Der Kampf für die Rekommunalisierung der Energieversorgung ist noch lang nicht ausgestanden
von Jan Rübke
Das Hamburger Volksbegehren «Unser Hamburg – unser Netz» wurde mit 116.197 Unterschriften – wesentlich mehr als den benötigten 65.000 – zugelassen. Ziel des Volksbegehrens ist die Rücknahme der Privatisierung der Energieversorgung der Stadt.
Noch sind die Hamburger Verteilernetze für Strom, Gas und Fernwärme unter der Kontrolle der Kohle- und Atomkonzerne Vattenfall (Strom und Fernwärme) und E.on (Gas). Durch den Erfolg des Volksbegehrens haben wir Hamburger die große Chance, ihnen die Konzessionen für den Netzbetrieb zu entziehen und diese wichtige Infrastruktur für die Energieversorgung und die Umstellung auf erneuerbare Energien ab 2015 wieder in die öffentliche Hand zurückzuholen.
Die Initiatoren des Volksbegehrens fordern die vollständige Übernahme der Hamburger Energienetze durch die öffentliche Hand, die demokratische Kontrolle des künftigen städtischen Netzbetreibers, eine faire und transparente Preisgestaltung und den zügigen Umbau der Netze für eine dezentrale und effiziente Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.
Bis zum 15.Dezember muss die Bürgerschaft nun entscheiden, wie sie darauf reagiert. Entweder gibt es einen Kompromiss – was unwahrscheinlich ist, weil der Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz (SPD), das nicht will, oder es gibt eine Volksabstimmung, die entweder im Frühjahr 2012 oder anlässlich der nächsten Bundestagswahl 2013 stattfände.
Entscheidend dabei ist: Wenn wir jetzt nicht handeln, bleiben die Netze weitere 20 Jahre bei E.on und Vattenfall, die strategisch auf Profitmaximierung und die Verhinderung der Energiewende gepolt sind. Nur in öffentlicher Hand können die Energienetze für Klimaschutz und Daseinsvorsorge genutzt werden.
Der Verlauf des Volksbegehrens
Die Initiative «Unser Hamburg – unser Netz» ist ein parteiunabhängiges Bündnis aus Umweltverbänden, Bürger- und Verbraucherinitiativen und Kirchen, das auch von Parteien unterstützt wurde. DIE LINKE erklärte die Kampagne im Frühsommer zu ihrem Schwerpunkt. «DIE LINKE hat sich von Anfang an dafür eingesetzt, die Netze für Strom, Gas und Fernwärme zu rekommunalisieren, und zwar zu 100%», erklärte Dora Heyenn von der Partei DIE LINKE.
Vom 2.–22.Juni mussten mindestens 75000 Unterschriften gesammelt werden. Neben Mitgliedern der Bündnisorganisationen und vielen ungebundenen Unterstützer waren auch LINKE-Mitglieder unermüdlich auf den Straßen und Plätzen. Unterstützung kam von den Grünen, den Piraten und, in deutlich schwächerem Maße, von einigen umweltbewussten Sozialdemokraten. Die Gewerkschaften beteiligten sich nicht als Organisationen, trotzdem waren viele Mitglieder in Betrieben und Verwaltungen und in der Öffentlichkeit aktiv.
Vattenfall, E.on, deren Betriebsräte, Bürgermeister Scholz und der CDU-Abgeordnete Scheuerl agierten gegen das Volksbegehren. Betriebsräte von Vattenfall und E.on schalteten Anzeigen, in denen sie eine «tausendfache Arbeitsplatzgefährdung» herauf beschwörten, und spielten so mit den Ängsten der Mitarbeiter. Dabei wäre eine Netzübernahme ein Betriebsübergang (BGB §613a), bei dem die Rechte und Pflichten des neuen Arbeitgebers zunächst erhalten bleiben. Weder der alte noch der neue Arbeitgeber können den Übergang der Arbeitsverhältnisse unmittelbar verhindern.
Zudem wurden Plakataufsteller des Bündnisses illegal mit Aufklebern versehen, die der obigen Anzeige stark ähnelten. Die Gewerkschaft Ver.di, bei der die E.on Mitarbeiter organisiert sind, hat sich mittlerweile von den Plakat-Zerstörungen und Überklebungen distanziert.
Öffentlich-private Partnerschaft?
Olaf Scholz will nur 25,1% Anteile von den Netzbetreibern Vattenfall (Strom) und E.on (Gas). Damit hätte er ein Vetorecht. Tatsächlich kommt es aber darauf an, dass die Stadt ein Gestaltungsrecht hat und die Energieriesen ihrerseits kein Vetorecht haben, also weniger als 25,1% Anteil halten.
Zur Erinnerung: Unter der rot-grünen Landesregierung von Ortwin Runde (1997–2001) wurden die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) mit den Netzen schrittweise an Vattenfall verkauft. Scholz war damals SPD-Bezirksvorsitzender von Hamburg-Altona und ab 2000 SPD-Landesvorsitzender. Der vollständige Rückkauf der Netze wird auf mindestens zwei Milliarden Euro veranschlagt.
Henning Voscherau, selber früher SPD-Bürgermeister, glaubt nicht an einen substantiellen Einfluss auf die Netze mit einem Anteil von nur 25,1%. Er wollte die Netze nach seinen Aussagen schon damals bei der Stadt lassen. Jetzt hat er das Volksbegehren unterschrieben, zusammen mit dem Schauspieler und Regisseur Hark Bohm und Delia Schindler, Sprecherin des Zukunftsrats Hamburg. Ähnlich äußerte sich auch der frühere SPD-Bürgermeister Ortwin Runde.
Zur Vorgabe von Olaf Scholz, lediglich den für das Vetorecht nötigen Anteil von 25,1% haben zu wollen, meinte Dora Heyenn von der Partei DIE LINKE: «Das ist das Modell einer öffentlich-privaten Partnerschaft, die die Netze nicht zurück in die Gestaltung der öffentlichen Hand bringt. Das zeigt die Erfahrung bei den HEW: Trotz einer öffentlichen Beteiligung von 71% musste das Gemeinwohl hinter dem Firmeninteresse, der Gewinnmaximierung, zurückstehen. Wenn damals mit 71% kein Einfluss auf die Geschäftspolitik genommen werden konnte, was ist denn der Sinn einer Beteiligung von 25,1%? Der Einfluss wird gleich Null sein, aber Vattenfall und E.on bekommen noch öffentliche Gelder in den Rachen geworfen. Deshalb unterstützt DIE LINKE eine 100%ige Übernahme der Netze in die Öffentliche Hand.»
Angesichts des Widerstands der Handelskammer Hamburg und der Haltung des SPD-Senates besteht trotz des klaren Votums beim Volksbegehren die Gefahr, dass die SPD-Mehrheit eine vorzeitige Verlängerung der Konzessionsverträge mit den jetzigen Betreibern Vattenfall und E.on abschließt. So könnte sie einem Volksentscheid zuvor kommen. Das gilt es zu verhindern.
Den Senat ficht der Erfolg des Volksbegehrens nicht an, wie eine Meldung der Welt vom 7.9.2011 zeigt, die von Geheimverhandlungen zwischen Senat und Vattenfall berichtet. Ihr zufolge gebe es Überlegungen, ein neues, von Vattenfall und der Stadt gemeinsam geführtes, Netzunternehmen zu gründen und dieses durch das Gaskraftwerk abzusichern.
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