Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2011
Marianne Brentzel, Rote Fahnen – Rote Lippen, Edition ebersbach, 288 S., 18 Euro

von Michael Banos

Wenn wir in diesen Tagen auf 25 Jahre SoZ zurückblicken, lohnt sich auch ein Blick auf die Jahre davor, die Jahre, in denen sich viele tausend Menschen in revolutionären Parteien, Parteiaufbauorganisationen, kommunistischen Bünden organisierten. Marianne Brentzel hat darüber ein sehr lesenswertes Buch geschrieben, worin sie auch von ihren Jahren in der Landesleitung NRW der KPD/AO berichtet.
Man soll Klappentexten ja nie trauen. Wenn es auf dem Cover des Buches heißt: «Ein Roman über die diktatorischen Machenschaften und ideologischen Verwirrungen einer kommunistischen Sekte am Beispiel zweier Frauen, die langsam und schmerzlich den Irrtum ihres Lebens zwischen Rebellion und Wahn erkennen», vermutet man eine Totalabrechnung mit allem à la Gerd Koenen. Die ist es aber nicht.

Marianne Brentzel beschreibt den Weg einer jungen Frau aus der Provinz, die nach dem 2.Juni 1967 an der FU Westberlin in der Protestbewegung auf radikale Positionen stößt und sich einbinden lässt in das Konzept des Aufbaus einer maoistischen Kaderpartei. Die emanzipatorischen und internationalistischen Ideen beibehaltend, wird sie ins Ruhrgebiet geschickt, steigt in der Hierarchie auf und bekommt leitende Positionen.

Eindringlich wird geschildert, wie sie in ihrer Rolle als Frau und Mutter ständig Probleme mit der Parteidisziplin bekommt, das Private dem Politischen unterordnen muss, in Widerspruch zur Praxis der Organisation gerät. Die Partei beginnt sich in sektiererischer Weise zu isolieren.

«Erstaunlich viele Frauen aus Dortmund waren nach Bonn zur Demonstration gegen den Abtreibungsparagrafen gefahren. Mit einigen Genossinnen hatte sie am Bus gestanden und Zettel verteilt. Die Frauen lasen mit ironisch verzerrter Stimme daraus einige Passagen vor. KAMPF DER HAUSSKLAVEREI! FRAUEN FÜR DEN KOMMUNISMUS! IM SOZIALISMUS WIRD ES KEINE ABTREIBUNG MEHR GEBEN! Eine Frau mit kesser Mütze trällerte vor sich hin: Im Sozialismus, im Sozialismus, erst im Sozialismus. Es klang wie eine christliche Litanei.

Hannah war sauer, dass ihr Text so respektlos behandelt wurde. Eine sagte: Ihr habt keine Ahnung. Es geht um die Abschaffung des Paragrafen, nicht um irgendeinen Sanktnimmerleinstag und euer Sozialismus-Paradies. Das ist doch dummes Zeug, was ihr hier schreibt. Fahrt lieber zur Demo, anstatt uns zu belehren...

Hanna fühlte sich ertappt, weil sie wegen der Parteikonferenz nicht mitfahren konnte. Im Grunde hatten die Frauen recht. Die stiegen winkend in den Bus und riefen zum Abschied flotte Sprüche. Einer gefiel ihr besonders: HÄTT MARIA ABGETRIEBEN WÄR UNS DER PAPST ERSPART GEBLIEBEN. Den Frauen macht Politik richtig Spaß, dachte sie, als der Bus losfuhr.»

Das ist nur eine der vielen Geschichten aus dem selbst gewählten sektiererischen Alltag. Selbst ein gemeinsames Weihnachtsessen (Was wohl bei MLern? Pekingente!) kann die Kluft zwischen den politischen Ansprüchen und dem privaten Leben nicht aufheben.

«Früher haben wir von der allseits entwickelten Persönlichkeit geträumt. Und heute? Sind wir noch Menschen, die leidenschaftlich lieben? Oder nur Marionetten der selbst gesetzten Pflichten.»

So wird in den Handlungssträngen des Buches eines deutlich: Nicht die Ideale waren schuld an dem Scheitern dieser und ähnlicher Gruppierungen, sondern der Versuch, aus studentischer Herkunft zu versuchen eine bolschewistische Partei nach Thälmannschem Vorbild, unter strenger Beachtung der Pekinger Generallinie der kommunistischen Weltbewegung aufzubauen.

Die vielen konkreten Betrachtungen, etwa aus der verordneten Betriebsarbeit, während der großen Anti-Breshnew-Demo in Dortmund, dem Protest beim Rathaussturm in Bonn gegen den Thieu-Besuch oder die Reise einer offiziellen Parteidelegation nach China sind nicht nur für «die Alten» eine wichtige Erinnerung, sondern für jede/jeden Suchenden wichtige Erfahrungen.

Leider fehlt hier der Platz, auf eine Gefährtin, Genossin, der Hannah im Buch einzugehen: die eingeflochtene Schilderung des Schicksals der Freundin Hilde ist allein schon den Kauf des klugen Buches wert.

Michael Banos ist Schriftsetzer und lebt als glücklich-parteiloser Kommunist in Dortmund. Eine Leseprobe des Buches gibt es auf: www.mariannebrentzel.de/rote_fahnen.html.

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