Nach dem ruhmlosen Abgang von Horst Köhler vor knapp zwei Jahren begab sich «Mutti» Angela Merkel auf die Suche nach einem neuen Kandidaten für das höchste Amt im Staate. Das wichtigste Kriterium war, dass er ihr – etwa durch zu große Unabhängigkeit des Denkens und der Rede – nicht zu gefährlich werden sollte. Professor Töpfer schied somit, gleich Wolfgang Schäuble, aus dem Kandidatenkreis aus. Aus Proporzgründen sollte der Kandidat zudem möglichst katholisch sein.
Die Wahl fiel auf den niedersächsischen Provinzpolitiker Christian Wulff, der gerade (ohne den Segen der Kirche!) zum zweiten Mal geheiratet hatte, was Benedikt Ratzinger bei seinem Deutschlandbesuch sichtlich missfiel.
Die Bundesversammlung wurde also einberufen und Wulff im dritten Wahlgang mit knapper Mehrheit gewählt. Damit waren die wichtigsten «Nachwuchspolitiker» des «Andenpakts» (eine lose Seilschaft von «aufstrebenden Talenten») von «Mutti» einigermaßen versorgt: Oettinger war nach Brüssel geschickt, um dort im Englischen zu glänzen, Koch ging gleich zum Bauunternehmer Bilfinger und Berger, Müller schanzte man einen Posten beim Verfassungsgericht zu und Wulff gelangte schließlich ins Schloss Bellevue. Merkel hatte sich ihrer möglichen Kontrahenten so elegant wie geräuschlos entledigt.
Doch nun schlägt die Provinz zurück: Wer aus bescheidenen Verhältnissen stammt, braucht im Zeitalter des Neoliberalismus reiche Gönner, um zu Amt und Würden zu gelangen. So gibt es den sprichwörtlichen Klüngel nicht nur in Köln, sondern auch in Hannover, Frankfurt, Stuttgart und München. In Niedersachsen waren dies zum Beispiel das Ehepaar Geerkens, die ihren Schützling Wulff kräftig förderten. Sie waren im Schmuckhandel zu Reichtum gekommen und hatten diesen via Immobilien vermehrt. Der arme Kerl brauchte nach seiner teuren Scheidung ja einen neuen Haushalt, weshalb Frau Geerkens kurzerhand ein zinsgünstiges Darlehen über mehrere hunderttausend Euro springen ließ, das zu allem Überfluss (der Name der Gönnerin sollte unbekannt bleiben) noch nicht einmal ins Grundbuch eingetragen wurde (so spart man sich auch die Kosten des Notars).
Der Zinsvorteil gegenüber einem vergleichbaren Bankdarlehen soll immerhin 20000 Euro betragen haben. Egon Geerkens durfte den Ministerpräsidenten dann nach Indien und China begleiten. Nun hatte die Sache ein gewisses «Geschmäckle», und vor allem die niedersächsischen Grünen gefielen sich in der Rolle, dem Ministerpräsidenten unangenehme Fragen zu stellen, worauf dieser mit Halbwahrheiten (also halben Lügen) antwortete. Mit den Geerkens habe er in den letzten zehn Jahren «keine Geschäftsbeziehung» unterhalten – obwohl ziemlich eindeutig ist, dass Geerkens Wulff beim Verkauf des väterlichen Hauses «beratend zur Seite stand».
Ein Kind von Traurigkeit scheint Wulff nicht zu sein. In den vergangenen Jahren tauchte er immer wieder auf Partys und Gala-Abenden auf, die häufig von Manfred Schmidt ausgerichtet wurden, den der Stern den «ungekrönten Partykönig der deutschen Geld- und Machtelite» nennt. Die schmidtschen Partys führen regelmäßig die «Großkopferten» aus Wirtschaft, Politik und Showgeschäft zusammen. Wegen seiner sehr engen Beziehungen zu und Urlaubsaufenthalten bei Manfred Schmidt musste der Vertraute und Sprecher von Wulff, Olaf Glaeseker, bereits zurücktreten; die Staatsanwaltschaft prüft ein Ermittlungsverfahren. Er war häufiger Urlaubsgast in den Villen von Schmidt im Süden. Wulff selbst hat «keine Erinnerung» daran, ob er von Schmidt in seiner Zeit als Ministerpräsident Geschenke erhalten hat.
Schmidt richtete auch mehrfach die Treffen des «Nord-Süd-Dialogs» aus, eine Lobbyveranstaltung für Repräsentanten der Wirtschaft, der Medien, der Kultur, des Sports und der Politik aus Baden-Württemberg und Niedersachsen, die in Hannover und Stuttgart stattfanden und auf denen die guten Beziehungen zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg (die VW-Porsche-Verbindung) gefeiert wurden. Angeblich wurden diese Events durch Sponsoring aus der Privatwirtschaft finanziert; schaut man sich aber die Liste der Sponsoren an, dann findet man auch Unternehmen darunter, die sich (zumindest teilweise) in öffentlicher Hand befinden, etwa die Landesbanken. Zu den Förderern zählten auch der Versicherungskonzern Talanx und der Reisemulti Tui, beide in Hannover ansässig.
Außerdem machten die Wulffs häufiger «Urlaub bei Freunden», zu denen auch Carsten Maschmeyer gehörte, der es mit seiner Drückerkolonne AWD (bietet nach eigener Auskunft «individuelle Finanzstrategien, Versicherungsvergleiche und Altersvorsorgelösungen»), die er rechtzeitig an die Credit Suisse verkaufte, zum Milliardär gebracht hat. Er ist auch mit Gerhard Schröder befreundet.
Maschmeyer ließ vor allem in den 90er Jahren in großem Stil und ohne Rücksicht auf Verluste Immobilienfonds verkaufen, von denen sich die meisten längerfristig als Rohrkrepierer erwiesen. Die Geschädigten gehen in die Tausenden. Er finanzierte auch Wulffs Buch mit dem passenden Titel Besser die Wahrheit.
Als das fragwürdige Kreditgeschäft ruchbar wurde, wurde Wulff (wohl über den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger) an die BW-Bank weitergereicht, die das alte Darlehen – wiederum zinsgünstig – ablöste. Wulff behauptet, der Vertrag sei «per Handschlag» abgeschlossen worden, wiewohl das bei Hypotheken schon allein deswegen nicht geht, weil die Belastung ja vom Notar ins Grundbuch eingetragen werden muss. Die eigentliche Unterzeichnung erfolgte erst knapp zwei Wochen später, was wiederum der Verdacht aufkommen lässt, dass hier Tatsachen «verdunkelt» werden sollten.
Den vorläufigen Höhepunkt des Skandals bildet die Affäre um die Bild-Zeitung und den Springer-Konzern. Da hat ein kleines Würstchen die Rollen von Koch und Kellner verwechselt. Man fragt sich allerdings, was den Konzern bewogen hat, Wulff auf die Abschussliste zu setzen, nachdem ihn das Blatt jahrelang hofiert hat.
Ein möglicher Sturz von Wulff wäre auch für Merkel ein ziemliches Debakel und könnte zum vorzeitigen Ende von Schwarz-Gelb beitragen. Offenbar versucht der Amtsinhaber, die ganze Affäre auszusitzen, doch es scheint einsam zu werden um ihn. Die neoliberale Verquickung von Amt und Geschäft könnte ihr nächstes Opfer gefunden haben.
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