von Thies Gleiss
Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei DIE LINKE hat seinen Ruf bestätigt, der politisch stabilste und am deutlichsten links positionierte Verband der Partei zu sein. Fast einstimmig nahm der Landesparteitag vom 10. und 11.September einen Leitantrag des Landesvorstandes an, der im Grunde nur das allseits als «Hort des Wahnsinns» bezeichnete Landtagswahlprogramm von 2010 wiederholt und aktualisiert.
Es ist ein Handlungs- und Forderungskonzept, das versucht, die großen Fragen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse mit der konkreten Politik des Alltags zu verbinden. Es gibt heute nicht viele politische Ansätze, die das so gut und umsetzbar zu Papier bringen, wie dieses Programm.
Den größten Raum auf dem Landesparteitag nahm allerdings die vorläufig abschließende Debatte über den Programmentwurf der Bundespartei ein. Sie beendete eine fast vorbildlich in die Breite und Tiefe gehende Programmdiskussion des gesamten Landesverbands in den letzten 18 Monaten.
Auch hier war der Lohn der Mühe eine schon beunruhigend einheitliche Beschlussfassung. Der Landesverband steht hinter den generellen antikapitalistischen Aussagen des Programmentwurfs und stellt als Landesverband eine Reihe von verschärfenden Änderungsanträgen:
Die NRW-LINKE lehnt jegliche Militarisierung der Innen- und Außenpolitik und einer solchen dienende Bundeswehr- oder Polizeieinsätze ab; sie fordert den Austritt aus der Nato als ersten Schritt zu deren Auflösung; sie wünscht eine schärfere Formulierung der Mindestbedingungen für eine Beteiligung an oder Tolerierung einer Regierung; sie fordert darüber hinaus, dass die LINKE sich am Aufbau einer neuen sozialistischen Internationale beteiligt. Das hatte sogar Sofortwirkung: Noch nie klang die abschließend gesungene Internationale auf einem NRW-Parteitag so harmonisch und kräftig.
Die politische Einheitlichkeit kam vor allem Dank eines verantwortungsvollen und politisch ziemlich gereiften Landesvorstandes zustande. Ihm gelang es, eine NRW-spezifische Gruppe von Parteimitgliedern – die meisten davon aus der Strömung «Sozialistische Linke» – vor ihren größten Irrtümern zu bewahren und für einen gemeinsamen Antrag zu gewinnen.
Diese NRW-SL träumt ähnlich wie die bundesweite Strömung Forum Demokratische Sozialisten (fds) davon, dass wir heute eine deutliche politische Annäherung zwischen SPD, Grünen und LINKE erleben. Zur ihrer Ehre sei angefügt, dass das fds diesem Traum mit einer Politik nachhelfen will, bei der die LINKE sich gehörig anpassen und linken Ballast abwerfen soll, was die NRW-SL (noch) ablehnt. Aber die Autoren eines ursprünglichen «Alternativantrags» aus Aachen, Köln, Bottrop und Wuppertal sehen besonders für NRW auch eine Dynamik zu einer «linken Lagerbildung». Und weil die großen Teile (SPD und Grüne) angeblich in eben dieses Lager drängen, wäre es für die kleine LINKE günstig, sie wäre stark und könnte die SPD mit harten Forderungen ziehen und schubsen – weil die ja im Grunde geschubst und gezogen werden möchte. Die gleiche Taktik müsse auch im Landesparlament angewandt werden, wo die kleine LINKE Fraktion der SPD mit harten Forderungen Druck machen müsse.
Das alles ist allerdings komplett von der Realität entfernt. Ein Traum halt, wahrscheinlich sogar ein Alptraum. Weder gibt es oder entsteht ein politisches Lager aus SPD und LINKEN (die Grünen schon gar nicht), noch wird die LINKE derzeit selbst im engeren parlamentarischen Sinne «gebraucht». Die LINKE kann die SPD nur mit minimalen Forderungen (eigentlich sogar nur ohne konkrete Bedingungen) unter Druck setzen, weil es gerade nicht diese Dynamik zu einer Lagerbildung, sondern die einer weiteren Erosion der Sozialdemokratie zu Gunsten der LINKEN geben kann und wird.
Den größten Druck übt die LINKE schlicht durch ihre Existenz aus. Die Beschlüsse des Parteitags zum Landeshaushalt der NRW-Regierung 2012 sind dann auch nicht – wie die gesamte Bürgerpresse schreibt – ultimativ hart und uneinlösbar für die SPD ausgefallen, sondern gerade so minimal, dass sie nur schwer abgelehnt werden können und trotzdem der SPD heftig wehtun werden.
Dem Landesvorstand gelang es, dieser «Opposition» im Landesverband rechtzeitig die Flausen auszutreiben, beziehungsweise von überstürzten Machtproben mit dem Vorstand abzuhalten. Der Preis dafür war einmal mehr eine gewisse Entpolitisierung des Leitantrags. In dem steht nichts falsches, aber dafür viel zu wenig politische Erklärung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und bewegungsorientierte Handlungsanleitung. Es ist dies leider die aktuell einzige Möglichkeit, die vielen politischen Strömungen und Kräfte innerhalb der LINKEN zusammenzuhalten. Aber diese Möglichkeit muss natürlich auch wahrgenommen werden. Dennoch wird dies, wenn überhaupt, nur im Schneckentempo vorankommen. Da es die Linke außerhalb der Partei heutzutage aber oft schneller nach Aktionen und Forderungen verlangt, ist das alles auch ein Spiel mit viel Risiko.
Der Autor ist stellvertretender Landessprecher der LINKEN.NRW.
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