von Ulla Jelpke
Die deutschen Sicherheitsbehörden beschränken sich nicht auf Schadensbegrenzung, sondern bereiten schon die nächsten Grundrechtseinschränkungen vor. Etwas anderes fällt diesem Staat im angeblichen Kampf «für Sicherheit» nicht ein.
Seit Wochen klagen unsere «Sicherheitspolitiker» über eine «neue Dimension des Rechtsterrorismus». Das Auffliegen der «Zwickauer Zelle» hat Landeskriminalämter, Landesverfassungsschutzämter und ihre Pendants auf Bundesebene kalt erwischt. Sie haben im Kampf gegen Rechts absolut versagt. Eine Frage wird allerdings viel zu wenig gestellt: Beruht dieses «Versagen» auf Irrtümern, auf mangelnden Fähigkeiten und unzureichenden Kompetenzen der Sicherheitsbehörden, oder hat es systemimmanente Ursachen?
Ich neige zu letzterem. Nicht weil ich eine Verschwörungstheorie aufmachen will und den ganzen Staatsapparat für von verkappten Nazis durchsetzt halte. Die gibt es zweifellos, man denke etwa an «Klein-Adolf» im hessischen Verfassungsschutz. Man denke an den thüringischen Ex-VS-Chef Helmut Roewer, der während seiner Amtszeit eine dubiose Nazifigur nach der anderen als V-Mann entlohnt hat und sich seit seiner Pensionierung in einem rechten Verlag unter Kriegsschuldleugner und Wehrmachtsapologeten mischt. Die Beispiele, auch die aus der Bundeswehr, sind hier gar nicht alle aufzuzählen.
Das eigentliche Problem sind aber nicht individuell auszumachende Nazis, sondern es ist ein Behördengeist, der seinen Hauptfeind stets links verortet hat. Polizei und Geheimdienste haben bei ihrer Gründung Tausende von (Alt-)Nazis in ihre Spitzenpositionen geholt. Das hat das Selbstverständnis der Behörde und ihrer Mitarbeiter unweigerlich geprägt. Einen ebenso wichtigen Beitrag lieferte der «Kalte Krieg» mit seiner bis ans Hysterische grenzenden Manie, den Feind im Osten, bei den Kommunisten, zu vermuten.
Eine unselige Tradition
Das entspricht einer unseligen Tradition, die weit zurückreicht in Deutschland, einem Land, das nicht einmal eine ordentliche bürgerliche Revolution zustande gebracht hat und in dem der Feind immer schon links stand. Wenn Bürger und/oder Arbeiter einmal revoltiert haben, waren Polizei, Militär und «Geheime» schnell zur Stelle, um Ruhe und Ordnung herzustellen. Und vermochten sie das nicht alleine, bedienten sie sich faschistischer Verbände. Die unselige Rolle von Freikorps und SA/SS bei der Verteidigung des Kapitalismus vor (tatsächlicher oder vermeintlicher) «roter Gefahr» ist hoffentlich unvergessen. Die NATO hielt sich ebenfalls eine Schattenarmee, die im Fall des Falles politische Gegner niederzumachen hatte, Stichwort: Gladio, eine Geschichte, die bis heute gedeckelt wird.
Das heißt nicht, dass der «Nationalsozialistische Untergrund» eine Vereinigung am langen Arm des Staatsapparats war. Aber es erklärt, dass Sicherheitsbehörden, die seit einer gefühlten Ewigkeit auf den Kampf gegen Linke, gegen Kommunisten, eigentlich gegen alles «Fremde», eingeschworen sind, für den Kampf gegen militante Faschisten nicht zu gebrauchen sind.
Warum wohl werden aus dem Sicherheitsapparat immer wieder nur neofaschistische, niemals aber «linksextremistische» Vorfälle vermeldet? Es gibt in diesen Apparaten keine radikalen Linken. Sie sind allenfalls für Rechte interessant. Das Gerede, der Apparat sei auf dem rechten Auge blind, ist Unsinn: Er wollte vieles nicht sehen; er wollte vieles von dem, was er gesehen hat, nicht verinnerlichen; und er wollte aus dem, was er verinnerlicht hat, keine Schlussfolgerungen ziehen. Man beachte den Unterschied zwischen nicht wollen und nicht können.
Links = rechts
Und nun? Schadensbegrenzung ist angesagt, das angeschlagene Image muss gerettet werden. Dazu gibt es verschiedene Strategien, wie dieser Tage zu beobachten ist. Die einen, nehmen wir den Bundesverfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm, schlagen sich selbstanklagend auf die Brust: Man hätte es «durchaus besser wissen können», heißt es in einer Rede von ihm, in der er selbstkritisch einräumt, die Mordbereitschaft der rechten Szene unterschätzt zu haben. «Schließlich kennen wir die historischen Vorbilder dieser Leute.» Rechtfertigend betont Fromm, sein Dienst habe im Jahresbericht 2005 über rechtsterroristische Aktivitäten berichtet. Umso interessanter, dass 2006, wie Mitte Dezember im Innenausschuss bestätigt, die Abteilung «Rechtsextremismus» aufgelöst (und mit «Linksextremismus» zusammengelegt) wurde.
Andere, wie BKA-Chef Jörg Ziercke, wiederholen ein ums andere Mal, sie hätten nie irgendwelche Hinweise auf Naziterroristen gehabt und daher auch nie die Chance gehabt, gegen diese vorzugehen. «Pech gehabt und dumm gelaufen», könnte man diese Haltung zusammenfassen.
Und dann gibt es da noch den neuen Generalbundesanwalt Harald Range: Nachdem einen Monat lang über Naziterror gesprochen wurde, antwortete der auf die Frage der FAZ, ob die Gefahr des Linksextremismus in der Vergangenheit nicht vielleicht ein wenig übertrieben wurde: «Nein. Wir ermitteln umfassend», wies auf die «Brandschläge gegen die Bahn» hin und leugnete, dass Gewalt gegen Personen eher von Nazis als von Linken ausgeht. Da ist er wieder, der «Extremismusansatz», der selbst angesichts von 140–180 seit 1990 von Nazis ermordeten Menschen links = rechts setzt und damit demonstriert, wie untauglich und unwillig er im Kampf gegen rechts ist.
Für Fromm wie für Ziercke wie für Runge und den kompletten Sicherheitsapparat ist ohnehin eines klar: Sofern Konsequenzen gezogen werden müssen, können diese nur auf ein «Noch mehr vom Gleichen» hinauslaufen. Und so wird das Budget des Verfassungsschutzes fürs Jahr 2012 um 14 Millionen Euro aufgestockt, die V-Leute bleiben, ein neues Antiterrorzentrum ist schon eingerichtet, eine entsprechende Datei im Prinzip beschlossen und nur noch in den Details zwischen den Regierungsfraktionen umstritten.
Das bedeutet: Noch ein Gremium, in dem sich Geheimdienstleute und Polizisten austauschen, und noch eine Datenbank, in der die Behörden alles zusammenlegen können, was sie wollen. Der Sicherheitsapparat, der auf der ganzen Linie versagt hat, zumindest in Teilen für den Naziterror mitverantwortlich ist, erhält noch mehr Rechte als bisher. Dass die neuen Regelungen keinen großen Nutzen bringen werden, dürfte auf der Hand liegen: Der Apparat bleibt schließlich der gleiche, seine Mentalität auch. Geheimdienstler, die bis jetzt die schützende Hand über ihre V-Leute gelegt haben, können das auch weiterhin, Antiterrorzentrum hin oder her. Was auf der Strecke bleibt, ist einmal mehr das Trennungsgebot. Etwas anderes als im Namen der Sicherheit Grundrechte einzuschränken, will diesem Staat eben nicht einfallen.
Wetten, dass es nicht lange dauert, bis das schon bestehende «Islamismus»-Abwehrzentrum und das neue «Rechtsextremismus»-Abwehrzentrum durch ein Abwehrzentrum gegen «Linksextremisten» ergänzt wird?
Ulla Jelpke ist Mitglied des Bundestags und innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.
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