von Christel Berger
Knapp hundert Seiten, die es in sich haben! Wieder offenbart Volker Braun eine andere Seite seines Könnens: Diesmal schreibt er – «ein Narr» – über etwas, das es nicht gab: einen Aufstand von Arbeitern, die nach der Auflösung der DDR ihre Betriebe zurückhaben wollen.
Aber ganz erfunden ist die Geschichte nicht: Da ähneln manche Vorgänge, die dem Aufstand vorausgehen, denen in Bischofferode. Da heißt eine Sozialministerin Hilde Brand und einer der wenigen aufrechten Bürgerrechtler Schurlamm, ein Führer im Aufstand gar Mintzer. Ja, auch Erfahrungen und Fakten des Bauernkriegs und anderer historischer Erhebungen im Mansfeldischen sind im Spiel, das selbstverständlich schlimm ausgeht: «Sie würden demokratisch ausgehungert werden», ahnt Mintzer im voraus. Aber ihre Utopie ist überlebensfähig. Zu den zwölf «Mansfelder Artikeln von den gleichen Rechten aller» fügt er hinzu: «Die Zukunft ist ein unbesetztes Gebiet. Sie ist offenzuhalten für Anmut und Mühe. Falls eine Forderung dem entgegensteht oder dem Grundgesetz widerspricht, wird auf (sie) es verzichtet.»
Wieder schafft Braun eine Collage aus Fiktivem und Faktischem, stellt die Erfahrung der Niederlagen neben die Utopie. In den Text montierte Zitate seiner Kollegen (unter anderem Goethe und Novalis) und aus der Bibel geben dem Text zusätzlichen historischen und ästhetischen Atem. Dabei sind die von Braun gefundenen Begriffe und Verallgemeinerungen verblüffend plausibel: «Liegen- und Lassenschaften», «Sanktjederleinstag», «wo man kaufen ging, wollte man nicht kämpfen», «man habe einen Rechtsstaat, aber kein Rechtsvolk», der «Beruf der großen Menge: Zuschauer» und und und. Als Philosoph und Lyriker, Chronist und sozialistischer Träumer in einer Person, denkt er über das Wesen und den Sinn von Eigentum nach und über Gewalt, über den Wert von Arbeit sowieso. Ein Buch, das mehrmals zu lesen lohnt.
Aus: Ossietzky, Nr.23, 12.11.2011.
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