von Heiko Bolldorf
Am 9.Dezember 2011 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel den Beitrittsvertrag mit Kroatien, das zum 1.Juli 2013, nach Ratifizierung des Vertrags durch alle Mitgliedstaaten, Mitglied der EU werden soll. Im Frühjahr wird in Kroatien allerdings noch ein Referendum über den Beitritt stattfinden; nach gegenwärtigen Umfragen sind etwa 60% der Bevölkerung dafür.
Bereits jetzt ist absehbar, dass damit der nächste Krisenstaat beitritt. Anfang der 90er Jahre wurde der kroatischen Industrie schwerer Schaden zugefügt: Betriebe fielen an Parteifreunde des Präsidenten Tudjman, denen es nur darum ging, Kapital abzuziehen, ohne in die Produktion zu investieren. Hinzu kamen der Verlust des jugoslawischen Marktes und das Gewicht von Branchen, die in ganz Europa in der Krise sind, wie Schiffbau und Textil.
So lebt Kroatien heute recht einseitig von Tourismus, Handel und Finanzdienstleistungen. Im letztgenannten Bereich sind insbesondere österreichische und italienische Banken aktiv, deren Kredite 2002–2007 Wachstumsraten von 4 bis 5% ermöglichten. Dieses Wachstum auf Pump – 2009 mussten 43% der Kroaten über 20% ihres Einkommens für den Schuldendienst aufbringen – endete mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008.
Die Kreditbedingungen sind restriktiver geworden, 2010 schrumpfte die Wirtschaft um 1,7%. Die Staatsverschuldung beträgt gegenwärtig 102% des Bruttoinlandsprodukts, die Arbeitslosigkeit liegt bei über 18%. Dazu kommen 70000 Beschäftigte ohne regelmäßige Lohnzahlung. Die Erwerbslosigkeit unter den 15- bis 24-Jährigen betrug Ende 2009 25%, über die Hälfte der Erwerbslosen sind Frauen. 2010 erhielten 88% aller Neueingestellten einen befristeten Vertrag.
Beitrittszwänge und -widersprüche
Die am 4.12.2011 abgewählte konservative Regierung von Ministerpräsidentin Jadranka Kosor antwortete mit einem Sparprogramm, das Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst und eine befristete Krisensteuer umfasste. Statt ökonomischer Entwicklung hat also Haushaltskonsolidierung oberste Priorität – somit wird die gleiche Linie verfolgt, die mit den Beschlüssen des Brüsseler Gipfels für die gesamte EU verbindlich werden soll: weiteres Abwürgen der wirtschaftlichen Entwicklung statt Angleichung der Lebensverhältnisse nach oben.
Kroatien hat durch seine weitgehende Deindustrialisierung bereits jetzt eine ähnliche ökonomische Struktur wie Griechenland – damit ist absehbar, dass es in den folgenden Jahren als nächster «Pleitestaat» ausgemacht werden wird und einer ähnlichen «Kur» unterzogen wird wie gegenwärtig Griechenland und andere Länder der EU-Peripherie. Schon im Verlauf der Beitrittsverhandlungen wurde deutlich, wo die Prioritäten der EU liegen: Kroatien musste die Subventionen an seine Werften streichen und löste das Problem durch Privatisierung.
Der Beitritt wird weder die Lebensbedingungen der kroatischen Bevölkerung verbessern, noch der EU Stabilität bringen. Diese hat jedoch mit der Südosterweiterung einen Prozess eingeleitet, aus dem sie nicht ohne weiteres wieder aussteigen kann.
Seit Beginn des Krieges in Jugoslawien 1991 hat die EU ein erfolgreiches «Krisenmanagement» auf dem Balkan zum Prüfstein der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erklärt. Eine Beitrittsperspektive galt dabei als Heilmittel, um Stabilität in der Region zu schaffen. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die die EU im Zuge der Beitrittsverhandlungen fördert, destabilisiert den Balkan jedoch. Die Ethnie als Schutzraum bleibt unter solchen Bedingungen attraktiv – insbesondere für Bosnien-Herzegowina gilt, dass die Zugehörigkeit zur «richtigen» Ethnie zu Vorteilen im Konkurrenzkampf um knappe Ressourcen führen kann.
Im Widerspruch zwischen diesen beiden Politikfeldern hat sich eine Politik des Aussitzens durchgesetzt – aufgenommen wird ein Land wie Kroatien, das gerade nicht von extremen inneren Spannungen gekennzeichnet ist, in der Hoffnung, dies könne Vorbildwirkung für die restlichen Balkanstaaten haben, deren Beitritt gleichzeitig immer wieder hinausgeschoben wird, wie zuletzt im Falle Serbiens.
Schwache Linke
In Kroatien ist das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang, dass eine linke, emanzipatorische Kritik an der EU kaum vorhanden ist. Sowohl die am 4.12. abgewählte konservative HDZ (Hrvatska Demokratska Zajednica – Kroatische Demokratische Gemeinschaft) als auch die Parteien der neu gewählten Kukuriku-Koalition, angeführt von der SDP (Socijaldemokratska Partija Hrvatske – Sozialdemokratische Partei Kroatiens) sind klare Befürworterinnen des Beitritts. Die neu ins Parlament eingezogenen, linkssozialdemokratischen «Hrvatski Laburisti» (Kroatische Arbeiter) um den früheren Gewerkschaftsvorsitzenden Dragutin Lesar äußern lediglich vorsichtige Skepsis: Erst müsse das Volk die Details des Beitrittsvertrages kennen um zu entscheiden, ob der Beitritt ein Grund zum Feiern sei.
Die parlamentarische Opposition gegen die EU wird vor allem vom rechten Rand repräsentiert: von der HSP (Hrvatska Stranka Prava – Kroatische Partei des Rechts), die der EU u.a. fehlenden Respekt vor den kroatischen «Heimatverteidigern», die Förderung des Atheismus und die Zwangsvereinigung Kroatiens mit anderen exjugoslawischen Staaten vorwirft. Eine radikal linke EU-Kritik wird eher von gesellschaftlich isolierten Gruppen wie «Radnicka Borba» (Arbeiterkampf) vertreten – diese Organisation steht der IV.Internationale nahe und fordert eine europäische Vereinigung auf sozialistischer Grundlage.
So entsteht eine, wichtige Probleme verschleiernde, Frontstellung zwischen «weltoffenen Europäern» und «dumpfen Nationalisten». Hinzu kommt, dass aufgrund des Erbes des Jugoslawienkriegs die Alternative einer regionalen Integration in absehbarer Zeit kaum breite Unterstützung finden wird.
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