von Thies Gleiss
Der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der LINKEN im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat seine Kandidatur für den Vorsitz der LINKEN angemeldet. Am liebsten wäre ihm ein Mitgliederentscheid, aber er will auch antreten, wenn nur ein Parteitag den neuen Vorsitzenden wählt.
Viel spricht dafür, dass Dietmar Bartsch sich an diesem Projekt verheben wird. Weder ist sein – vor allem über den Parteiapparat und alte PDS-Netzwerke abgesicherter – Einfluss in der Partei groß genug, noch hat er die inhaltliche und persönliche Ausstrahlung und Autorität, die er zu haben glaubt und die ihm treue Medienleute stets andichten. Es ist wie in einem schlechten Drama: Die ewige Besetzung mit der Zweitrolle, der beste Freund des Hauptdarstellers, oder auch nur der bestens vorgegaukelte beste Freund wittert offenbar seine letzte Chance, noch etwas im Rahmen seiner Politik- und Parteivorstellungen zu werden.
Ob es zu einer Urabstimmung unter den Mitgliedern kommt, auf die ein formeller Parteitagsbeschluss folgen soll, ist aus Satzungsgründen und wegen der vorgeschriebenen Doppelspitze sehr umstritten, eine Königsbraut hat Dietmar Bartsch trotz aller Anstrengungen und Telefonate nicht finden können. Aber von großer Bedeutung ist diese Frage nicht.
Dietmar Bartsch bewirbt sich und lässt sich bewerben mit Attributen und Eigenschaften, von denen die Partei deutlich zu viel, und dies gerade auf Führungsebene, hat. Er sei gut aussehend, in den Medien vorzeigbar und für Talkshows geeignet, bei «BündnispartnerInnen» könne er sich benehmen und jede Unverbindlichkeit verbindlich verkaufen. Er selbst erklärt seine persönlichen Nöte mit dem in Erfurt angenommenen Parteiprogramm und seine Vorliebe für Programmlosigkeit zur Tugend: Jetzt wäre genug beschlossen und verkündet, nun müsse man geschlossen zur Tat schreiten, sich um Mehrheiten kümmern und die inhaltliche Selbstdarstellung zugunsten des Machbaren reduzieren. Kurzum: ein einziger Angriff der Sekundärtugenden.
Zu seinem großen Unglück steht Dietmar Bartsch allerdings gerade für das Desaster dieser Politik. Mit den von ihm maßgeblich geprägten Wahlkämpfen und Parteiaufbaukampagnen wurde die frühere PDS ruiniert – die sich durch die Vereinigung zur LINKEN retten konnte – und die ursprüngliche Ausstrahlung der LINKEN als Trägerin «einer neuen sozialen Idee» zerstört. Der Kollateralschaden der Sekundärtugenden ist für eine Partei der Veränderung – und mindestens das sollte eine LINKE ja sein – immer der mehr oder weniger beschleunigte Absturz in die Langweiligkeit. Dietmar ist ein Beschleuniger.
Das Hauptproblem seines Vorpreschens ist allerdings, dass er gar nicht vorprescht, er hinkt einer in der Medienöffentlichkeit erzeugten angeblichen Führungskrise der LINKEN hinterher. Er bestätigt die Legende und bietet ihre Wiederholung als Lösung an. Gerade das spaßige Angebot, eine Chimäre reiten zu wollen, gibt seine Kandidatur jetzt landauf landab dem Spott preis – das ganze zu einem Spottpreis, der auch so manchem Klon in der Partei die Chance für große Auftritte auf Kosten des Original-D.B. gibt.
Das kleinste Problem der LINKEN heute sind ihre Führungsköpfe, auch wenn deren Kopflosigkeit manchmal zum Heulen ist. Ein Austausch von Häuptlingen wird an der Krise des weiteren Fortkommens der LINKEN nichts oder nur wenig ändern – selbst wenn am Ende des Tauschprozesses die Rückkehr des goldenen Oskars steht. DIE LINKE steht vor der Frage, ob sie sich vom Störfaktor im bürgerlich-parlamentarischen Politikgeschäftsbetrieb vollends zu einer Mitspielerin und Mitgestalterin verwandeln will. Will sie das nicht, dann fehlt es nicht an Sekundärtugenden, sondern am politisch-programmatischen Ziel, eine Partei der Bewegung, des radikalen Bruchs mit dem Bestehenden, des großen Entwurfs des Sozialismus als Alternative zu werden. Dann fehlt es am Willen, sich von der Allmacht der Parlamentsfraktionen (z.B. durch rigide Trennung von Amt und Mandat, durch Amtsbefristungen) zu befreien. Dann fehlt es am Aufbau von jungen, kollektiven Parteiführungen, denen die Mitgliedschaft und deren Interessen das erste Anliegen sind. Solche Parteiführungen sind nicht mit Urabstimmungen und feudalem Personenkult aufzubauen, sondern mit einem hartnäckigen programmatischen Ausbildungsprozess und einer Bewegungspraxis in den wirklichen Kämpfen in dieser Zeit.
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