Es gibt eine alte Parole in Griechenland: «Staat, wo du doch die KNEtes hast, was brauchst du noch Bullen?» «KNEtes» sind die Mitglieder der Jugendorganisation der KKE, der KP Griechenlands. Zum Beispiel bewachen sie bei den Feiern um den 17.11. (Tag des Aufstands 1973) immer das Polytechnikum, damit Anarchisten dort nichts «anstellen».
Vielen von uns fiel diese Parole auch gestern wieder ein. Die KKE, ihre Jugend und ihre Gewerkschaft PAME hatten den oberen Teil des Syntagmaplatzes besetzt. Sie bildeten eine Doppelreihe, hatten sich eingehakt und waren mit Knüppeln bewaffnet, an die sie (wie immer) zur Camouflage vorn kleine rote Fähnchen gehängt hatten. Ab 9 Uhr morgens hatten sie einen weiten Kreis um den Platz vor dem Parlament gezogen und ließen nur Leute durch, die ihnen nicht verdächtig schienen, vor dem Parlament etwas in Gang setzen zu wollen, z.B. die Polizei dort anzugreifen. Die Reihen waren den anderen Kundgebungsteilnehmern zugewandt, so wie Polizeiketten aufgebaut werden.
Das Bild war eindeutig: Die KKE schützt das Parlamentsgebäude, die im Volk mittlerweile verhassten Parlamentarier und die Regierung. Und das ausgerechnet an dem Tag, an dem weitere einschneidende Maßnahmen gegen das Volk beschlossen wurden. Die KKE gegen den Rest der Demonstranten. Und das waren Zehntausende.
Nach 14 Uhr versuchte die Gruppe «Wir bezahlen nicht», die keiner politischen Richtung zuzuordnen ist und in den letzten Monaten einige Stärke gewonnen hat, auf den oberen Teil des Syntagmaplatzes zu gelangen. Die KKE stellte sich ihnen vor dem Hotel Grande Bretagne entgegen und ließ sie nicht durch. Es gab Auseinandersetzungen, bei denen zumindest ein KKE-Anhänger verletzt wurde.
Dann kam vom unteren Teil des Syntagmaplatzes eine größere Gruppe von Anarchisten herauf. Sie wollten ihrerseits auf den oberen Teil des Platzes und wurden ebenfalls daran gehindert. Sie griffen daraufhin die Ketten der KKE an, wobei – leider – auch Brandflaschen (Molotowcocktails) und Steine flogen. Es gab einen kurzen Durchbruch, danach kam es zu Kämpfen «Mann gegen Mann», wobei beide Seiten Knüppel einsetzten und sich an Brutalität nicht viel schenkten. Die KKE bildete dann wieder ihre Ketten und trieb die Anarchisten auf den unteren Teil des Platzes. Dort gingen die Kämpfe weiter.
Als sich abzeichnete, dass die KKE unten in die Defensive geraten würden, trat die griechische Bereitschaftspolizei auf den Plan. Sie schoss zunächst wahllos große Mengen Tränengas in die sich bekämpfenden Gruppen – soweit bisher bekannt, starb Dimitris Kotsaridis daran, das Tränengas führte zum Herzinfarkt – und richtete sich dann gezielt gegen die Anarchisten. Gegen 17 Uhr zogen KKE/PAME ab.
Wir können nur Vermutungen anstellen, warum die KKE zunächst den oberen Platz abriegelte, sich dann auf die – aus meiner Sicht unvermeidliche – Auseinandersetzung einließ und schließlich abzog. Eine mögliche Deutung ist, dass die KKE sich auf Druck der Basis zum ersten Mal seit Jahren auf eine gemeinsame Kundgebung mit anderen Linken und Gewerkschaften einlassen musste, diese dann aber dazu benutzte, allen anderen ihre Linie zu oktroyieren und Auseinandersetzungen zu provozieren. Diese bilden nun wiederum ein Vorwand, um künftig von gemeinsamen Veranstaltungen abzusehen und sich weiter einzuigeln.
Es gibt bei uns im Diktyo sehr unterschiedliche Meinungen zum gestrigen Tag. Ich meine, dass die Hauptverantwortung für diese – für die Bewegung natürlich sehr schädlichen – Auseinandersetzungen bei der KKE liegt, dass man das Vorgehen mancher Anarchisten aber nicht beschönigen kann. Es ist zumindest außerordentlich unverantwortlich, in eine Menschenmenge hinein Steine und Brandflaschen zu werfen. Da gibt es nichts zu rechtfertigen oder zu entschuldigen.
Natürlich mischen sich unter die Anarchisten auch immer wieder Provokateure der Polizei. Wir haben schon oft erlebt, dass Vermummte und mit Knüppeln Bewaffnete aus Wannen aus- oder eingestiegen sind. Ich bin aber strikt dagegen und es geht auch am Kern der Sache vorbei, wie die KKE es tut, die gesamte anarchistische Szene dem Schattenstaat zuzuordnen und sie als Provokateure zu bezeichnen. Man kann nicht mehrere tausend Anarchisten in Athen als Handlanger des Staates und der Polizei verleumden.
Die Libertäre (oder: Antiautoritäre) Bewegung – eine anarchistische Gruppe mit starken sozialen Bezügen – hat eine Erklärung herausgegeben, in der sie die alleinige Verantwortung der KKE gibt und die Steine und Molotows nicht erwähnt. Das geht so nicht. Andererseits: Hätten KKE/PAME nicht quasi militärisch den Platz besetzt, hätte es die beschriebenen Kämpfe auch nicht gegeben.
Ein Mitglied von Diktyo, Netzwerk für politische und soziale Rechte, Schwesterorganisation der Interventionistischen Linken
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