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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2011
Berliner Altenpfleger streiken

von Norbert Kollenda
Seit dem 18.August streiken in Ostberlin Beschäftigte der drei Ostberliner Alten- und Pflegeheime des Unternehmens Alpenland GmbH. Seit sie dem Unternehmen 2004 angeschlossen wurden, gibt es keinen Tarifvertrag. Den Beschäftigten bei «Alpenland» reichte es nun, nach einem erfolglosen Warnstreik traten sie in einen unbefristeten Streik.
Es gibt Beschäftigte, die nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro erhalten. Das Angebot einer Erhöhung von 2,5% lehnten sie ab, denn es war z.B. gekoppelt an den Fortfall von Sonderzulagen für Dienste zu ungünstigen Zeiten, so dass für manche Beschäftigte sogar eine Minderung des Einkommens dabei heraus gekommen wäre. Leicht ist es nicht für sie zu streiken. Bei ihrem geringen Gehalt haben sie keine Rücklagen und müssen jetzt von einem Streikgeld leben, das gerade einmal 60% ihres niedrigen Gehaltes ausmacht. Verdi sah das auch so und stockte die Summe auf.
Überhaupt erfahren sie von Verdi große Unterstützung und haben eine kämpferische Gewerkschaftskollegin zur Seite.
Ihre Kolleginnen und Kollegen in Westberlin verdienen 200–400 Euro mehr. Die Kosten für die Alten- und Pflegeplätze sind in beiden Teilen der Stadt jedoch gleich hoch. Das heißt, dass die Stadt auch in beiden Teilen im Bedarfsfall Zuzahlungen in gleicher Höhe leistet. Dies bestätigte auch die zuständige Gesundheits- und Sozialsenatorin Frau Lompscher (DIE LINKE). Eine Delegation der Beschäftigten hatte sie aufgesucht, um auf die Situation aufmerksam zu machen.

Wenn wir den Betrag hochrechnen, den «Alpenland» bei den Ostgehältern einspart – es gibt 210 Beschäftigte in Ostberlin, kommen wir schätzungsweise auf 50000 Euro monatlich! Ein Bonus für Alpenland, aber wofür? Dafür, dass in Ostberlin eine Auslastung von 100% besteht im Gegensatz zu Westberlin?

Tag für Tag stehen die ca. 40 Streikenden bei Wind und Wetter auf der Straße vor dem Verwaltungsgebäude. Aber sie hocken da nicht nur. Zu jeder vollen Stunde nehmen sie in einer Reihe gegenüber der Verwaltung Aufstellung, machen mit Pfeifen und anderen Dingen Lärm und zeigen, wie fit sie sind, indem sie Kniebeugen und Liegestütze machen. Leider ist es eine Straße, die etwas ab vom Schuss liegt. So laufen einige Streikende mit Transparenten durch die Gegend, oder sie fahren an belebte Orte der Stadt. Sie lassen sich immer wieder etwas Neues einfallen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und erhalten auch solidarische Unterstützung aus anderen Bereichen.
Es kommen Besucher aus Kindergärten, von Seniorenclubs oder Beschäftigte aus anderen Bereichen, die ihre Solidarität bekunden. Auch die Bürgermeisterin des Stadtbezirks lässt sich ab und an sehen und bekundet ihre Unterstützung.

Mit den Bewohnern und ihren Angehörigen haben sie Kontakt aufgenommen und sind auf Verständnis gestoßen. Einige von diesen hatten sogar überlegt, die Zahlung an das Heim zu kürzen. Wenn der Arbeitgeber versucht, das fehlende Personal mit Leihkräften aufzustocken, so fehlt doch etwas. In der Bezugspflege baut das Pflegepersonal eine persönliche Beziehung zu bestimmten Patienten auf, und das lässt sich mit Leihkräften nicht machen.

Wochen der Mobilisierung

Die Streikenden zogen am 27.August um 12 Uhr zum SPD-Sommerfest, das mit Klaus Wowereit in Marzahn stattfand.
Als die Firmenleitung Druck machte und das ihnen zustehende Geld einbehielt,  antworteten die Beschäftigten mit einer Kundgebung Anfang September auf dem Alexanderplatz. Da wurde ihnen mit polizeilichen Maßnahmen gedroht.
Es folgte ein Angebot der Arbeitgeber, das Ver.di das Papier nicht für wert hielt, auf dem es geschrieben stand.
Am 14.September besuchen die Streikenden den Arbeitgeber in Sonthofen/Bayern: «Wenn der Arbeitgeber nicht den Weg zu uns findet, fahren wir halt zu ihm», über 40 Streikende steigen in den Zug.
Am 22.September bekommen sie Besuch von den Kollegen der CFM der Charité, die auch streiken. Auch einen Gegenbesuch hat es gegeben.
Am selben Tag sind sie zum Bundeskongress von Ver.di eingeladen, um dort ihre Situation vor 1000 Delegierten darzustellen.
Am 3.Oktober stellen sie sich am Check Point Charlie auf – dem ehemaligen Grenzübergang – und an anderen geschichtsträchtigen Orten Berlins, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Stadt immer noch geteilt ist.
Auch Belegschaften anderer Betriebe von Berlin und Umgebung, wie der BVG und der BSR, bekunden vor Ort und anderweitig ihre solidarische Unterstützung.
Die Seniorinnen und Senioren von Ver.di rufen zu einer Protestkundgebung auf und sind am 11.Oktober bei den Streikenden.

Gemeinsam mit den Kollegen der CFM

Zum 15.Oktober ruft Ver.di die Berliner zu einer solidarischen Demonstration und Kundgebung für die Beschäftigten von Alpenland und der CFM (Charité Facility Management) auf. Die Demonstration startet in der Nähe des Alexanderplatzes am Fernsehturm. Es gibt einen Zwischenstopp beim Kulturkaufhaus Dussmann, dem größten Anteilseigner der CFM. Dort betont der Sprecher, zwar seien die technischen Bereiche der Charité ausgegliedert, aber der öffentliche Arbeitgeber ist nicht nur Anteilseigner ist, sondern duldet es auch, dass in seinem Bereich prekäre Löhne gezahlt werden, ja, nicht einmal Mindestlöhne eingehalten werden.

Es gibt eine große Ungerechtigkeit auch innerhalb der Charité: Die einen bekommen den alten vollen Westlohn, andere den alten vollen Ostlohn, die Neuen sind zu den üblichen prekären Bedingungen eingestellt. Der Sprecher appelliert an den Senat, dem ein Ende zu machen. Auf dem Platz des 18.März vor dem Brandenburger Tor findet die Abschlusskundgebung statt. Die Vertreter von Ver.di Berlin-Brandenburg bringen zum Ausdruck, dass sie für eine volle Angleichung der Löhne in Ost und West sind.
Das ist sehr wichtig, denn Alpenland GmbH ist nicht die einzige Firma, die unterschiedliche Löhne in Ost und West zahlt. Auch städtische Einrichtungen machen solche Unterschiede. So sagt der Regierende Bürgermeister Wowereit zu den Wünschen nach einer Lohnangleichung, Wünsche könne man zwar haben, aber nicht alle könnten erfüllt werden.
Die Unterschiede werden in der Stadt allein daran sichtbar, dass Senat und Stadtverwaltung ihre Post durch ein privates Unternehmen verschicken lassen. Auch in ausgelagerten Teilbereichen des Öffentlichen Dienstes werden die Aufträge an die billigsten Anbieter vergeben, was natürlich Dumpinglohn bedeutet. Dass dann der Steuerzahler für den Ausgleich durch Hartz IV zur Kasse gebeten wird, machen sich diese Damen und Herren wohl nicht klar!

Wegen der vielen Solidaritätsbeweise und auch der Unterstützung durch die Demonstration am 15.Oktober sind die Kolleginnen und Kollegen bei Alpenland guten Mutes. Auch untereinander gibt es eine gute Stimmung, die sie trägt.
Am 20.Oktober lag endlich ein ernsthaft zu prüfendes Angebot der Arbeitgeber vor, sodass die Kollegen mit etwas Zuversicht in die Verhandlungen am 24.Oktober gingen. Leider waren die Hoffnungen grundlos. Dort erklärten die Arbeitgeber die Forderungen von Verdi nämlich für unannehmbar. Sie waren offensichtlich davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmerseite ihr Angebot ohne Einwände akzeptieren würde. Noch vor den Tarifgesprächen traten sie vor die  Streikenden – während die Gewerkschaftsdelegation auf sie wartete – und erklärten, die Forderungen der Gewerkschaft seien inakzeptabel. Damit verschreckten sie die Kollegen jedoch nicht, sondern bestärkten sie darin, den Streik fortzusetzen. So ist davon auszugehen, dass auch über die 10. Woche hinaus gestreikt wird!

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