Am 9.September 2011 haben wir unseren Freund und Weggefährten Hans-Werner Krauss verloren.
Hans-Werner hat für uns Geschichte geschrieben. Um diese Aussage zu verstehen, muss man sich in die Jahre der Auseinandersetzungen in der chemischen Industrie zurückversetzen. In den 60er/70er-Jahren war die Industriegewerkschaft Chemie Papier Keramik (heute IG BCE) auf dem linken Flügel innerhalb des DGB angesiedelt. Es gab – sicher auch beeinflusst durch die 68er-Proteste – haupt- und ehrenamtliche Funktionäre, die in den Betrieben etwas bewegen wollten, vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ausgingen und auch gesellschaftspolitisch und international für eine bessere Welt eintraten.
Ganz anders sah es in den meisten Großbetrieben der chemisch-pharmazeutischen Industrie aus. Dort regierten, gestützt auf betriebliche (nicht gewerkschaftliche) Vertrauensleute und in enger Anlehnung an ihre gut verdienenden Konzerne, Betriebsratsfürsten, die durch Gesamtbetriebsvereinbarungen über die von der Gewerkschaft erreichten Tarifverträge hinaus beachtliche Sozialleistungen vereinbarten und somit eine entsprechende Hausmacht konstituierten.
Der Widerspruch zwischen den aufmüpfigen Kräften in Betrieben und Apparat und den konservativen Betriebsrats-Aristokraten um Rolf Brand (Hoechst) und Hans Weber (Bayer) brach sich in heftigsten Auseinandersetzungen Bahn. Auf dem historischen Gewerkschaftstag 1980 in Mannheim stand die Position der «geräuschlosen Tarifpolitik» eines Karl Hauenschilds (Gewerkschaftsvorsitzender), formuliert als Gegenposition zur damals radikaleren IG Metall, der eines Paul Plumeyers (Mitglied im Hauptvorstand der IGCPK) – «die Gewerkschaft darf nicht zum roten Arm der Heilsarmee verkommen», «nehmt die Gewerkschaft wieder in Eure Hand» – unversöhnlich gegenüber.
In diesen Zeiten entstand der Chemiekreis, der den Ausgegrenzten Zusammenhalt und später auch eine Stimme verlieh... Der Chemiekreis war für uns eine Form, trotz aller Rückschläge und Verfolgung nicht aufzugeben und uns einen politisch eigenen Gestaltungsraum zu schaffen. Auf der betrieblichen Ebene bekamen die Kolleginnen und Kollegen, die für einen radikaleren Kurs der Gewerkschaft standen, die ganze Härte einer verbohrten Mehrheit zu spüren.
Bei der Hoechst AG in Frankfurt war es mit am schlimmsten. Die Arbeitgebernähe und Informationspolitik ihrer Betriebsratsfürsten war vielen Vertrauensleuten ein Graus. So verteilten Basisaktive am Werkseingang Flugblätter zu den Themen Gehaltsrahmenabkommen, Beurteilungen oder Disziplinarmaßnahmen des Arbeitgebers, jeweils mit kritischen Kommentaren und Positionen: «Kollegen in der IG Chemie informieren Kollegen im Betrieb».
Hans-Werner kritisierte offen und vernehmbar den Machtanspruch und Herrschaftsstil von Multifunktionär Rolf Brand: «Du bist keiner mehr von uns», sagte er ihm ins Gesicht.
Daraufhin wurden er und fünf weitere Kollegen im September 1976 wegen «unzulässiger Fraktionsbildung» aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Sie hätten «eine Art Machtergreifung auf schleichendem Wege» angestrebt. «Wir haben uns der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht», kommentierte Hans-Werner in seiner trockenen Art.
Auf Grund dieser Ausgrenzung und des immer arbeitgeberfreundlicheren Kurses des Betriebsrats traten 1981 die «Kollegen für eine durchschaubare Betriebsratsarbeit» bei Hoechst zur BR-Wahl an. Trotz übler Praktiken im Wahlkampf, wie der zwischen Betriebsratsvorsitzenden und Werksleitung vereinbarten Beschlagnahme von Flugblättern durch den Werkschutz, holten die Oppositionellen gleich 16%.
Racheakt
Um Hans-Werner als unbeugsamen Kritiker loszuwerden, schreckte man auch vor der fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit nicht zurück. Er hatte auf einer SPD-Versammlung gesagt, dass die Höchst AG «schon jahrelang in der Lage sei, die hessische Landesregierung mit dem Arbeitsplatzargument unter Druck zu setzen». Im Dezember nach dem Wahlerfolg stimmte der Betriebsrat der Kündigung zu. Hans-Werner habe «das Unternehmen diffamiert und nachhaltig den Betriebsfrieden geschädigt», begründete Rolf Brand, auch Mitglied im IG Chemie-Hauptvorstand, seine Zustimmung ...
Hans-Werner gewann alle Klagen in allen Instanzen, obwohl die Hoechst AG in unglaublicher Unverfrorenheit versuchte, sogar Einfluss auf das Gericht auszuüben. Nach zwei Jahren war Hans-Werner wieder drin. Während dieser Zeit ist ihm eine beeindruckende Solidarität zuteil geworden.
Es kamen die Jahre der Stilllegungen bei Höchst, dann der Zerschlagung der AG. Hans-Werner riss die Kollegen auf Betriebsversammlungen mit und organisierte Protest. Demonstrationen, Polizei und Beschlagnahme von Flugblättern sind einige Beispiele des Druckes durch AG und Gewerkschaft, unter dem konsequente betriebliche Akteure standen. Es sind aber auch Beispiele, dass man sehr wohl Beschäftigte mobilisieren kann, wenn man es will.
Hans-Werner hat nicht um des Streits willen gestritten. Es waren oft Themen von grundsätzlicher Bedeutung wie die Gesundheitsprobleme durch die Chemie, die Entlohnung, Schichtarbeit, aber auch das Wie und Was der Produktion, die ihn umtrieben. Auch in der Frage der Demokratie und Arbeitsweise in Betriebsrat, Gewerkschaft und der eigenen Gruppe hatte er strenge Prinzipien. Er hatte für diese heiklen Fragen einen Riecher.
Das spiegelte sich auch in unserer internationalen Arbeit wieder. Gefeuerte und verfolgte Gewerkschafter in anderen Ländern, aber besonders in Brasilien, erlebten seine Solidarität. Besonders hervorheben möchten wir die Unterstützung der MST, der Landlosenbewegung in Brasilien...
Chemiekreis und BaSo
Nach der Aufspaltung der Chemie- und Pharmakonzerne um die Jahrtausendwende war aus Sicht vieler Chemiekreisler die Orientierung auf die Branche und den Großbetrieb nicht mehr zeitgemäß. Aus diesem Grunde gründeten wir 2004 die Basisinitiative Solidarität (BaSo), deren Gründungsmitglied Hans-Werner war.
Hans-Werner war nicht allein. Er hatte Mitstreiter und Verbündete, ohne die sein Tun nicht so fruchtbar hätte sein können. Es gab auch Brüche und herbe Enttäuschungen auf seinem langen Weg. Seine polarisierende Art rief auch Widerspruch hervor. Dennoch war er eine herausragende Persönlichkeit, ein verlässlicher Freund. Er wurde nur 67 Jahre alt.
Hans-Werners Leben war dem Kampf für eine bessere Zukunft gewidmet. In diesem Sinne war er auch Sozialist. Er hat so manches Risiko auf sich genommen, um für seine Prinzipien einzustehen. Dafür bewundern wir ihn und danken wir ihm. Wir danken auch seiner Lebensgefährtin, die ihm die Freiheit und Unterstützung für seine Abenteuer nicht versagt hat...
Kolleginnen und Kollegen
des BaSo-Chemiekreises
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