von Giorgio Cremaschi
Nicht die Bezahlung der Schulden, sondern die Schaffung sozialer Gleichheit hält der Vorsitzende der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM für den Schlüssel zur Lösung der Krise.
Wir verstehen die Befriedigung und das Gefühl der Befreiung, angesichts des politischen Sturzes von Berlusconi. Die Freude wird jedoch von kurzer Dauer sein, wenn die neue Regierung das ökonomische und soziale Programm verwirklicht, das im Brief der EZB [siehe SoZ 11/2011] und in den 39 Punkten enthalten ist, die ihn aufgreifen und präzisieren.
Die Wahrheit ist, dass Berlusconi nicht durch unseren Druck gestürzt ist, sondern durch den der «Märkte». Das sind die Milliardäre, die binnen weniger Stunden gewaltige Kapitalien in Bewegung setzen, Börsen zusammenbrechen lassen und Staatspapiere abwerten können. Berlusconi hat das Vertrauen des internationalen Kapitalismus und der italienischen Bourgeoisie verloren; sie waren es, die ihn fallen ließen, und sie sind es, die die Rechnung präsentieren. Natürlich, wenn Berlusconi die Zustimmung der Bevölkerung gehabt hätte, wenn es nicht unsere Kämpfe und Mobilisierungen gegeben hätte, säße er heute noch im Sattel, wahrscheinlich auch mit der Zustimmung der Unternehmer, die er so lange erhalten hat. Aber es bleibt dabei: Wenn wir auch den Baum geschüttelt haben, so ist es doch das Großkapital, das sich anschickt, die Früchte einzusammeln und sie davonzutragen.
Die Regierung Monti wird keine technische Regierung sein sondern eine christdemokratische, technokratische, dem Unternehmerverband hörige Regierung sein, eng verbunden mit den Entscheidungen der großen europäischen und internationalen Wirtschaftsmächte.
Technische Regierung?
In den letzten Monaten haben US-amerikanische Aktivisten die Losung «Besetzen wir die Wall Street!» aufgestellt. Wir aber laufen Gefahr, von EZB und Wall Street besetzt zu werden.
Man wird mir vorwerfen, meine Position sei voreingenommen, doch sie basiert allein auf dem Mandat, das die großen Medien und das Establishment im Allgemeinen dem neuen Regierungschef Monti geben: Es soll ein unpopuläres Programm verwirklichen, die Renten kürzen, den Arbeitsmarkt – noch mehr! – flexibilisieren, weiter privatisieren – das Ganze gewürzt mit einer Vermögensteuer, die nur das Ziel hat zu zeigen, dass alle ein bisschen was zahlen – und die Verfassung zugunsten des Marktes ändern. Mehrfach hat Mario Monti dieses Programm verkündet, und zu glauben, dass er es in dem Moment vergisst, in dem er an die Regierung kommt, ist Blödsinn.
Wir werden also mit einer Regierung à la Griechenland konfrontiert sein, die uns im Namen der Schulden und der internationalen europäischen Verpflichtungen dramatische Opfer aufzwingen wird. Es ist eine Kriegslogik, die uns vorgeschlagen wird, wie dies mehrfach in Bezug auf Griechenland gesagt worden ist. Und die Logik des Krieges tötet stets zu allererst die Wahrheit und die Demokratie. Deshalb sind wir überhaupt nicht einverstanden mit der politischen Linie des Präsidenten der Republik. Er ist kein absoluter Souverän und kann und muss kritisiert werden, wenn er ökonomische und politische Entscheidungen trifft.
In Griechenland wurde ein Referendum über die ökonomischen Entscheidungen verhindert. Allein die Ankündigung eines solchen Referendums – dessen instrumenteller Charakter offen sichtbar war – durch den griechischen Ministerpräsidenten führte zum Sturz der Regierung. Bei uns verhindert die «technische» Regierung sofortige Wahlen, die unter anderem den Effekt hätten, das System Berlusconi endgültig unter einer Lawine von Wählerstimmen zu begraben. Dank der «technischen» Regierung wird die Rechte nun die Gelegenheit erhalten, sich neu aufzustellen und die populistische Karte auszuspielen, wie es in allen europäischen Ländern geschieht. Wir riskieren also, auf sozialer und ökonomischer Ebene einen dramatischen Preis zu bezahlen, um schließlich doch wieder auf eine Rechte zu stoßen, die andere beschuldigen wird, das soziale Massaker begangen zu haben.
Es werden die Falschen gerufen
Diese dramatische Krise unserer Demokratie ist wahrhaft das Zeichen für den Zusammenbruch einer herrschenden Klasse, die zu einer realen Autonomie gegenüber den Erschütterungen des Marktes unfähig ist. Die Krise ist nicht zu Ende, und sie wird auch nicht enden, auch nicht unter einer Regierung des Großkapitals. Die kommende Rezession wird nicht gestoppt, sondern durch die Sparmaßnahmen noch verschärft, die beschlossen werden, um die Staatsschulden zu bezahlen. Alle Wirtschaftsindikatoren der sog. Realökonomie sagen, dass die Dinge nicht im Lot sind und nicht ins Lot kommen werden.
Wie viele Ökonomen, die nicht gehört werden, festgestellt haben, ist die vorrangige Aufgabe nicht die, die Schulden zu bezahlen, um die Finanzwelt und die Märkte zu beruhigen, sondern die soziale Gleichheit wiederherzustellen. Ohne diese wird es keinen Wirtschaftsaufschwung geben, die Krise wird sich stattdessen eher verschlimmern.
Aber soziale Gleichheit wieder herzustellen bedeutet, genau die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen wie die, die der Brief der EZB «nahelegt». Es bedeutet, die Löhne anzuheben, die sozialen Rechte auszuweiten, das Gemeinwohl zu fördern, Millionen kleiner Projekte ins Werk zu setzen, statt katastrophaler Großprojekte. Es bedeutet, von den Reichen, der Finanzwelt, den Steuerhinterziehern die Mittel zu holen, um sie in eine Konversion des Produktionsmodells zu investieren. All dies heißt, Schulden, die nicht einzutreiben sind, nicht zu bezahlen und genau jene Interessen matt zu setzen, die Mario Monti an die Regierung gebracht haben.
All dies wäre ein tiefer Bruch mit der Wirtschaftspolitik der letzten dreißig Jahre. Stattdessen wird aber die Unternehmer- und Technokratenklasse an das Krankenbett des italienischen Kapitalismus gerufen, deren Weichenstellungen Europa in die Krise getrieben haben.
Bei alldem gibt es nur eine positive Tatsache – wir sagen dies mit Zorn und Bitterkeit. Wenn Mario Monti seine Regierung wirklich mit parteiübergreifender Unterstützung bildet, betreten wir eine neue Phase der italienischen Politik. Es wird das Ende der Zweiten Republik sein, das Ende von sich abwechselnden Regierungskonstellationen, die nichts ändern. Es wird offensichtlich werden, dass dieser Regierung eine soziale und politische Alternative von links entgegengesetzt werden muss.
Wir wollten nicht an einen solch dramatischen und schmerzhaften Punkt gelangen, aber nun, da wir dahin gelangt sind – und dies liegt sicher nicht in unserer Verantwortung –, widmen wir uns dem Aufbau einer politischen und gewerkschaftlichen, zivilen und demokratischen Opposition gegen die Regierung der EZB.
Aus: Liberazione, 11.11.2011.
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