Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2012
Wie soll es nach der Räumung der Zeltplätze und angesichts des Wintereinbruchs mit der Besetzungsbewegung in den USA weiter gehen? Dazu Vorschläge von Dokumentarfilmregisseur Michael Moore für die Generalversammlung von Occupy Wall Street.
Freunde, der Winter ist nun da. Die Wall-Street-Leute freuen sich, sie hoffen, dass der Wechsel der Jahreszeiten auch unseren «Spirit» verändert, unser Engagement, sie zu stoppen.

Da haben sie sich aber gewaltig geirrt. Haben sie denn nicht von George Washington und seinem Winterlager in Valley Forge 1777/78 gehört? Vom großen Streik in Flint, Michigan, im Winter 1936/37? Der Winter war schon immer die Zeit, in der die Leute durchhalten und die bösen Mächte sich zurückziehen!

Nach nicht mal zwölf Wochen ist Occupy Wall Street schon so gewachsen, dass niemand mehr einen Überblick hat über die Tausenden von Aktionen in Hunderten von Städten. Den nationalen Diskurs hat das unwiderruflich verändert. Die Leute sind nicht mehr durch Verzweiflung und Apathie gelähmt, und es ist an der Zeit, dass wir unser Land von den Bankern und Lobbyisten zurückerobern – und von ihren Handlangern, den Kongressabgeordneten und Mitgliedern der Parlamente der 50 US-Bundesstaaten.

Es gibt viele Arten, «Occupy Wall Street» im Winter aufrecht zu erhalten, hier einige Vorschläge für die General Assembly:

1. Besetzen wir unsere Häuser. Sorry, Banken, ein Dach über dem Kopf ist ein Menschenrecht, und ihr werdet nicht länger unsere Häuser durch die Kündigung von Hypotheken besetzen. Euch gehört vielleicht die Hypothek, aber ihr habt nicht das Recht, uns oder unsere Nachbarn auf die Straße zu setzen. Derzeit ist eine von drei Hypotheken ganz oder fast gekündigt – deshalb müssen sich örtliche «Occupy-Einsatztruppen» bilden, um menschliche Schutzschilder zu schaffen, falls die Banken die Leute aus ihren Häusern werfen wollen.

Wenn die Kündigung der Hypothek bereits erfolgt ist, müssen wir den Familien helfen, wieder in ihre Häuser einzuziehen. Von heute an (6.Dezember) haben «Take Back the Land» und viele andere Bürgerorganisationen im ganzen Land die Aktion «Occupy Our Homes» gestartet – dabei haben viele Familien tatsächlich ihre Häuser wieder übernommen. Das geschieht solange, bis die Banken gezwungen werden, ihre betrügerischen Praktiken zu stoppen, und die Hausbesitzer ihre Hypotheken so ändern, dass sie den wahren Wert ihrer Häuser spiegeln; und solange bis die, die sich eine Hypothek nicht mehr leisten können, in ihren Häusern bleiben und Miete zahlen können.

Erinnert euch an das, was die Kongressabgeordnete Marcy Kaptur aus Toledo gesagt hat: Verlasst nicht eure Häuser, wenn die Bank euch die Hypothek kündigt! Zerrt sie vor Gericht und bittet den Richter, dass er die Bank zwingt, eine Kopie der Hypothek vorzulegen – das können sie nicht, denn die Hypothek wurde auf hundert verschiedene Pakete aufgeteilt, neu gebündelt und mit rund hundert anderen Hypotheken an die Chinesen verscherbelt. Wenn die Bank die Hypothek nicht vorweisen kann, kann sie niemanden rauswerfen.

2. Besetzt eure Universitäten. In den meisten demokratischen Ländern kann man kostenlos oder gegen geringe Gebühren studieren. Diese Länder wissen, dass sie für den Fortschritt ihrer Gesellschaft eine gebildete Bevölkerung brauchen. Sonst leiden Produktivität und Innovation und es fehlt eine informierte Wählerschaft.

In den USA rangiert Bildung ganz unten auf der Prioritätenliste, Studenten, die nur wenig von der Welt oder der Wirtschaft wissen, werden von Schulden erdrückt, noch bevor sie ihren ersten Job antreten. Die Studenten sollten diesen Winter mit dem verbringen, was sie bereits auf Dutzenden von Unis tun: dem Besetzen von studentischen Kreditbüros und dem Zelten auf dem Campus.

Wir, die Generation der 60er Jahre, haben versprochen, eine bessere Welt für Euch zu schaffen. Den halben Weg dorthin haben wir zurückgelegt, nun müsst Ihr weiter machen. Hört nicht auf damit, bis alle Kriege beendet, das Pentagon-Budget halbiert ist und die Reichen gezwungen sind, ihre Steuern zu zahlen. Und verlangt, dass das Geld für eure Ausbildung ausgegeben wird. Wir werden euch dabei helfen!

3. Besetzt euren Job. Nutzen wir diesen Winter, die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften zu steigern. Und wenn ihr schon einer Gewerkschaft angehört, fordert von euren Vertrauensleuten, dass sie so aggressiv auftreten wie unsere Großeltern. Ihr wisst doch, dass wir keine Mittelschicht hätten, wenn es nicht die Streiks der 30er bis 50er Jahren gegeben hätte. In drei Wochen feiern wir das 75.Jubiläum der 44-Tage-Besetzung der General-Motors-Werke durch die Arbeiter meiner Heimatstadt Flint, im Bundesstaat Michigan. Ihre Aktionen waren Ansporn für eine Arbeiterbewegung, die viele Millionen aus der Armut in die Mittelschicht führte.

Höchste Zeit, dass wir das wiederholen. Laut dem Statistikbüro und der New York Times leben 100 Millionen Amerikaner in Armut oder an der Armutsgrenze. Eine Schande. Gier hat unsere Gesellschaft im Kern zerstört. Wenn eure Firma droht zu schließen und die Jobs anderswohin zu verlagern, besetzt euren Arbeitsplatz.

4. Besetzt eure Bank. Das ist einfach. Verlasst sie und eröffnet ein Konto bei einer Non-Profit-Kreditunion. Das ist sicher, und die Entscheidungen, die dort getroffen werden, basieren nicht auf Gier. Und sollte eine Bank versuchen, euren Nachbarn die Hypothek zu kündigen, besetzt die Filiale vor Ort mit zwanzig anderen, verständigt die Medien und verkündet es im Internet.

5. Belagert den Versicherungsvertreter. Es ist höchste Zeit, dass wir uns nicht nur für die 50 Millionen einsetzen, die keine Krankenversicherung haben, sondern auch für die Abschaffung der profitorientierten, privat kontrollierten Versicherungsagenturen.

Besetzen wir also den Winter – ein «Occupy Wall Street»-Winter führt uns gewiss in einen hoffnungsvollen, amerikanischen Frühling.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.