Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2011

USA 2011, Drehbuch und Regie: J.C.Chandor

von Angela Huemer

Der Filmkritiker des amerikanischen National Public Radio bringt es auf den Punkt: Seitdem das Reaktorunglück im Atomkraftwerk «Three Mile Island» dem Film The China Syndrome unerwartete Aktualität bescherte (im Film geht es um einen ganz ähnlich gelagerten Vorfall), hatte angesichts der «Occupy Wall Street»-Proteste wohl kaum ein Film je solch akute Aktualität wie Der große Crash.
Im Original heißt der Film Margin Call. Der Titel bezeichnet Termingeschäfte mit Geld, das man zum Zeitpunkt des Geschäfts nicht verfügbar hat. Entwickelt sich das Geschäft gegen den Trader, kann er unter die festgelegte Mindestdeckungshöhe geraten. Er bekommt dann den gefürchteten Anruf vom Broker und muss echtes Geld nachschiessen.

Der große Crash zeigt, was passiert, wenn die Sicherheit verloren geht. Vom Beginn des Films an schauen wir immer wieder auf New York herab, mal direkt vom Dach des Bankgebäudes – da erscheint es wie ein bedrohlicher, verführerischer Abgrund, mal scheinbar direkt, durch die dünnen Scheiben der Büros – so als ob jederzeit alles abstürzen, kollabieren könnte.

Zu Beginn feuert ein Geschwader professioneller Entlasser auf bestimmte, ruhige und fast unheimliche Weise einen großen Teil der Mitarbeiter, u.a. Eric Dale, Leiter des «Risk Managements». Zum Abschied gibt der einem seiner jungen Kollegen, Peter Sullivan, einen kleinen USB-Stick in die Hand. «Daran hab ich zuletzt gearbeitet», meint er, «sehen Sie sich das an» und sagt ominös, bevor sich die Türen des Aufzugs endgültig hinter ihm schließen, «be careful», «seien Sie vorsichtig».

Sullivan hat sich sehr schwer getan, Peter auf richtige Weise klar zu machen, wie sehr ihn sein Abgang berührt. Er sieht sich den Stick nach Dienstschluss an, und als er gegen 10 Uhr abends merkt, dass dieses letzte Projekt seines Kollegen nichts weniger offenbart als den möglichen Bankrott der Firma, holt er seinen Vorgesetzten zurück ins Büro.

Um 2 Uhr morgens fliegt John Tuld per Hubschrauber ein, der Oberboss (brillant gespielt von Jeremy Irons) – der Chef der Lehman-Bank hieß übrigens Dick Fuld. Die Bank hat eine Unzahl von sog. «toxischen» Papieren, hier ganz einfach gesagt. Ein Topos, nahezu «Running Gag» des Films: Je höher jemand in der Hierarchie der Bank agiert, desto weniger kennt er sich mit den komplexen Zahlen aus. «Gehen Sie nicht ins Detail», heißt es immer wieder, «reden Sie Klartext». Und John Tuld, der, wie ein Kritiker der New York Times trefflich schreibt, wie ein Vampir aus seiner Krypta herbeigeholt worden war, erklärt, er sei nicht deswegen ganz oben, weil er die mathematischen Aspekte der Finanzwelt in all ihren Feinheiten beherrscht oder versteht, sondern weil er einen untrüglichen Instinkt dafür hat, was passieren wird.

Und, so denkt sich der Zuseher nach und nach, er verfügt wohl auch über eine gehörige Portion an pragmatischer Skrupellosigkeit.

Der Drehbuchautor und Regisseur des Films, J.C.Chandor, schrieb den Film – sein erster langer Spielfilm – in den Tagen nach der Lehman-Pleite. Sein Vater hatte 40 Jahre für Merrill-Lynch gearbeitet, dadurch hatte Chandor genauen Einblick in sehr persönliche Facetten des Geldwesens (Notiz am Rande: der Vater von Oliver Stone, dem Regisseur von Wall Street, war Börsenmakler).

In einem Interview mit der New York Times erklärt Chandor, Margin Call sei der Versuch, die menschliche Seite der Finanzkrise zu erfassen, d.h. «den Entscheidungsprozess, der uns diesen Schlamassel beschert hat».

Ein weiteres Anliegen Chandors war, nicht moralisieren zu wollen und keine hektische Panikstimmung aufkommen zu lassen – das macht eine der Qualitäten des Films aus. Michael Grynbaum, der Chandor für die New York Times interviewt hat, beschreibt, wie er am Tag des «Crash» in der Lehman-Bank war und bei den Maklern eigenartige Ruhe herrschte: «Sie flüsterten untereinander und einige bereiteten heimlich ihre Lebensläufe vor. Die Unruhe herrschte draußen, bei den Ü-Wagen der Fernsehsender.»

Neben der Güte der Regie und des Scripts trägt vor allem die Brillanz der Schauspieler – herausragend Kevin Spacey – zur herausragenden Qualität dieses Films bei.

 

Der Film läuft seit Anfang Oktober in den Kinos und wird wohl bald auf DVD erhältlich sein.

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