von Carlo Strenger
Israels politische und militärische Führung bereitet sich auf die Eventualität von Massenprotesten in der Westbank vor, sollten voraussichtlich rund 140 Staaten Ende September einen unabhängigen Staat Palästina anerkennen.
Tatsächlich besteht die Gefahr einer neuen Spirale der Gewalt und Israel bereitet sich auf den Fall vor, dass die Palästinenser vor der UNO Erfolg haben. Ein anderes Szenario ist aber problematischer: Was passiert, wenn sich trotzdem vor Ort nichts für sie ändert, wie die meisten Palästinenser übrigens glauben? Wenn die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die UNO ihr Leben nicht verändert, die Siedlungen weiter ausgebaut werden, die Besatzung fortgesetzt wird?
Netanyahu hofft wahrscheinlich, dass er den Status quo fortsetzen kann. In seinen Schriften aus den 80er und 90er Jahren hat er immer erklärt, dass ein palästinensischer Staat, der westlich an den Jordan grenzt, ein inakzeptables Sicherheitsrisiko für Israel darstellt. Sein Zusammenprall mit Obama im Frühjahr über die Grenzen von 1967 als Verhandlungsgrundlage zeigt, dass er seine Ansicht darüber nicht geändert hat.
Das Problem ist, dass es möglicherweise einen solchen Status quo bald nicht mehr geben wird. Mahmoud Abbas, der jetzt 76 Jahre alt ist, könnte der letzte palästinensische Führer sein, der für eine Zweistaatenlösung eintritt. Wenn die Anerkennung durch die UNO keine greifbaren Resultate hervorbringt, wird die palästinensische Führung ernsthaft prüfen, ob sie nicht die Palästinensische Autonomiebehörde auflöst, dann käme die Westbank einmal mehr unter israelische Verantwortung. Die Implikationen eines solchen Schritts sind enorm, ökonomisch wie politisch.
In einem solchen Fall würden die Palästinenser sich wahrscheinlich erneut an die UNO wenden, mit folgender Forderung: Nach 44 Jahren Besatzung sind sie de facto Einwohner unter israelischer Hoheit und sollten deshalb die israelische Staatsbürgerschaft bekommen.
Das wäre das Begräbnis der Zweistaatenlösung: Was würde die israelische Regierung dann tun?
Das ist der Hintergrund für die Welle nationalistischer Gesetze, die in letzter Zeit durch die Knesset gegangen sind. Die israelischen Gesetzgeber haben eine solche Eventualität seit zwei Jahren ins Auge gefasst und versucht, sie mit einer Vielzahl von Gesetzen abzuwehren, die den jüdischen Charakter des israelischen Staates garantieren.
Außenminister Avigdor Lieberman eröffnete den Reigen mit dem Vorschlag, einen Treueid für Israel als einen jüdischen und demokratischen Staat einzuführen. Er betrachtet Israels arabische Bürger eh als ein Sicherheitsrisiko. Von der Partei Kadima kommt der Vorschlag, ein Grundgesetz einzuführen, das Israel als Heimat der Juden mit Hebräisch als der einzigen Amtssprache definiert.
Doch all diese Vorschläge antworten nicht auf die simple Frage, wie ein Staat, der zu fast 40% aus Palästinensern besteht, mit demokratischen Mitteln einen jüdischen Charakter behaupten könnte.
So mag denn Netanyahu als der Mann in die Geschichte eingehen, der nicht nur die Zweistaatenlösung, sondern auch den Traum von Israel als einer demokratischen Heimat des jüdischen Volkes beerdigt, den zu verteidigen er vorgibt.
Aus der israelischen Tageszeitung Haaretz, 8.9.2011.
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