Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2011

von Angela Klein

Nun verhängt auch die Kanzlerin Maulkörbe. Ihr Wirtschaftsminister darf nicht sagen, was jeder denkt: Dass Griechenland zahlungsunfähig ist und Rezepte, die so tun, als sei das nicht so, alles nur noch schlimmer machen können. Die Regierung ist dabei, eine Bataille zu verlieren, da ist Maul halten die erste Bürgerpflicht. Weil die Finanzmärkte sonst noch nervöser werden und die Aktien noch rasanter in den Keller fahren könnten, als es ohnehin schon der Fall ist.

Wenn es nur Rösler beträfe, könnte man ja noch schmunzeln. Am 29.September aber wird vom Bundestag ein ganz anderes «Maul halten» verlangt. Da geht es um das zweite große sog. «Rettungspaket für Griechenland». Der Bundestag stimmt dann nicht nur über höhere Kreditgarantien ab, er beschließt auch die damit verbundene Einführung einer sog. «Wirtschaftsregierung» nach Art der liberalen Rechten (siehe S.12 und 13).

Künftig muss jedes Land der Eurozone seinen Haushalt, noch bevor das Parlament darüber entscheidet, der EU-Kommission zur Prüfung vorlegen, über seine Einnahmen und Ausgaben kann es nur noch dann frei verfügen, wenn es strikt die Schuldengrenzen des Stabilitätspakts einhält. Welche Regierung kann das aber noch, wenn rundherum auf dem Globus die Weltwirtschaft zusammenbricht? Wenn alle Staaten der sog. Ersten Welt hoffnungslos überschuldet sind?

Einen stillen Staatsstreich nennt Klaus Dräger diese Wirtschaftsregierung (siehe S.5). Das wichtigste, ureigenste parlamentarische Recht, das Haushaltsrecht, wird damit nämlich ausgehebelt. Griechenland hat die Entscheidungsgewalt über die Aufbringung und Verwendung seiner Mittel schon verloren. Im vergangenen Jahr unkte EU-Kommissionschef Barroso, in den Ländern Südeuropas könnte die Demokratie verschwinden. Dafür werden jetzt die Voraussetzungen geschaffen. Und Deutschland wird dann keine Insel bleiben.

Der Bundestag – wie auch die Parlamente der anderen Euro-Länder – beugt sich den Forderungen der Finanzwelt, weil er sich vormacht, irgendwann könnten die Schulden bezahlt sein – wenn Deutschland nur «ordentlich wirtschaftet» – also bei den Sozial- und Gemeinschaftsaufgaben streicht und den Reichen weiter fleißig Geld und Vermögenswerte zuschaufelt.

Wie aber soll das gehen, wenn die Bundesregierung seit 2008 jährlich mehrere hundert Milliarden Euro für die Stabilisierung der Finanzmärkte (und die Sicherung des Absatzes der Konzerne) ausgibt – ohne ein absehbares Ende, weil die richtige Rezession erst noch auf uns zurollt?

Im Gegensatz zu den Staaten und dem Normalverbraucher haben die Banken kein Interesse daran, Schulden loszuwerden. Daran verdienen sie doch. Je mehr die Gewinne aus der sog. Realwirtschaft ins Wanken geraten, desto sicherer wird das Geschäft mit den Schulden. Schuldknechtschaft, wie sie sich in der Schuldenbremse ausdrückt, ist ein fantastischer Hebel, den Banken permanente Gewinne zu garantieren. Die sog. «europäische Wirtschaftsregierung» ist nichts anderes als der Weg in die permanente Schuldknechtschaft, weil sie den absoluten Vorrang des Schuldendienstes vorschreibt.

Die Banken verdienen an den Zinsen, nicht an der Tilgung. Wenn ihnen keine Vorschriften gemacht werden, können sie die Zinsen so hoch schrauben, wie «der Markt» es eben hergibt. Das tun sie gerade lustvoll an verschiedenen Stellen, jede Verkündung einer Ratingagentur, ein Land mal wieder herabzustufen, befördert die Soll-Zinsen nach oben. Die konservativ-liberalen Regierungen aber, die fast überall in der Eurozone im Amt sind, brüsten sich damit, dass sie der Finanzwelt keine Vorschriften mehr machen. Das ist, mit Verlaub, Beihilfe zum Wucher.

Griechenland könnte seinen Schuldenberg längst reduziert haben, wenn die EZB der griechischen Regierung Staatsanleihen aus eigenen Mitteln (Vermögenspositionen, Steuermittel u.a.) bereit gestellt hätte. Griechenland hätte sich damit aus dem Schraubstock der Kapitalmärkte lösen können. Genau das aber hat die EZB nicht getan. Das Geld, das für Griechenland gedacht ist, nimmt sie selber auf dem Kapitalmarkt auf und stellt es den Banken zur Verfügung, die es dann zu ihren Bedingungen an Griechenland weiterreichen. Daran haben sich die Banken in den vergangenen zwei Jahren eine goldene Nase verdient (siehe ebenfalls die Grafik auf S.1). Umgekehrt tauscht die EZB den Banken schlechte Anleihen gegen gute – d.h. sie nimmt den Hohepriestern des Unternehmerrisikos eben dieses ab und überträgt es auf die Steuerzahler.

In der Welt der Kapitalbesitzer wird ein heftiger Streit darüber ausgefochten, ob ein anderer Staat Griechenland überhaupt helfen darf, ob die Einzelstaaten darüber entscheiden sollen, oder ob das eine Gemeinschaftsaufgabe der EU werden soll. Die Schlagworte dafür sind «mehr» oder «weniger Europa». Doch es sind Nebelkerzen. Dieser Streit wird zwischen denen ausgetragen, die in jedem Fall die Bedienung der Bankeninteressen für vorrangig halten. Für all jene aber, deren Spareinlagen höchstens für die Altersvorsorge reicht, und das ist immer noch die Mehrheit der Bevölkerung, ist die zentrale Frage: Kann es angehen, dass Staaten sich zum Erfüllungsgehilfen einer kleinen Kaste von Privilegierten machen? Dass sie zu privaten Pfründen werden? Das wäre die Rückkehr zu einem Feudalismus neuen Typs.

Es wird jeden Tag deutlicher: Der erste Schritt heraus aus der sog. Schuldenkrise ist die Verstaatlichung der Banken und ihre Beschränkung auf eine dienende Funktion gegenüber der Wirtschaft.

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