Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2012
Wenn der Bock zum Gärtner gemacht wird

von Angela Klein

Hält man sich an die Legende, dass die Eurokrise mit der «Griechenpleite» begonnen hat, rückt vor allem ein Akteur in den Vordergrund: Goldman Sachs. Die US-amerikanische Investmentbank half Griechenland Anfang 2002 den Kredit einzufädeln, den das Land brauchte, um sein Haushaltsdefizit zu kaschieren und eurokompatibel zu werden. Acht Jahre und eine Bankenkrise später erweist sich dieser Kredit als Sargnagel der griechischen Wirtschaft und, wer weiß, vielleicht des Euro insgesamt.
Dafür wurden allerdings die griechischen Arbeiter und Angestellten zur Rechenschaft gezogen, kein Verantwortlicher von Goldman Sachs, auch nicht der PASOK-Regierung, die diesen Handel damals zuwege brachte. Im Gegenteil, die Bank wusste sich weiterhin unentbehrlich zu machen, nun nicht mehr als Kreditgeber, sondern als Reparaturwerkstatt für die von ihr angerichteten Scherben: 2010 holte Giorgos Papandreou Petros Christodoulous an die Spitze der griechischen Finanzagentur, die die Staatsschulden verwaltet, er selbst wurde im November 2011 von Loukas Papademos abgelöst.

Die neuen Machthaber

Den Reigen der neuen Machthaber in Europa eröffnete Mario Draghi, der am 1.November 2011 an die Spitze der EZB wechselte. Mario Monti, der neue Regierungschef Italiens ist vom selben Kaliber – alles Männer von Goldman Sachs. Sie umgeben sich mit der autokratischen Aura des «Technikers», «Unabhängigen» und «Neutralen», der sich nicht von Parteiengezänk leiten lässt, sondern aus den luftigen Höhen seines «Expertenwissens» sich großzügig über gewählte Regierungen und Bevölkerungsmehrheiten hinwegsetzen. Ihr «Fach» ist das des Bankers und Anwalts der großen Kapitalanleger.

In Frankreich und Deutschland agieren andere Banken nicht weniger effektiv, nur dass sie hier Merkozy noch vor sich herschieben. Aber es ist kein Geheimnis, dass das deutsch-französische Duo sein Konzept für eine Änderung des Lissabon-Vertrags (jetzt: den neuen Euro-Vertrag) in enger Absprache mit dem EZB-Chef, der Deutschen Bank und BNP-Paribas durchgesetzt haben.

Europa wird jetzt von den Banken regiert. Konnte man früher sagen, die erste Geige in der EU spielen die Staats- und Regierungschefs, so hat sich dies seit dem Lehman-Krach dramatisch geändert. Banken entsenden nicht nur Regierungschefs, sie schieben auch EU-Institutionen vor sich her: die Kommission, das Europaparlament, die Eurogruppe – im Politsprech heißt es, sie «beziehen sie ein», die Sprache verrät schon: es handelt sich hier um den Hofstaat. Dessen ungekrönter König ist die EZB, aber dieser König ist selber nur ein Lakai der (institutionellen) Kapitalanleger. Das ist der Sinn der «Unabhängigkeit» der EZB: Unabhängigkeit von der Politik, damit die Finanzwelt direkten Zugriff auf die monetären (und somit gesellschaftspolitischen) Entscheidungen bekommt.

Bauchlandung

Schaffen es die Banker denn nun, der Bankenkrise Herr zu werden? Sind die «Experten aus dem eigenen Hause» fähig zu tragfähigen Lösungen? Mitnichten. Kaum war der hehre Schwur verklungen, man werde «auch ohne England» gemeinsam den Sprung ins neue Zeitalter der Stabilitätsunion wagen, meldete sich schon die Ratingagentur Moodys zu Wort: Wir glauben euch nicht, und werden euch weiter herabstufen. Dasselbe musste übrigens Mario Monti erfahren, nachdem er Berlusconis letztes Sparprogramm ein drittes Mal verschärft hatte: die Zinsen für Staatsanleihen stiegen trotzdem auf 6,5%. Zeitgleich sank die Gemeinschaftswährung erstmals sei Mitte Januar unter die Marke von 1,30 Dollar.

So wirklich interessiert sich ja auch kein Kapitalanleger dafür, ob nun der EU-Vertrag geändert oder nur ein Protokoll dazu umformuliert wird, er interessiert sich nicht einmal dafür, wie hoch die Schulden eines Staates sind – solange der nur die geforderten Zinsen zahlen kann. Alles was ihn interessiert in dieser stürmischen Zeit ist ein sicherer Hafen für sein Geld. Diese Sicherheit kann kein einzelner EU-Staat mehr garantieren, nicht einmal Deutschland, weshalb auch Deutschland inzwischen eine Herabstufung angedroht wurde.

Bei Lichte betrachtet gibt es deshalb (aus Sicht der Kapitalanleger) letztlich nur eine Sicherheit: die Notenpresse, die EZB muss tätig werden. Und sie wird es auch tun, ungeachtet der Demonstration preußischer Sekundärtugenden, die Frau Merkel meinte an den Tag legen zu müssen, um ihre Frondeure zu Hause an die Leine zu legen. Weshalb auf deutsches Betreiben ein Passus aus der EU-Vereinbarung herausgenommen wurde, den der Präsident des Europäischen Rats, van Rompuy, der den Entwurf geschrieben hatte, gern drin behalten hätte: dass Eurobonds (Gemeinschaftsanleihen) im Zweifelsfalle eine Option bleiben. Es muss also alles nochmal schlimmer kommen, bevor die kurzsichtigen, von ihren Exporterfolgen abgefederten Deutschen sich dem stummen Zwang der Verhältnisse ergeben.

Die Reihenfolge ist entscheidend

Selbst Mario Draghi hat ein stärkeres Eingreifen der EZB nicht ausgeschlossen. Anfang Dezember schlug er den Chefs der Euroländer einen Deal vor: Er forderte einen neuen Haushaltspakt, um die Eurowährung glaubwürdiger zu machen. «Andere Elemente könnten folgen, aber die Reihenfolge ist entscheidend», meinte er dann. Diplomaten deuteten die Bemerkung so, Draghi könne dann durchaus zu Feuerwehreinsätzen bereit sein. Die Reihenfolge ist entscheidend, erst die Einwilligung in die Kastration, dann die offene Hand der EZB (siehe dazu die EU-Beschlüsse auf S.12).

In diesem kleinen Satz liegt die Erklärung dafür verborgen, warum sich die Banken, das exportorientierte Kapital und die Regierungen in Europa so massiv an der «Fiskalunion» festbeißen – d.h. an dem Dogma, die Märkte würden erst dann wieder Vertrauen schöpfen, wenn die öffentlichen Haushalte ihre Verschuldung auf 0,5% des Bruttoinlandsprodukts heruntergefahren hätten. In Zeiten der Weltwirtschaftskrise und der heraufziehenden Rezession eine absurde Vorstellung.

Aber sie hat eine Logik. «In dieser Reihenfolge» sagt: Wir werden die Notenpresse nicht eher anwerfen, als bis wir alle institutionellen und ökonomischen Hebel in der Hand haben um zu verhindern, dass das Geld, das wir drucken, jemand anderem zugute kommt als den Kapitalanlegern – schon gar nicht den Sozialhaushalten oder öffentlich geförderten Wirtschaftssektoren. Es muss um jeden Preis sicher gestellt sein, dass das Geld nicht in die falschen Hände, die des Steuerzahlers, gerät.

Das ist jetzt schon Praxis: Von den Krediten, die die EZB mit Griechenland und Portugal vereinbart hat, sehen die Regierungen den geringsten Teil. «Von den 78 Mrd. Euro an EZB-Krediten gehen 54 Mrd. direkt an die Gläubiger», zitiert Le Monde Diplomatique (Dezember 2011) Miguel Portas, der für Portugal in der Linksfraktion im Europaparlament sitzt. «Man hat uns erklärt, die Banken, bei denen die Staatsschulden liegen, hätten Vorrang. Um das zu finanzieren, werden die Löhne gedrückt und die Preise angehoben. Das Großkapital wird völlig verschont – im Namen der Notwendigkeit, Investoren anzulocken.»

«Wir geben den Banken jede Liquidität, die sie von uns fordern», zitiert Le Monde Diplomatique einen Vertreter der EZB, und fährt dann fort: «Während man den Staaten die Kredite nur zu bestimmten – und zwar strengsten – Konditionen gewährt, gilt für die Banken das Selbstbedienungsprinzip. Der Deutschen Bank oder der französischen BNP-Paribas haben Trichet – oder jetzt Draghi – nicht damit gedroht, dass ihnen die EZB nur dann unter die Arme greift, wenn sie sich aus den Steueroasen zurückziehen, die Spekulation mit Staatsobligationen einstellen und sich auf die Finanzierung der Realwirtschaft konzentrieren. Kein Anzugträger von der EZB ist bei der Commerzbank oder der Crédit Agricole aufgetaucht und hat die Bilanzen so genau unter die Lupe genommen wie im Athener Gesundheitsministerium, und anschließend genauso arrogante Ermahnungen erteilt.»

Ein Fränkisches Reich?

Die «Fiskalunion», angeblich der Vorhof zur politischen Union Europas, wird sein Totengräber werden:

– die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten werden ausgepresst, um die Coupon-Schneider bei den Finanzinstituten zufrieden zu stellen – so wie es die Banken und der IWF jahrzehntelang gegenüber den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas getan haben; Europa tritt in ein «verlorenes Jahrzehnt»;

– die Automatisierung der Sanktionen und die Schaffung neuer, angeblich «neutraler» europäischer Institutionen wie dem ESM dienen dazu, die zentralen Entscheidungen über die Zukunft Europas dem politischen Meinungskampf und demokratischen Entscheidungsprozessen zu entziehen (und dem Volkszorn die Identifizierung einer Zielscheibe zu erschweren);

– und schließlich, last but not least, verschärfen die Brüsseler EU-Beschlüsse nicht nur die sozialen Ungleichgewichte in der Union, sondern lassen erstmals auch politische Ungleichgewichte zu. Die Einführung der IWF-Regeln für den ESM bedeutet nämlich nichts anderes, als dass reiche Staaten mehr Stimmen haben als ärmere. Deutschland wird also erstmals in Europa wieder eine nackte politische Dominanz ausüben; es hat im ESM sogar ein Vetorecht, das den meisten anderen Staaten nicht zusteht.

Glaubt jemand allen Ernstes, eine Europäische Union, die vor 60 Jahren als Gemeinschaft gleichgestellter Partner angetreten ist, lasse sich in ein Fränkisches Reich umwandeln? In Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs die Grundlagen nicht nur für das ökonomische Scheitern des Euro, sondern auch für das politische Scheitern der kapitalistischen Europa-Konzeption gelegt. Der Scherbenhaufen, der dabei zurückbleibt, macht die Sache für eine europäische antikapitalistische Linke nicht einfacher.

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