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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2011

Wirtschaft verstehen

von Birger Scholz

Seit der Griechenland-Krise ist das Schreckgespenst einer Staatsinsolvenz in aller Munde. Wann ist ein Staat wirklich bankrott?
Im Gegensatz zum Privat- und Unternehmensrecht sieht das internationale Recht keine Insolvenzen von Nationalstaaten vor. Obwohl der klassische Nationalstaat durch sein Gewaltmonopol vielerlei Möglichkeiten hat, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen (bspw. durch höhere Besteuerung, Inflationierung der eigenen Währung oder Verkauf von Staatseigentum), ist der moderne Kapitalismus genauso wie der feudale Staat eine kontinuierliche Geschichte von Staatsinsolvenzen. Unterschiedlich sind alleine die Ursachen, der Verlauf und die Umstände. Was den Habsburger Staatsbankrott des Jahres 1557 mit dem Argentiniens im Jahr 2002 verbindet, ist eine Güterabwägung: Ein Stopp der Zins- und Tilgungszahlungen kann nutzbringender sein als die Weiterbedienung der Schulden. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Staat ohne Zinszahlungen Überschüsse generiert (Primärüberschuss). In diesem Fall ist der Verlust der Kreditwürdigkeit, der für eine gewisse Zeit mit dem Staatsbankrott einhergeht, leicht zu verkraften.

Nach landläufiger Meinung ist ein Staat dann bankrott, wenn er die Schuldenrückzahlungen und laufenden Zinszahlungen ganz oder teilweise nicht mehr pünktlich leistet. Ökonomen unterscheiden zwischen Liquiditäts- und Solvenzkrisen, wobei eine objektive Trennung in der Praxis schwer möglich ist. Dem Lehrbuch nach sind Liquiditätskrisen dann durch Überbrückungskredite supranationaler Organisationen wie dem IWF lösbar, wenn die makroökonomischen Kennzahlen und Verschuldungsgrade des Staates im grünen Bereich sind.

Dagegen befindet sich ein Staat in einer Solvenzkrise, wenn die Geldgeber zunehmend das Vertrauen verlieren, dass der Schuldner in der Lage ist, die Schuldenquote konstant zu halten und damit die Kredite langfristig zu bedienen.

Als vor einem Jahr die Euro-Staaten und der IWF Griechenland mit Kreditlinien beisprangen, suggerierten sie, dass sich das Land in einer kurzfristigen Liquiditätskrise befände. Schnell wurde klar, dass selbst bei massiven Privatisierungen, Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst und Kürzungen der Staatsausgaben zulasten breiter Schichten der Bevölkerung die Schuldenquote kurz- und mittelfristig – insbesondere durch die durch die Austeritätspolitik einhergehende Wirtschaftskrise – weiter ansteigen würde.

Der auf dem letzten EU-Gipfel vereinbarte «freiwillige» Forderungsverzicht der Banken in Höhe von 50% verdeutlicht den faktischen Staatsbankrott Griechenlands. Da es sich offiziell um eine freiwillige Vereinbarung handelt, mussten die berüchtigten Kreditausfallversicherungen (CDS) nicht aktiviert werden. Dies hätte zu einer weiteren Destabilisierung der Märkte geführt.

Wann die privaten Kapitalmärkte wieder bereit sein werden, Griechenland Geld zu leihen, ist völlig offen. Da das entscheidende Kriterium das Vertrauen der Märkte in den Willen und die Fähigkeit des Schuldners zur Vertragstreue ist, gibt es hierfür keine objektiven Kriterien.

Was sind die Folgen eines Staatsbankrotts?

Da ein Staatsbankrott fast immer von veritablen Wirtschaftskrisen begleitet wird bzw. aus diesen folgt, sind die ökonomischen Auswirkungen immens. So sank das Bruttoinlandsprodukt in Argentinien während der Krise 2002 um insgesamt 21%. Die sozialen Folgen waren verheerend: Die Armutsrate stieg auf 57%, die Arbeitslosenrate erreichte 23%. Durch die mit dem Staatsbankrott eingeleitete Abwertung der Währung kam es jedoch zu einer schnellen ökonomischen Erholung, die bis heute anhält.

Ist eine Volkswirtschaft jedoch klein und exportschwach, sind auch die positiven Effekte der Abwertung geringer. Die erhöhten Importpreise führen dann zu einer impliziten Reallohnsenkung und verteuern zugleich die Exportprodukte, wenn im eigenen Land kaum Vorprodukte hergestellt werden. Zudem ist das nationale Bankensystem, sofern es in relevanten Umfang Verbindlichkeiten in Fremdwährungen hält, meist insolvent.

Ein einseitiger Staatsbankrott Griechenlands und Wiedereinführung der Drachme hätte vermutlich katastrophale Auswirkungen auf die Realwirtschaft, sofern das Land keine finanzielle Unterstützung im Transformationsprozess erhielte. Würden die Euro-Staaten hingegen den Austritt finanziell abfedern, das Bankensystem rekapitalisieren, weitere Kreditlinien zur Verfügung stellen und Zukunftsinvestitionen finanzieren, könnte der gleiche Schritt auch eine Erfolgsstory werden. Die fortschrittlichen Ökonomen sind sich daher uneins, ob ein Staatsbankrott sinnvoll ist.

Im Falle Griechenlands wird diese Frage mittlerweile immer im Kontext des Ausstiegs aus der Eurozone diskutiert. Die einen – wie das gewerkschaftliche Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) – warnen vor den langfristigen Kosten einer Umschuldung (eine freundlichere Umschreibung für Staatspleite). Erstens ändere eine Entschuldung durch Staatsinsolvenz nichts an bestehenden ökonomischen Problemen und fehlender struktureller Wettbewerbsfähigkeit. Zweitens würde das eigene Bankensystem destabilisiert, das große Bestände an Staatsanleihen halte.

Drittens aber hätte dieser «Tabubruch» Folgen für den ganzen Euroraum. Die Märkte würden ab sofort für alle Euro-Staaten – vielleicht mit Ausnahme Deutschlands – höhere Risikoaufschläge fordern. Die Euro-Krise erhöhe ihre Umlaufgeschwindigkeit mit nicht kalkulierbaren Folgen.

Die Gegenposition verweist darauf, dass bei Überschuldung eines Staates zumindest eine Teilentschuldung unvermeidbar sei und plädieren für «transparente und gerechte Entschuldungsverfahren» (Erlassjahr.de), ein Zinsmoratorium nebst Schulden-Audit (Attac und CADTM) sowie für ein Insolvenzrecht für Staaten nach Chapter 9 des US-Insolvenzrechts (Raffer-Vorschlag). Gemeinsam ist allen drei Ansätzen, dass die Gläubiger verzichten und die Legitimität der Schulden in öffentlichen Verfahren geprüft wird. Zudem werden unabhängige Schiedsgerichte gefordert und Zwangsprivatisierungen oder Sozialabbau abgelehnt. Solche Entschuldungsverfahren lassen sich auch aus einer marktwirtschaftlichen Ordnungsperspektive begründen, weil es keinen Profit ohne Risiko des Ausfalls geben dürfe. Wer Staatsinsolvenzen bzw. Entschuldungsverfahren ablehne, der sozialisiere kontinuierlich private Verluste und leiste neuer Spekulation Vorschub.

In Anbetracht der trotz Umschuldung fortbestehenden Überschuldung Griechenlands und der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit des Landes steht die Debatte um Kosten und Nutzen eines Staatsbankrotts und der Wiedereinführung der Drachme möglicherweise erst am Anfang.

Zum Weiterlesen: Kurswechsel, Nr.3, 2011: Aktuelle Debatte: Staatsbankrott. Mit Beiträgen von Thorsten Niechoj (IMK) und Kunibert Raffer (Universität Wien).

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