Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2011
Jürgen Grässlin ist Deutschlands «prominentester Rüstungsgegner». Der studierte Pädagoge engagiert sich seit den frühen 80er Jahren gegen die Waffenindustrie, seit 1994 veröffentlicht er Bücher darüber. Er ist Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD).

Am 1.September 2011 erhielt er, zusammen mit der Informationsstelle Militarisierung aus Tübingen (IMI) den Aachener Friedenspreis. Wir bringen Auszüge aus seiner Dankesrede.
Der Waffentod fühlt sich wohl in unserer Zeit der Kriege und Bürgerkriege, der asymmetrischen Kriege mit ihren Terroranschlägen und Luftbombardements.

Der Waffentod ist in diesen Tagen ein gern gesehener Gast: in den USA, in Russland, in Deutschland – den weltweit führenden Rüstungsexportnationen. Wenn der Waffentod kommt, rollt die Bundesregierung den blutroten Teppich aus. Alle Achtung, gratuliert der Waffentod kalt grinsend, Europameister beim Waffenhandel ist ein tödlicher Titel!

Für gewöhnlich reicht dem Waffentod ein Besuch beim Bundesausfuhramt in Eschborn. Dort winkt man Exportanfragen der Rüstungsindustrie zumeist willfährig durch. Aber eben nicht die tödlichsten, nicht die in Krisen- und Kriegsgebiete.

Dazu muss sich der Waffentod zur Bundesregierung nach Berlin begeben. Hier im Kanzleramt tagt der Bundessicherheitsrat. Das Regierungsgremium befindet über besonders brisante Rüstungsexporte – und damit über die weltweite Sterbehilfe mit deutschen Waffen. Seit Jahrzehnten bereits berät der Waffentod diese Regierungsrunde bei allen wichtigen Exportgenehmigungen.

Dabei trägt er die Farben der Politiksaison: schwarz-gelb, rot-grün, schwarz-rot, momentan mal wieder schwarz-gelb – allesamt verlässliche Partner beim Geschäft ohne Grenzen.

 

Ich bin ihm persönlich begegnet, dem Waffentod: bei meinen Recherchereisen durch zerstörte Dörfer in Türkisch-Kurdistan, [...] in der Hilfsstation des Somaliländischen Roten Halbmondes in Hargeisa und in vielen Zelten und Hütten, in denen sich das Grauen vergangener Gewalttaten bis heute in den Gesichtern der Überlebenden widerspiegelt.

Mit jeder Reise in Länder, in denen bis heute deutsche Waffen wüten, und mit jedem Interview, das ich mit Menschen führe, die Gliedmaßen verloren haben, begegne ich dem tödlich grinsenden Waffentod.

Bis zum heutigen Tag habe ich mehr als 220 Menschen interviewt, die Opfer des Einsatzes von Heckler & Koch-Waffen geworden sind. Sie stehen pars pro toto für das Schicksal von Millionen Menschen, die Familienmitglieder und Freunde durch den Einsatz deutscher Waffen verloren haben, die zeitlebens verstümmelt oder schwer traumatisiert sind.

Wir kennen die Schuldigen des Mordens mit deutschen Waffen: Manager in der Rüstungsindustrie, die die Herstellung der Todesprodukte mit verantworten, RegierungspolitikerInnen, die Waffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten genehmigen, sowie Soldaten und Kindersoldaten, Terroristen und Söldner, die die von Deutschland exportierten Waffen einsetzen.

Noch fühlt er sich wohl, der Waffentod: bei seinen Besuchen in Berlin bei der Bundesregierung, in Oberndorf – seiner Heimatstadt – bei Heckler & Koch, in Unterschleißheim und am Bodensee bei der EADS, [...] und an vielen Orten mit Waffenschmieden in ganz Deutschland.

Noch fühlt er sich wohl – wir werden das ändern!

AUFSCHREI!

Vorbei die Zeit des Hinnehmens, des Ignorierens, des Wegschauens, des Stillschweigens und damit der tödlichen Akzeptanz. Gekommen ist die Zeit des sichtbaren Protestes, der gewaltfreien Aktionen, des lautstarken Aufschreis.

Wir schreien auf gegen den ganz legalen Waffenhandel der CDU/CSU/SPD/FDP/GRÜNEN-geführten Regierungskoalitionen!

Wir schreien auf gegen deutsche Kriegsprofite durch Waffenhandel mit kriegführenden Staaten!

Wir schreien auf gegen den Waffenhandel mit menschenrechtsverletzenden Regierungen!

Wir schreien auf gegen die Produktion des Todes und gegen Arbeitsplätze in der Industrie des Todes!

Wir schreien auf, weil Waffenhandel Beihilfe zu Mord – und im Falle der Kleinwaffen – Beihilfe zu Massenmord ist!

Wir schreien auf als Stimme für Millionen von Getöteten und Verstümmelten in der Folge der Exporte und Lizenzvergaben deutscher Waffen!

Wir schreien auf für Frieden, für Gerechtigkeit, für das Leben!

Wir schreien auf für Produkte für das Leben!

Wir schreien auf für die Ergänzung von Artikel 26 (2) des Grundgesetzes: «Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht exportiert» – so muss die Formulierung zukünftig lauten!

 

Deshalb haben wir im Mai 2011 die Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! ins Leben gerufen. Schon heute sind wir mehr als 100 Mitgliedsorganisationen aus der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, aus der kirchlichen Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit sowie viele Einzelpersonen – so viele wie nie zuvor.

Wenn Deutschland – der Europameister – aus dem Geschäft mit dem Waffenhandel aussteigt, sind wir dem weltweiten Frieden ein Stück näher.

Der Aachener Friedenspreis bringt Rückenwind für uns alle, die wir bei der Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! bereits mitmachen. Machen auch Sie nach Kräften mit!

Jürgen Grässlin

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