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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2012

In kolonialer Manier

von Werner Ruhoff

Die USA wollen sich in Afghanistan dauerhaft festsetzen und stoßen damit auf Widerstand.

Seit Obamas Wahl zum ohnmächtigsten Mächtigen haben die USA die Zahl der Soldaten in Afghanistan auf mehr als 130000 verdoppelt. Die afghanischen Zivilopfer, einschließlich der 142 in Kunduz, sind seit 2008 um ein Drittel auf über 3000 gestiegen, die Dunkelziffer wird höher geschätzt. Mehr als 700000 Menschen sind seit 2006 geflüchtet.
Angriffe von Afghanen auf Nichtregierungsorganisationen, deren Aufbauhilfe den militärischen Zielen der ausländischen Truppen untergeordnet ist, haben zugenommen. Die soziale Situation der Bevölkerung hat sich im Gegensatz zu den Behauptungen der Kriegsbefürworter nicht gebessert. Mehr als die Hälfte ist immer noch unterernährt. Prostitution und Opiumabhängigkeit von Frauen nehmen zu. Allein zwischen 2005 und 2006 ist die Anbaufläche für Schlafmohn um 60% gestiegen. Schulen wurden wegen der Kampfhandlungen geschlossen oder teilweise zerstört. Die Alphabetisierungsrate ist gefallen und liegt bei Erwachsenen unter 25%.

Nach zehn Jahren Krieg wurde Anfang Dezember in Bonn wieder einmal in kolonialer Manier über Afghanistan konferenzt. Die korrupte Regierung Karzai mit ihren Warlords wurde genötigt, einem Tauschgeschäft zuzustimmen: Die politischen Investoren erwarten Entgegenkommen «in präzedenzlos deutlicher Sprache», so das Zitat eines Diplomaten, denn schließlich zahle man bis zum Jahr 2024 viel Geld an «Aufbauhilfe» für die Übergabe der polizeilichen wie militärischen Verantwortung an die afghanische Regierung. Wie die irakische Regierung wehrt sich Karzai aber gegen geplante US-Militärstützpunkte nach dem offiziellen Truppenabzug 2014, mit denen sich die USA in Afghanistan festsetzen wollen. Immerhin betrachten nach einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung mehr als die Hälfte der Afghanen die ausländischen Truppen als Besatzung.

«Truppen raus aus Afghanistan» lautete die Forderung der Friedensaktivisten, die vom 3.bis 5.Dezember in Bonn zu Protesten und einer Friedenskonferenz aufgerufen hatten. Geschätzte 3000–4000 Demonstrierende waren trotz des regnerischen Wetters erschienen, um ihren Unmut laut, auffällig und fantasievoll in die vorweihnachtlich gestimmte Öffentlichkeit zu tragen. Wolfgang Uellenberg von der Ver.di-Bundesverwaltung sprach sich im Namen der Gewerkschaft für den sofortigen Abzug aller ISAF-Truppen aus Afghanistan aus. Die Abstrafung Hans-Christian Ströbeles mit Eierwürfen durch eine Gruppe Demonstrierender wegen der Kriegspolitik seiner Partei wurde von den meisten missbilligt.

Auf der alternativen Friedenskonferenz, die am Sonntag von etwa 350 Teilnehmenden aus 17 Ländern besucht wurde, vertrat die afghanische Aktivistin Malalai Joya hartnäckig den Standpunkt, «der Westen» vertrete nur seine eigenen Interessen in Afghanistan und weite den Krieg auf Pakistan aus. Die einfachen Menschen seien die Leidtragenden zwischen den Fronten von Taliban und ausländischen Truppen. Der US-amerikanische Friedensaktivist Joseph Gerson forderte die Anwesenden auf, im März 2012 gegen den gemeinsamen NATO- und G8-Gipfel in Chicago zu demonstrieren. Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung wies darauf hin, dass die am 4.Februar geplante «Sicherheitskonferenz» der NATO in München für uns die näher liegende Möglichkeit sei, sich gegen die NATO in Bewegung zu setzen.

Am Montag schlossen die Aktivitäten der Friedensbewegung mit einer kleinen, aber von zahlreichen bewaffneten Polizisten umringten Demonstration von der Bonner Museumsmeile zum Rheinschiff Beethoven, wo noch einmal die Gelegenheit bestand, mit Malalai Joya und Joseph Gerson zu diskutieren. Drei Frauen der Linksfraktion im Bundestag berichteten über ihre Aktion im Plenum der neokolonialen Konferenz. Mit einem aufgerollten Transparent, auf dem «NATO = Terror» zu lesen war, konnten sie für einen Moment Aufsehen im Plenarsaal des alten Bundestags erheischen. Westerwelle soll dem verlegenen Karzai daraufhin erklärt haben, dass in einer Demokratie auch so etwas möglich sei. Na denn!

 

Informationen zu Münchner Sicherheitskonferenz unter www.sicherheitskonferenz.de.

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