Zu Beginn zeichnet Mohamed, einer der beiden Protagonisten des Films mit schwarzer Kreide eine Landkarte, es ist eine ungewöhnliche, eine abstrakte Landkarte Afrikas, sie zeigt die Reiseroute bis Nordafrika, dort, wo so viele hoffen, in eine der spanischen Enklaven in Marokko vorzudringen oder das Meer nach Europa zu überqueren. «Europa ist das Paradies» heißt es irgendwann im Film, «nein», «Europa ist nicht das Paradies, es ist nur das Paradies für Afrika.»
Streckenweise drehen die Protagonisten, Mohamed, der aus Mali stammt, und Jerry aus Zentralafrika selber, dadurch erhält man Einblicke in das Leben, das sonst nur in Erzählungen lebendig wird.
Jerry will nach Europa, weil er es dort zumindest theoretisch schaffen kann, er ist Musiker und wohl auch Poet, mitunter sehen wir, wie er sich Notizen macht, und wir spüren es an der Art, wie er erzählt.
Je länger afrikanische Migranten nicht mehr nur, wie schon Jahrzehnte üblich, für eine Zeit lang in eines der Nachbarländer gehen, um dort Geld zu verdienen, sondern mehr und mehr nach Europa drängen und dabei monate-, oft jahrelang unterwegs sind, desto mehr melden sie sich selber zu Wort. 2011 erschien das Buch Bis an die Grenzen des Kameruners Fabien Didier Yene, der in Marokko lebt. Er beschreibt, wie an den einzelnen Stationen Migranten einander helfen, wie sich die Landsleute zu kleinen Gemeinschaften zusammenschließen. In einer berührenden Szene des Films Fremd geht Mohamed über Brachland, nichts, rein gar nichts ist zu sehen, als etwas Gras, Steine und hin und wieder ein Busch. Hier, sagt er, war das Ghetto der Malier, hier war das Ghetto der Kameruner usw. Alles verbrannt. Irgendwann findet er Erntearbeit, aber keine Unterkunft. Er baut sich ein Zelt mit Hilfe einer Plastikplane. Eine prekäre Unterkunft, die schon bald zerstört wird, abgebrannt. Er beschwert sich beim Marokkaner, ist ja gut, dass ich hier nicht weiter bleiben kann, aber die Decke, die Decke musst du mir bezahlen.
Der Film nimmt sich Zeit. 90 Minuten, und die werden nie zu lang, im Gegenteil, am Ende wollen wir noch mehr wissen. Miriam Fassbender zeigt zwei Menschen, lässt sie sich selber zeigen. Zufällig sind diese beiden unterwegs, bei all den Schwierigkeiten nicht mutlos. Die Tragik ihrer Odyssee tut weh. Europa ist weit weg und, wie sagt Mohamed: «Ich kann mir jetzt vorstellen, dass Europa nicht das Paradies ist», in Spanien gibt es ja auch keine Arbeit mehr. Zurück können sie nicht, denn dort warten die Familien nicht auf ihre Rückkehr, sondern auf Unterstützung, auf Geldüberweisungen. Meine Familie fehlt mir, sagt Jerry, aber ich rufe kaum an, denn es tut mir und ihnen zu weh.
Jemand hat auf die Pausetaste in ihrem Leben gedrückt. Mohamed drückt immer wieder auf «Play» und versucht, nach Europa, bzw. in die spanische Enklave zu gelangen, bislang ohne Erfolg. Einmal war er schon dort, auf den Kanarischen Inseln, er wurde abgeschoben nach Mali, aber dort konnte er nur kurz bleiben, seine Familie und Freunde schickten ihn wieder los.
«Fremd» also auch zuhause. Dazu kommt, dass sie ständig damit konfrontiert sind, dass viele Mitglieder ihrer «neuen» Familie, die Freunde, die sie auf ihrer Reise gewinnen, sich verabschieden, um nun endlich nach Europa zu kommen. Nie mehr, sagt Jerry, kommen sie zurück, und meint, dass sie nirgendwo ankommen, weil sie am Zaun oder auf dem Meer ums Leben kommen.
Jerry sagt noch etwas, was das Motto des Films zu sein scheint: Ich kann niemandem raten, was er tun soll, denn das Leben eines jeden einzelnen ist anders, also kann ich nichts dazu sagen. Genau das ist das Schöne dieses Films, es gibt keine Ratschläge, Appelle, vordergründige Forderungen. Wir kommen einfach zwei Menschen näher. Zwei Afrikanern.
Der Film hatte bei der Duisburger Filmwoche im letzten Herbst Premiere und wird nun bei internationalen Festivals gezeigt, u.a. bei Docpointfestival in Helsinki, http://docpoint.info/en/content/foreign. Mehr Informationen auf der Internetseite: http://miriamfassbender.com/index.html
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