von Edeltraut Felfe
Am 4.9.2011 hätten 1,4 Millionen Frauen und Männer einen neuen Landtag wählen können. Aber nur 51,4% haben ihr Recht genutzt. 2006 waren es noch 60 und zuvor stets mehr als 70 bis hin zu 80%.
Diese Botschaft aus einem Bundesland mit den niedrigsten Löhnen, einer der höchsten Arbeitslosen- und Armutsquoten und höchster Geldnot vieler Kommunen zeugt vor allem von Resignation. Nachdem das Land von allen größeren Parteien schon einmal regiert wurde, von 1998 bis 2006 auch von einer SPD-PDS-Koalition, schwindet das Vertrauen, dass durch Wahlen die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit verbessert werden könnten.
Damit hängt die zweite schlechte Nachricht zusammen: Die offen neofaschistische NPD hat in MV ihre Stammwählerschaft festigen können und ist mit 6% der Stimmen wieder im Landtag vertreten. In 14 Gemeinden haben zwischen 20 und 33% der Wähler für die Rassisten mit ihrer Hetze gegen «kriminelle Ausländer», «arbeitsscheue Griechen» und «Gefahren aus Polen» gestimmt. In MV ist der Anteil von Ausländern an der Gesamtbevölkerung mit 1,8% der weitaus geringste in der Bundesrepublik, also schlechte Erfahrungen mit «integrationsunwilligen Ausländern» konnten die Nazis gar nicht erfinden.
Zustimmung für die NPD gibt es nicht nur in verödeten Landstrichen, sondern auch in prosperierenden Badeorten auf der Insel Usedom. Offensichtlich geht es nicht mehr «nur» um Protestwähler, sondern Rassismus und Rechtsextremismus sind als Ideologie und Subkultur in unterschiedliche Milieus eingezogen. Dazu hat auch die staatsoffizielle Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus beigetragen, die mit Zustimmung der Linkspartei als «Extremismus» in der Landesverfassung verankert ist.
Indes feiert die SPD ihren Sieg. Mit 35,7% verzeichnete sie einen Zuwachs von 5,5%, etwa gleichviel wie die CDU als Koalitionspartner mit ihren 23,1% verloren hat. Die Sozialdemokraten hatten mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro, mit gemeinsamem Lernen bis zur 8.Klasse und mit deutlich verbesserten Lebensbedingungen für Kinder und Familien geworben. Der Ministerpräsident tritt für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und ein neues NPD-Verbotsverfahren ein. Mehrfach hat er sich gegen Pauschalverurteilungen der DDR gewandt.
Die Linkspartei hatte u.a. mit einem Mindestlohn von 10 Euro, flächendeckend staatlichen Schulen, einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und mehr Finanzzuweisungen an die Kommunen geworben. Auch vor diesen Wahlen ist sie kaum mit grundsätzlicher Kritik an kapitalistischen Grundstrukturen und dem Ursachenzusammenhang zu Nöten und Ängsten vieler Menschen aufgetreten. Und folglich nicht mit eigenständig linken Alternativen zur herrschenden Politik, die nur durch kämpferischen Aufbruch, durch Mobilisierung von unten und grundsätzliche Konfliktbereitschaft durchzusetzen sind.
Ein Bezug auf antikapitalistische Positionen im Entwurf des Parteiprogramms der LINKEN, etwa in der Eigentumsfrage, der u.a. in der Förderpolitik des Landes herzustellen wäre, war nicht erkennbar. Stattdessen haben führende Landesfunktionäre seit 2007(!) eine erneute Regierungsbeteiligung als ihr wichtigstes politisches Ziel verkündet. Vom Spitzenkandidaten war im Gegensatz zu Mindestanforderungen an Regierungsbeteiligungen im Programmentwurf der LINKEN zu hören, dass man die SPD aus den Fesseln der CDU befreien und so helfen wolle, dass sie, die SPD, mithilfe der Linkspartei ihr Programm durchsetzen könne.
Das erinnert an den verheerenden Wahlkampf der gesamten Partei zur Bundestagswahl 2002. Offenbar wurde auch jetzt in MV lieber das Original als der Gehilfe gewählt. Die LINKE hat mit ihren 18,4% zwar 1,6 Prozentpunkte dazu gewonnen, aber absolut fast doppelt so viele Stimmen verloren wie die SPD.
Bereits von 1998, als die damalige PDS mit 24,4% der Stimmen in die Regierung mit der SPD eingetreten war, bis zum Ende der Koalition 2006 hatte sie etwa die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler verloren.
Aber Frauen und Männer wären für wirkliche Alternativen zur neoliberalen Politik und fürs Selbermachen zu gewinnen. Davon zeugten u.a. 29% Stimmen in MV für die LINKE bei der Bundestagswahl 2009.
Sicherlich ist das Ergebnis zu den diesjährigen Landtagswahlen für die Linkspartei auch durch den grünen Bundestrend nachteilig beeinflusst worden. Die Grünen konnten mit 8,4% erstmalig in den Landtag einziehen. Dass die FDP mit 2,7% nach Hause geschickt wurde, ist bundes- und hausgemacht, und Erwerbsabhängige werden sie nicht vermissen.
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