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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2011
Wirtschaft verstehen

Am Wochenende trafen sich die Euro-Staats- und Regierungschefs und beschlossen einen höheren Schuldenschnitt für Griechenland und höhere Eigenkapitalquoten für die angeschlagenen Banken. Keinen Durchbruch gab es bei der nötigen Ausweitung des Rettungsfonds ESFS. Wir wollten wissen, wie der Gipfel zu bewerten ist, und fragten BIRGER SCHOLZ.
Der Gipfel hat die Banken aufgefordert, bis zu 60% ihrer Forderungen an Griechenland abzuschreiben. Ist das nicht der richtige Weg?
Dieser Schuldenschnitt war überfällig und hätte noch höher ausfallen müssen, damit Griechenland aus der tiefen Rezession kommt. Deutschland und Frankreich haben dies nicht aus Güte oder Einsicht getan, sondern aus der schlichten Erkenntnis, dass selbst ein weiteres Sparprogramm die Explosion der Verschuldung nicht verhindern würde. Der aktuelle Tragfähigkeitsbericht der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission beziffert den Finanzierungsbedarf bis 2020 auf 252 Milliarden Euro. Das sind über 150 Milliarden Euro mehr als noch im Juli berechnet. Ursächlich hierfür ist die tiefe Wirtschaftskrise in Griechenland, die durch die bisherigen Sparprogramme in Höhe von über 17% der jährlichen Wirtschaftsleistung befeuert wurde.
Die griechische Tragödie zeigt abermals, dass es unmöglich ist, sich aus einer solchen Krise herauszusparen. Deutschland und Frankreich haben die nötige Umschuldung anderthalb Jahre verschleppt, um die eigenen Banken zu schützen. Um eine Überschuldung der Banken zu verhindern, werden diese nun gezwungen, das Eigenkapital um 100 Milliarden Euro zu erhöhen. Es darf vermutet werden, dass wieder shareholderfreundliche Lösungen gefunden werden, anstatt die bankrotten Banken endlich zu verstaatlichen.

Im Vorfeld des Gipfels wurde intensiv über eine «Hebelung» des Rettungsfonds EFSF diskutiert. Was ist damit gemeint?
Aktuell hat der EFSF 440 Milliarden Euro effektiv verfügbar. Diese Summe reicht zwar aus, um Griechenland, Irland und Portugal aber nicht um Spanien und Italien die nächsten Jahre zu finanzieren. Unter «Hebeln» werden Finanztechniken verstanden, mit denen die Wirkung der effektiv zur Verfügung stehenden Mittel erhöht wird. Frankreich schlug vergeblich vor, dass der EFSF Staatsanleihen aufkauft und diese dann als Sicherheit für Kredite der EZB hinterlegt. Mit diesen Krediten kann der EFSF dann neue Staatsanleihen kaufen, die er wiederum als Sicherheit für neue Kredite der EZB hinterlegt, mit denen er wieder neue Staatsanleihen kaufen kann, usw. In der Diskussion war ein Modell, bei dem für Staatsanleihen im Wert von 100 EZB-Kredite im Wert von 90 ausgegeben werden. Daraus hätte sich ergeben, dass der EFSF mit 440 Mrd. Euro Staatsanleihen in Höhe von 4440 Milliarden Euro hätte kaufen können.

Die Kredite der EZB aber sind gedrucktes Geld. Letztlich würde somit die Staatsfinanzierung über die Notenpresse der EZB laufen. Ökonomen nennen das Monetarisierung der Staatsschulden. Seitdem die EZB auf Druck der Regierungen Staatsanleihen der Euro-Krisenstaaten aufkauft, sind wir in diesem Prozess mitten drin.
Deutschland hingegen favorisiert eine Versicherungslösung. Der ESFS soll für neue Anleihen der Krisenstaaten in Höhe von bis zu 20% bürgen. Krisenstaaten würden auf dem Kapitalmarkt Anleihen aufnehmen, gegen deren Ausfall der EFSF sie bis in Höhe von 20% versichern würde. Die 440 Mrd. Euro würden dann eine Art Versicherungssumme für ein Anleihevolumen darstellen, das fünfmal so groß ist. Allerdings lagen die Abschläge bei Staatsinsolvenzen in der Vergangenheit meist zwischen 40 und 60%. Eine Bürgschaft für nur 20% wird den Märkten zu wenig sein, wenn jetzt schon Schuldenschnitte in Höhe von 50–60% im Gespräch sind. Wird die Versicherungsquote auf bspw. 50% erhöht, dann bleibt das gehebelte Volumen deutlich unter 1 Billion Euro.

Ist die deutsche Sorge vor der Notenpresse nicht gerechtfertigt, und was wäre die Alternative?

Die deutsche Geldpolitik agiert extrem kurzsichtig. Der französische Vorschlag hätte im Kern bedeutet, den privaten Kapitalmärkten die Staatsfinanzierung zu entziehen. Dieser Schritt ist schon deshalb überfällig, weil Staaten eben keine insolvenzfähigen Unternehmen sind. Daher sollte auch das Rating für Staaten oder Kommunen verboten werden. Die deutsche Position wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass durch die Krise der EU-Peripherieländer die Zinsen auf deutsche Staatsanleihen massiv gesunken sind, weil die Nachfrage nach sicheren Anleihen stark gestiegen ist. Die Zinsentwicklung geht in den Eurozonenländern mehr und mehr auseinander und für Deutschland sind niedrige Zinsen ein immenser Wettbewerbsvorteil, den Frau Merkel ungern aufgeben will. Daher auch ihre Weigerung, Eurobonds auszugeben, denn für diese würde ein EU-einheitlicher Zinssatz gelten, und der läge über dem deutschen. Richtig ist gleichwohl, dass es keine unlimitierte Staatsfinanzierung über die Notenpresse geben darf. Eine fortschrittliche Lösung könnte sein, Länder mit strukturell zu hohen Defiziten zu verpflichten, ihre Vermögenden stärker zu besteuern. Länder mit zu hohen Leistungsbilanzüberschüssen könnten hingegen verpflichtet werden, ihre öffentlichen Ausgaben und vor allem die Gehälter anzuheben.
Solange die Staatsfinanzierung nicht den privaten Kapitalmärkten entzogen wird, kann es keine Beruhigung geben. Die drohende Abstufung von Frankreich zeigt, wohin die Reise noch führen kann. Die Idee, nun Staatsfonds aus Norwegen oder Singapur anzupumpen, zeigt das ganze Ausmaß der Konzeptionslosigkeit. Dies gilt auch für die Idee, den IWF stärker einzubeziehen. Nun ist im Gespräch, dass der Währungsfonds einer Zweckgesellschaft beitritt oder selber gründet, die dann Anleihen der Krisenstaaten aufkauft.

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