Das Management der sog. Eurokrise und das Bemühen der EU-Institutionen, um jeden Preis die Stabilität des Euro zu bewahren, stellen eine Haupttriebkraft für die Errichtung einer «europäischen Wirtschaftsregierung» dar. Dieser Prozess hat unterschiedliche Phasen durchlaufen.
Vorbild «Osteuropa-Rettung»
Der Prototyp der EU-Intervention in Zahlungsbilanzkrisen wurde 2008/09 entwickelt, als die Große Krise einige Länder Osteuropas an den Rand der Zahlungsunfähigkeit trieb. Damals stockte die EU den bestehenden EU-Fonds für nicht der Eurozone angehörende Mitgliedstaaten mit Zahlungsbilanzproblemen schrittweise von 12 auf 60 Mrd. Euro auf. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wurde mit ins Boot geholt, um Lettland, Rumänien und Ungarn strenge Sparmaßnahmen und «Strukturanpassungsprogramme» als Gegenleistung für gemeinsame Hilfskredite aufzudrücken.
Das erste Rettungspaket für Griechenland (110 Mrd. Euro im Mai 2010) folgte dem gleichen Schema. Davon wurden 80 Mrd. als bilaterale Kredite von Mitgliedstaaten der Eurozone bereitgestellt, die restlichen 30 Mrd. vom IWF. Der IWF forderte dafür 3% Zinsen, die EU-Länder 5%.
Neue Instrumente
Weil der «Rettungsschirm» für Griechenland die Finanzmärkte nicht beruhigte, die Risikoaufschläge für griechische, spanische und portugiesische Staatsanleihen vielmehr in die Höhe schossen, beschloss die EU, neue Fonds einzurichten: den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und den Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF). (Siehe Kasten)
Zusätzlich begann auch die Europäische Zentralbank (EZB), Staatsanleihen notleidender EU-Länder zu kaufen. Auf diesem Weg konnten die Banken, die den Löwenanteil an schlechten europäischen Staatsanleihen halten, diese zu ihrem Nennwert an die EZB verkaufen, obwohl ihr Marktwert inzwischen dramatisch gesunken war. Viele EU-Banken haben inzwischen den größten Teil ihrer griechischen Staatsanleihen so ohne Verluste abgestoßen.
Die neuen Euro-Rettungsfonds traten erstmals mit den Paketen für Irland und Portugal in Aktion: Irland erhielt im November 2010 aus dem EFSM 22,5 Mrd. Euro, dieselbe Summe vom IWF und 18 Mrd. Euro aus dem EFSF. Portugal erhielt im Mai 2011 jeweils 26 Mrd. Euro aus den drei Quellen.
Darüber hinaus beschloss der Europäische Rat die Einführung eines dauerhaften Euro-Stabilisierungsfonds: den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Er soll im Juni 2013 in Kraft treten und löst die beiden Vorläufer EFSM und EFSF ab.
Der ESM ist mit einem Gesamtkapital von 700 Mrd. Euro ausgestattet, woraus er bis zu 500 Mrd. Euro Kredite ausgeben darf. 80 Mrd. Euro zahlen die Mitgliedstaaten der Eurozone direkt ein, 620 Mrd. garantieren sie in Form von Kreditbürgschaften oder sicher abrufbarem Kapital.
Das ESM soll nur tätig werden, «wenn dies für die Stabilität der Eurozone als Ganze unumgänglich ist». Dafür ist ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rats erforderlich (Enthaltung oder Nichtteilnahme zählen nicht). Hilfskredite sind an «strikte politischen Auflagen» gebunden: ein makroökonomisches Strukturanpassungsprogramm und eine Schuldentragfähigkeitsanalyse. Für die Einrichtung des ESM soll Art.136 des Lissabon-Vertrags geändert werden.
Zahlungsunfähigkeit
Infolge der drakonischen Sparmaßnahmen, die EU und IWF beim ersten Rettungspaket verhängt hatten, war das griechische Sozialprodukt seit dem Frühjahr 2010 um 8,5% gefallen. Die Steuereinnahmen reichten deshalb nicht aus, um die Schulden ausreichend zu bedienen. Die griechische Regierung verzichtete zudem auf wirksame Maßnahmen, die Reichen zur Kasse zu bitten. Im Mai-Juni 2011 musste die Regierung Papandreou zugeben, dass Griechenland ein weiteres Rettungspaket benötigt, um einen Staatsbankrott abzuwenden.
In einer ersten Reaktion stellten EU und IWF eine weitere Kredittranche von 12 Mrd. Euro in Aussicht – und forderten im Gegenzug ein weiteres Sparpaket in Höhe von 28 Mrd. Euro. Doch schnell wurde klar, dass damit die Zahlungsunfähigkeit der Regierung nicht aufgehalten werden konnte.
Schulden«erleichterungen» – für wen?
Ein Sondergipfel des Europäischen Rats am 21.Juli beschloss deshalb, die Kreditvergabe aus dem EFSF und dem ESM künftig flexibler zu gestalten. Diese sollen erstens auch Anleihen von in Bedrängnis geratenden EU-Staaten aufkaufen dürfen, um die EZB zu entlasten. Zweitens sollen sie schon «vorsorgend» Kredite an Mitgliedstaaten zur Rekapitalisierung von Banken ausloben können, die noch nicht unter der Kuratel der Troika EU-EZB-IWF, aber unter dem Beschuss der Finanzmärkte stehen (wie Spanien, Italien, Belgien etc.). Die Empfängerländer müssen sich, wie gehabt, im Gegenzug zu strikter Sparpolitik und neoliberalen «Strukturreformen» verpflichten.
Ein zweites Rettungspaket für Griechenland in Höhe von 109 Mrd. Euro wurde verabschiedet. Es enthält:
–die Verlängerung der Fälligkeiten (auch aus dem ersten Rettungspaket) von 7,5 auf 15, bis zu 30 Jahren – mit einer zusätzlichen Gnadenfrist von zehn Jahren;
–niedrigere Zinsen (3,5% statt 5%) und nötigenfalls Mittel zur Rekapitalisierung der griechischen Banken;
–die (allerdings freiwillige) Beteiligung der privaten Gläubiger (Banken) an den Kosten der Umschuldung bis zu einer Höhe von 37 Mrd. Euro und ein Schuldenrückkaufprogramm über 12,6 Mrd. Euro für Griechenland.
Mit viel Getöse wurde ein «Marshallplan» für die Wiederbelebung der griechischen Wirtschaft angekündigt. Bei näherem Hinsehen besteht dieser aber nur aus Absichtserklärungen, bestehende Mittel aus den EU-Struktur- und Kohäsionsfonds sowie Programme der Europäischen Investitionsbank zügiger abzurufen und möglicherweise die Auflagen über die Höhe der nationalen Kofinanzierung der Programme zu lockern. «Frisches Geld» steht dafür nicht in Aussicht.
Die Auflagen für die griechische Regierung – Sparmaßnahmen und Strukturanpassungsreformen – bleiben unverändert. Die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF hat eine Task Force nach Griechenland entsandt, um «technische Hilfe» bei der Umsetzung der geforderten Reformen zu bieten. Zur Auszahlung der nächsten Tranche von Hilfskrediten wird über weitere Auflagen wie eine Ausweitung und Beschleunigung der Privatisierung öffentlichen Eigentums verhandelt.
Beteiligung oder Entlastung der Gläubiger?
Die 37 Mrd. Euro, mit denen sich private Gläubiger am zweiten Rettungspaket für Griechenland beteiligen können, sind Peanuts im Vergleich zu den 220 Mrd. Euro, die aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden.
Die Blaupause für diesen Teil des Rettungsplans lieferte das International Institute of Finance (IIF) unter Führung von Josef Ackermann von der Deutschen Bank. Angeblich sollen Banken und Finanzinvestoren insgesamt einen Forderungsverzicht von 21% des Nennwerts der von ihnen gehaltenen griechischen Anleihen beisteuern. Griechische Anleihen werden auf dem Markt allerdings derzeit zur Hälfte ihres Nennwerts gehandelt, viele Banken haben in ihren Bilanzen bereits eine Verlustabschreibung von 30% dafür vorgenommen.
So gesehen kommen die privaten Gläubiger sehr gut weg, mussten sie doch ansonsten Verluste von 50–60% befürchten. Das Hauptrisiko wurde voll auf die öffentliche Hand verschoben. Berechnungen von Ökonomen, die das Kleingedruckte beim vorgesehenen Anleihentauschprogramm der privaten Gläubiger analysiert haben, kommen auf einen Forderungsverzicht von 7–8%. Die Gesamtverschuldung Griechenlands würde mit der Umsetzung des zweiten Rettungspakets in den ersten Jahren sogar steigen, nicht abnehmen.
Eurobonds – eine neue Runde
Im Sommer verdichteten sich die Anzeichen für eine neue Phase der weltweiten Rezession, ausgehend von den USA. Turbulenzen an den Börsen und steigende Risikoprämien für Anleihen Spaniens oder Italiens folgten auf dem Fuß. Nur zwei Wochen nach dem EU-Sondergipfel am 21.Juli musste Kommissionspräsident Barroso deshalb feststellen, dass der Gipfel erfolglos geblieben war: «Was immer die Gründe dafür sind, es ist klar, dass wir es nicht länger nur mit einer Krise an der Peripherie der Eurozone zu tun haben.»
An den Finanzmärkten steigen die Erwartungen, dass die Politik neue Maßnahmen ergreifen wird, um eine mögliche Zahlungsunfähigkeit von Spanien oder Italien zu verhindern. Im Gespräch sind jetzt Eurobonds – als letzter Ausweg, nachdem diese zuvor stets vehement abgelehnt worden waren. Zunehmend rufen Stimmen aus der Finanzbranche – allen voran der Großspekulant George Soros – verzweifelt danach. Wo die Möglichkeiten für die Spekulation auf einen Crash bald ausgereizt scheinen, dürstet es die Anleger offenbar nach einem «sicheren Hafen».
Merkel und Sarkozy konnten sich auf ihrem Treffen Mitte August nur zu regelmäßigen Treffen der Regierungschefs der Euroländer, zur Aufnahme einer Schuldenbremse in die nationalen Gesetzgebungen nach deutschem Vorbild, zu einer Finanztransaktionssteuer und zu einer besseren Koordination der Steuerpolitik verstehen. Überdies soll künftig auch die Gewährung von Mitteln aus dem EU-Struktur- und dem Kohäsionsfonds an die Erfüllung der Auflagen für die Reduzierung der Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite gebunden sein.
Die Finanzmärkte waren enttäuscht, der Tanz auf dem Vulkan geht weiter. Europäische Banken halten 326 Mrd. Euro an italienischen Staatsschulden, 287 Mrd. an spanischen und 215 Mrd. an französischen Staatsschulden. Gerüchte über eine Schieflage französischer Banken wurden gestreut und Befürchtungen genährt, Frankreich gerate zusehends in den Strudel der Eurokrise.
Nur wenige Wochen nach dem letzten EU-Stresstest für Banken – «alles im grünen Bereich» – mahnte IWF-Chefin Christine Lagarde vor einer Unterkapitalisierung der EU-Banken von rund 200 Mrd. Euro. Ins gleiche Horn stieß der Chef der neuen EU-Bankenaufsicht EBA, Andrea Enria.
Die Banken trauen einander immer weniger, parken ihr Geld lieber bei der EZB, und so steigen die Befürchtungen, dass der Interbankenmarkt austrocknet und eine Entwicklung wie bei der Pleite von Lehman Bros. im Anrollen ist.
Wer sagte eigentlich, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise schon überwunden sei? Die Versuche der EU, mit immer größeren «Rettungsschirmen» (letztlich zugunsten der Banken) die Eurokrise einzudämmen und das «Vertrauen der Finanzmärkte» zurückzugewinnen, sind fehlgeschlagen.
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