selbst die DDR hat sich der von den Grenztruppen an der Mauer getöteten Menschen so sehr geschämt, dass sie darüber möglichst geschwiegen und sonst gelogen hat – bis 1989. Wer dafür heute «Danke» sagt, der bekennt sich zu tödlicher Repression. [...]
Eine Repression, die selbst nach dem DDR-Recht, das in den Mauerschützenprozessen herangezogen wurde, keine Grundlage hatte. Tatsächlich mußte niemand an der Grenze jemanden totschießen. Wer sich mit seiner Waffe auskannte, hat nicht nur korrekt Einzelfeuer eingestellt – wie es auch Vorschrift war – sondern sicherheitshalber ein gutes Stück daneben gehalten. Das haben auch viele Grenzsoldaten gemacht. Dazu brauchte man kein moralphilosophisches Seminar oder eine völkerrechtliche Ausbildung. [...]
Aber solche Geschichten werden nicht gerne gehört, da redet die Redaktion der jungenWelt – genau wie ihre Freunde in der DKP oder in der LINKEN – lieber von «Berufsbetroffenen» und schimpfen über Heuchelei und Antikommunismus. Doch was heißt das? Kommunismus ist kein eingetragenes Warenzeichen [...]
Ich war 1989 Unteroffizier und Aufklärungsgruppenführer der Nationalen Volksarmee der DDR, habe Leute an Waffen ausgebildet – und wie man sie richtig einsetzt. Ich habe an der DDR einiges verteidigenswert gefunden. Aber ich war nie bereit – wie die meisten Leute, im Herbst 1989 selbst Offiziere – den Staat DDR gegen die eigene Bevölkerung zu «verteidigen».
Was bleibt von der DDR?
von Thies Gleiss
Der Versuch der jungen Welt, den Jahrestag des Baus der Berliner Mauer für eine provokative, vielleicht auch satirische Zeitungsstichelei gegen den publizistischen Mainstream zu nutzen, ist reichlich daneben gegangen. Statt den bigotten Charakter der bürgerlichen Siegerjournaille und den grotesken Antikommunismus der Einheitspartei aus CDU, SPD, FDP und Grüne aufzuspießen, kam eine ziemlich kindische Lobhudelei der DDR heraus.
Auch wenn die alte Feststellung von Robert Havemann, die DDR sei der bessere der beiden deutschen Staaten, aus bestimmter Perspektive völlig richtig war, so war dennoch das Beste an der DDR, dass die eigene Bevölkerung die Herrschaft einer spießigen, autoritären und bürokratischen Elite abgeschüttelt und auf den Misthaufen der Geschichte geworfen hat. Ein Vorgang, der sowohl im alten Westdeutschland ausblieb, als auch im Gesamtdeutschland erst noch geschehen müsste.
Die Tage im November 1989 waren in Ablauf und Ergebnis ganz sicher eine Revolution, die einen Staatsapparat in die Knie zwang, aber wir wissen, dass auch diese Revolution, und schneller noch als andere, ihren Trägern gestohlen und in eine reaktionäre Restauration des Kapitalismus und in eine ideologische Säuberung und Uniformierung verwandelt wurde, bei der die alten Einheitssozialisten und Erziehungsdiktatoren der SED-Bürokratie vor Neid erblassen lassen könnten.
Art und Weise des Untergangs der SED-Herrschaft und der kapitalistischen Restauration hat zum Leidwesen der deutschen Bourgeoisie jedoch ein ungewolltes, aber dennoch ziemlich lebendiges Relikt hinterlassen: die PDS als Partei mit Massenhang und parlamentarischer Präsenz im Osten, in einem Gesamtdeutschland, das sich seit den 50er Jahren endgültig vom Kommunismus befreit wähnte.
Schlimmer noch: Diese PDS verbündete sich mit der Neugründung WASG zur LINKEN und veränderte die politische Landschaft im antikommunistischen Musterländle mit einer linken, antikapitalistischen Massenpartei.
An der LINKEN ist bis heute sicherlich einiges zu kritisieren, anderes läuft auch schon gefährlich in die falsche Richtung, aber sie ist und bleibt die einzige Partei, die unabhängig von Siegermentalität und zynischer Besserwisserei die Lehren aus SED-Stalinismus und Sozialdemokratismus nicht nur abstrakt theoretisch, sondern als praktisch handelnde Kraft, aufarbeiten und als Basis für eine neue radikale sozialistische Massenpartei im Hegel’schen Dreifachsinn aufheben kann – und muss!
Mit Blick auf diese «historische» Aufgabe der LINKEN wird die nostalgische Muppetshow der jungen Welt (die an diesem Tag besser «alte Welt» heißen sollte) zu einem echten Ärgernis. Es mehren sich in der LINKEN die Wiedergänger des spießigen Sozialdemokratismus, die immer wieder die Karte des Antikommunismus ziehen, und sei es nur, um innerparteiliche Postenkonkurrenzen auszutragen. Diese «Rechtstendenz» in der LINKEN wird prächtig befeuert, wenn eine linke Zeitung meint, Aufarbeitung der DDR-Erfahrung sei gleichbedeutend mit dem Schwenken der alten Symbole. Ein Bärendienst aus Bärlin also, gerade für die Linke in der LINKEN.
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