Thomas Blubacher: Paradies in schwerer Zeit. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades, München: Sandmann, 2011, 169 S., 29,90 Euro
von Peter Fisch
Tausende Kilometer hatten sie hinter sich gelassen, Staatsgrenzen, Berge und Ozeane, um hierher zu gelangen mit dem alles beherrschenden Ziel, dem Terror und Tod, all dem, was ihnen in Nazideutschland drohte, zu entgehen. Es waren meist deutschsprachige Intellektuelle, denen es gelang, überwiegend von Südfrankreich aus, den Pazifik zu erreichen.
So entstand eine einzigartige «Republik des Geistes» in Südkalifornien, ein «überdimensioniertes Sanary-sur-mer» (die Gemeinde an der Côte d’Azur beherbergte im Zweiten Weltkrieg zahlreiche deutsche Emigranten, von denen einige später in Los Angeles wieder zusammentrafen).
In den USA fanden insgesamt 132000 Flüchtlinge Zuflucht, Exilzentren wurden hauptsächlich New York, San Francisco und Los Angeles. In den Vororten von Los Angeles, Beverly Hills, Santa Monica, Pacific Palisades, lebten insgesamt 20000–25000 Flüchtlinge, unter ihnen weltweit bekannte Persönlichkeiten, Künstler, Schriftsteller und Gelehrte. Es war nicht nur das stets milde, frühlingshafte Klima und die üppige Vegetation, die die Exilanten anzog, sondern die Hollywood-Filmstudios. Etwa 800, zeitweilig sogar bis zu 2000, «Filmleute» fanden Arbeit bei Warner Brothers, Paramount, MGM, Columbia und 20th Century Fox. Nicht wenige Schauspieler wirkten in antifaschistischen Filmen mit. Arbeitslose Schriftsteller konnten für MGM für 100 Dollar pro Woche zumindest zwölf Monate lang arbeiten. Damit war verbunden, dass die entsprechenden Visen bereitgestellt und die Schiffspassagen bezahlt wurden. Mit diesem Einkommen konnte man leben, wenn auch die Tätigkeit selbst für manchen wenig befriedigend war.
Thomas Blubacher, ein Literatur-und Theaterwissenschaftler, hat zu dem Thema nun eine Publikation vorgelegt. Um es vorweg zu sagen: Bei einem Umfang von 159 Buchseiten war die Aufgabe, ein Exilzentrum vorzustellen, nur skizzenhaft möglich, bestenfalls eine knappe historische Einordnung des dortigen Exils im Vorwort und die Vorstellung von einigen herausragenden Exilanten in Einzelporträts. Vorgestellt werden ausschließlich deutsche und österreichische Exilanten, obwohl auch Ungarn, Polen und Russen von Weltrang hier lebten, stellvertretend seien Artur Rubinstein, Igor Strawinski und Sergej Rachmaninow genannt.
Den Hauptinhalt des Buches bilden Kurzporträts, u.a. über Marlene Dietrich, Oskar Homolka, Fritz Lang, Salka Viertel, Max Reinhardt, Fritz Kortner, Hanns Eisler, Arnold Schönberg sowie die Sozialwissenschaftler Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Stellvertretend für die Schriftsteller stellt der Verfasser u.a. Erich Maria Remarque, Leonhard Frank, Alfred Döblin, Franz Werfel, Lion Feuchtwanger, Bert Brecht und Thomas Mann vor.
Insbesondere zwei Mängel werden sichtbar, eine Folge der viel zu gering bemessenen Seitenzahl: Erstens finden berühmte Namen, ohne Begründung, entweder keine oder nur marginale Erwähnung, wie Alfred Polgar, Carl Zuckmayer, Friedrich Torberg, Bruno Walter, Ernst Lubitsch, Otto Klemperer, Hans Habe, Max Ophüls, Albert Bassermann und Walter Mehring. Zweitens wird zum politisch-weltanschaulichen Standort, zu den antifaschistischen Aktivitäten und konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen bzw. den Problemen der Akkulturation im Exilland (eine zentrale Thematik der modernen Exilforschung) nicht oder nur oberflächlich Stellung bezogen.
Thomas Mann war unbestritten das geistige Oberhaupt der «Republik des Geistes». Sein Credo als Exilant in den USA war von vornherein klar: «Where I am, there is Germany.» Der erste Vortrag, den er zu halten gedachte, nachdem er im Februar 1938 amerikanischen Boden betreten hatte, trug den bezeichnenden Titel «The Coming Victory of Democracy». Genau darum ging es dem Nobelpreisträger: Im bevorstehenden Kampf der Demokratie gegen die Nazidiktatur nicht als Zuschauer am Rande zu stehen, sondern seinen Beitrag zu leisten und mitzukämpfen.
Thomas Manns ganze Sympathie, ja Verehrung galt dem US-Präsidenten Roosevelt, und sein ganzes Hoffen und Wirken richtete sich darauf, dass dieses Hitlerdeutschland militärisch zerschlagen würde, auch mit dem Mittel des strategischen Bombenkriegs. Thomas Mann hatte spätestens 1922 ein klares Bekenntnis zur Republik abgelegt und frühzeitig die Gefahren erkannt, die vom Nationalsozialismus ausgingen. Blubacher aber erfindet einen Thomas Mann der 20er Jahre, den er «politisch naiv» nennt. Ein Grundirrtum und eine Falschinterpretation zugleich, wie auch seine gründlich editierten Briefe (Band III: 1924–1932), herausgegeben vom S.Fischer Verlag (2011), zeigen.
Natürlich war die Exilgemeinde der Vororte von L.A. keine homogene, widerspruchsfreie Gemeinschaft. Trennendes, auch Zwistigkeiten und gar Feindschaften, nicht selten Neid und Missgunst, trennten sie. Der einzige gemeinsame Grundkonsens der USA-Exilanten war das Dasein als Flüchtling und die Feindschaft zu Nazideutschland. Wichtigster Gegenstand der Diskussion in den verschiedenen Gruppen von Exilanten, die sich einerseits um Feuchtwanger, andererseits um Thomas Mann sowie Salka und Berthold Viertel herausbildeten, war: Worin liegen die Gründe dafür, dass ein Kulturvolk wie das deutsche in der Barbarei versinken konnte? Wie muss ein Deutschland (und Österreich) «nach Hitler» gesellschaftspolitisch aussehen? Thomas Mann hat versucht, mit seinem Roman Doktor Faustus diese Frage zu beantworten. Das alles bleibt ungenannt.
Blubacher bietet mit dem Buch eine gelungene Hommage an das «andere Deutschland», auch an die Villa Aurora, ab 1943 der Wohnsitz von Marta und Lion Feuchtwanger am Paseo Miramar 520, jetzt Residenz der künstlerisch tätigen Stipendiaten für jeweils drei Monate. Zudem vergibt die Villa ein zwölfmonatiges Writer-in-Exile-Stipendium an politisch verfolgte Schriftsteller.
Die Publikation ist mit umfangreichem Foto- und Kartenmaterial und hilfreichen Literaturhinweisen versehen. Es ist eine gelungene Arbeit, die Liebe zum Detail verrät. Sie unterstreicht die Worte des Pianisten Sam im allseits bekannten Film Casablanca: «You must remember this…»
Peter Fisch ist Diplom-Historiker, hat als Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte und zuletzt als (nun emeritierter) Hochschullehrer für Militärgeschichte in Kamenz gearbeitet.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.