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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2011
Richard Müller: Eine Geschichte der Novemberrevolution in 3 Bänden, Berlin: Die Buchmacherei, 2011, 756 S., 19,90 Euro

von Dieter Wegner

Mit seinem Buch Richard Müller. Der Mann hinter der Novemberrevolution entriss der junge Berliner Historiker Ralf Hoffrogge Richard Müller und die Revolutionären Obleute von Berlin vor drei Jahren dem Vergessen. Ihm und dem kleinen Berliner Verlag «Die Buchmacherei» ist es nun zu verdanken, dass nach Jahrzehnten Müllers Geschichte der Novemberrevolution neu aufgelegt wurde.
Im Mai 2009 luden wir Ralf Hoffrogge zu einem Jour Fixe der Gewerkschaftslinken nach Hamburg ein. Dabei erfuhren wir, dass Müller weder für einen sozialen Kapitalismus noch für eine Einparteienherrschaft kämpfte, sondern für ein Rätesystem, in dem die Arbeitenden selbst über Produktion und Politik bestimmen. Wir diskutierten, was zu lernen ist von den heimlich organisierten revolutionären Berliner Obleuten, die zwar meist Mitglieder der USPD waren, aber davon unabhängig ihr politisches Gewicht aus der Tatsache bezogen, dass sie als Betriebsarbeiter Streiks und Kämpfe in Berlin organisierten, weil sie das Vertrauen und die Aufopferungsbereitschaft ihrer Kollegen hinter sich hatten.

Das Verdienst der Revolutionären Obleute war der Zusammenschluss von Kollegen, für die die Sache im Vordergrund stand, nämlich der wirksame gewerkschaftliche Kampf in den Betrieben und dann, ab 1916, der Sturz des Systems. Ihre Gewerkschaftszugehörigkeit im Deutschen Metallarbeiterverband und die Mitgliedschaft in USPD oder Spartakusbund/KPD stand nicht im Vordergrund. Sie nutzten die Organisation für ihre Organisierung als Revolutionäre Obleute, unterlagen jedoch nicht der Ideologie der Gewerkschaftsführer. Das kann und muss uns heute Vorbild sein, wenn wir fragen: Was können wir von den Revolutionären Obleuten lernen?

Richard Müller und seine Mitkämpfer organisierten sich angesichts der Bedingungen während des Ersten Weltkriegs heimlich als Widerstandsgruppen, um gegen die Politik der Gewerkschaftsführungen zu arbeiten, die nicht nur den Burgfrieden propagierten, sondern auch für Reichsregierung und Heeresleitung eine Unterstützung waren. Unter heutigen Bedingungen müssen auch wir uns vernetzen, um gegen Sozialpartnerschaft, Co-Management und die Unterstützung von weltweiten Bundeswehreinsätzen durch Gewerkschaftsapparate und -führungen Widerstand leisten zu können.

Nach der gescheiterten Novemberrevolution trat Müller der KPD bei und wurde ihr Gewerkschaftsverantwortlicher. Er wandte sich gegen die abenteuerliche Politik der KPD-Zentrale, den gescheiterten Aufstandsversuch in Mitteldeutschland (Märzaktion 1921). Er ging in die Berliner Metallbetriebe und agitierte gegen die Märzaktion. Dadurch verhinderte er das Blutvergießen vieler Berliner Arbeiter. «Jedoch stand Levi nicht allein da. Viele seiner Freunde, einige noch in führender Position, teilten seine Ansichten und vermerkten, Richard Müller, ehemaliger Funktionär der Revolutionären Obleute, sei auf dem Höhepunkt des Aufstandes von einem Berliner Betrieb zum anderen gezogen, um den Metallarbeitern davon abzuraten, sich dem Generalstreik anzuschließen.» (Werner T. Angress, Die Kampfzeit der KPD 1921–1923, Düsseldorf 1973, S.208.)

Auf dem III. Weltkongress der Kommunistischen Internationale wurden Paul Levi und er jedoch der Sabotage bezichtigt. Paul Levi, bis Ende Februar 1921 KPD-Vorsitzender, wurde aus der Partei ausgeschlossen, das Ausschlussverfahren gegen Clara Zetkin und sieben andere Parteiführer in eine Verwarnung umgewandelt. Richard Müller wurde 1922 aus der KPD ausgeschlossen.

Die Bücher, auf die sich Hoffrogge in seinem 2008 herausgegebenen Band bezog, ist die Trilogie Vom Kaiserreich zur Republik, die Müller 1924 und 1925 herausgab. Sie waren zwar gleich zu Beginn der Studentenbewegung wurden sie als Reprints neu aufgelegt, 1973/74 vom Verlag Olle und Wolter, und wanderten in so manchen Bücherschrank von Linksradikalen und gewerkschaftlich Interessierten. In den Jahrzehnten danach gerieten sie aber so ziemlich in Vergessenheit. Nur wer sich für die Kämpfe während des Ersten Weltkriegs und während der Novemberrevolution interessierte, stieß immer wieder auf die Rolle der Revolutionären Obleute und eben auf Richard Müller. Seine drei packend erzählten Bände sind Standardwerk und Geheimtipp zugleich. Wer sie sich in den letzten Jahrzehnten kaufen wollte, musste (antiquarisch) dafür 100 bis 150 Euro aufbringen. Nun sind die drei Bände dankenswerterweise von dem kleinen Berliner Verlag Die Buchmacherei erneut veröffentlicht worden – in einem Band und mit einem Vorwort von Ralf Hoffrogge.

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