Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2012
«My Home is my Castle», Länge: 75 Minuten, Deutschland, 2011, Buch und Regie: Alexander Kleider, Daniela Michel, Marco Müller, Musik: Eckes Malz

von Angela Huemer

Die Motivation für diesen Film ist hochpolitisch – die Schlagzeilen, die in den letzten Jahren aus Ungarn zu uns dringen, drehen sich vor allem um offenen Rassismus, Rechtsradikalismus und massive Einschränkungen der Pressefreiheit. Grund genug also, einen harten, polemischen Film über Lebenswelten in Budapest zu machen.
Alexander Kleider, Daniela Michael und Marco Müller tun jedoch dankenswerterweise genau dies nicht. Sie machen einige Schritte zurück und besinnen sich darauf, was Politik konkret bedeutet, wie sie das Leben von Menschen beeinflusst. Sie sehen sich genau an, wie Menschen in Budapest leben, wie sie ihre allerengste Umgebung gestalten, ihr Zuhause.

«My Home is my Castle» kann heißen, mein Heim bedeutet mir alles, aber auch: Mein Heim ist meine feste Burg, mein Bollwerk gegen außen. Genau in so einem Bolllwerk lebt der Bálint, ein hochbegabter Junge. Mithilfe seiner Legosteine zeigt er, wie die «Gated Community», die abgeschottete Wohnsiedlung, funktioniert, in der er mit seiner Familie, Vater, Mutter und zwei Geschwistern lebt. Er erzählt, dass einige Menschen die neue Lage nach dem Ende des Stalinismus gut zu nutzen wussten und das der Grund ist, warum er und seine Familie ein so gutes Leben haben.

Andere haben es weniger gut, Kázmér und Ica leben in einer selbst zusammengeschusterten Hütte in einem Wald. Niemals, sagen sie, hätten sie sich vorstellen können, obdachlos zu sein. Doch ein wenig Geld haben sie, und sie arbeiten viel, um sich etwas Eigenes leisten zu können. Denn im Wald gibt es nicht nur ihre Hütte, und die Hütten werden immer wieder geräumt – der Förster warnt sie, er weiß nicht, wann ihre Hütte dran sein wird, aber es wird wohl unvermeidbar sein. Man sieht dem Förster an, wie er mitfühlt und wie unangenehm es ihm ist, so eine Nachricht zu überbringen.

Szabina, eine junge Roma-Geigerin lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Wohnung, mehr schlecht als recht haben sie ihr Auskommen. Als die Mutter die fälligen Rechnungen durchsieht, meint sie sarkastisch: «Nun ja, ihr könnt wählen, zahlen wir die Rechnungen oder essen wir? Ihr meint, essen sollen wir? Tja, dann tun wir das.» Szabina ist Geigerin und erhält die Chance, auf einer Tournee durch Frankreich mitzufahren. Das ist zwar interessant, aber auch hart. Mit im Gepäck ist viel haltbarer Proviant. In dem Jahr, in dem das Filmteam Szabina begleitet, stellt sie Weichen für ihr Leben, sie wünscht sich eine geregelte Arbeit und vor allem Sicherheit. Sie bespricht sich mit ihrer Mutter, sie will einen Beruf, den man immer braucht, Lehrerin zum Beispiel. Musik braucht man auch immer, meint die Mutter.

Vor ihrer Fahrt nach Frankreich sieht sie sich Bilder von Paris an und meint, das mit dem Rassismus ist dort in Frankreich wohl besser als hier in Ungarn. Der alltägliche Rassismus in Ungarn tut weh, die Frau in der U-Bahn, die ihre Tasche ganz eng an sich presst, erzählt Szabina, nur weil sie neben ihr steht. Und dann bittet die Frau sie sogar noch, ein bisschen Abstand zu halten. «Man sieht mir eben meine Herkunft an.» Wird es jemals die gleichen Möglichkeiten für sie geben, die gleichen Voraussetzungen? Wohl nicht, denkt sich der Zuschauer.

Ein Jahr lang begleiten wir diese Familien, diese drei so unterschiedlichen Zuhause. Wir sehen und hören genug, um uns ein Bild zu machen, um zu sehen, dass auch der Vater des hochbegabten Jungen in der Gated Community sich durchaus der sozialen Schieflage bewusst ist. Keine Erzählung erklärt etwas oder sagt uns, was wir sehen sollen. Und das ist ganz wunderbar so. Die Konzentration auf die drei Familien und die klare Struktur entlang der vier Jahreszeiten hilft.

Nach Im Schatten des Tafelbergs ein äußerst gelungener weiterer Film der Kölner Kooperative Dokwerk. Am 9.November hatte der Film in Ungarn Premiere.

 

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