Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2012
von Birger Scholz

Keine Frage. Es steht schlecht um den Euro. Das hat mittlerweile selbst die Europäische Zentralbank (EZB) eingesehen und sagte die Feier zum zehnjährigen Jubiläum seiner Einführung still und leise ab.
Über die Ursachen zumindest ist sich die kritische Publizistik und Wirtschaftswissenschaft einig: Verantwortlich ist die Konstruktion des Währungsraums. Es gibt weder eine hinreichende Mobilität der Arbeitnehmer noch einen Verbund des Steuer- und Sozialversicherungssystems. Beides ist aber nötig, um äußere Schocks und ungleiche wirtschaftliche Entwicklungen abzufedern.
In den USA haftet der Gesamtstaat zumindest in Teilen für die Bundesstaaten. Dagegen wurde in Europa entschieden, den Euro bewusst ohne politische Union einzuführen. Kritik gab es daran von keynesianisch wie von monetaristisch orientierten Ökonomen.
Hätten Griechenland oder Spanien ihre Währungen in den vergangenen 10 Jahren abwerten können, wäre der deutsche Sonderweg des Lohndumpings zumindest innerhalb von Europa ins Leere gelaufen. Stattdessen führten die Exportüberschüsse vor allem Deutschlands zu einer schleichenden Verschuldung der EU-Peripheriestaaten. Lange Zeit wurden diese gefährlichen Ungleichgewichte durch öffentliche und private Verschuldung überdeckt. Möglich war dies auch durch den einheitlichen EZB-Zins, der für Kerneuropa zu hoch, für die Peripheriestaaten aber zu niedrig war.
Wer die Ungleichgewichte und damit den Kern der Euro-Krise genauer verstehen will, muss einen Blick in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wagen. Im Groben gibt es dort vier Konten, auf denen alle finanziellen Transaktionen verbucht werden: Staat, Unternehmen, Private Haushalte und Ausland. Auf den Konten werden Forderungen und Verbindlichkeiten verbucht und ein Saldo gebildet. Der Clou dabei ist, dass sich die Saldi dieser vier Konten immer zu Null ausgleichen. Ein positives Saldo der privaten Haushalte zeigt bspw. eine Zunahme der Forderungen, ein negative Saldo des Staates eine Zunahme der Verbindlichkeiten, also der Verschuldung.
Von 1991 bis 2001 war das deutsche Auslandskonto jährlich moderat mit 18 Milliarden Euro im Plus. Doch 2002 drehte sich das Vorzeichen und das Ausland verschuldete sich bis 2010 gegenüber Deutschland kontinuierlich in Höhe von insgesamt 675 Mrd. (75 Mrd. jährlich).
Dieser enorme Forderungsaufbau Deutschlands gegenüber dem Ausland ist ein  Spiegelbild der gestörten Binnenkonjunktur in Deutschland, das sich wiederum in  enorm hohen Finanzierungsüberschüssen der privaten Haushalte von jährlich knapp 100 Mrd. Euro seit 1991 niederschlägt.
Das Problem: Die Überschüsse Deutschlands sind die Schulden des Auslands und müssen im Zweifel gezahlt werden. Entweder durch Staatsverschuldung, oder durch Verschuldung der privaten Haushalte oder der Unternehmen. Deshalb sind alle angedachten Maßnahmen zur Krisenlösung von Eurobonds über Schuldenstreichung bis zum Austeritätsprogramm der Troika letztlich nur Scheinlösungen, die am Grundproblem der fehlenden Abwertung der Peripherieländer nichts ändern.
Die Ratingagentur Standard & Poors bringt es klar auf den Punkt: «Aus unserer Sicht sind die finanziellen Probleme der Euro-Zone eine Folge steigender außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte und Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen dem Euro-Zonen-Kern und der sogenannten Peripherie.»
Wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung in Griechenland den Lohn- und Sozialkürzungen verweigert (was zu wünschen ist!), dann ist das Ende des Euro näher, als manch Linker in Deutschland glaubt. Denn dann wären massive Lohnerhöhungen in Deutschland nebst 10 Euro Mindestlohn unumgänglich, um die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wieder herzustellen. Nur, realistisch ist das kaum.
Ebenso wenig realistisch ist die Einführung einer Leistungsbilanzüberschussbremse an Stelle der geplanten Schuldenbremse. Dabei würden diejenigen Länder, die die Krise durch unverantwortliche Leistungsbilanzüberschüsse gefährden, mit hohen Strafzahlungen belegt. Das Aufkommen würde in die Peripherieländer fließen. Finanziert würden die Strafzahlungen durch eine massive Steuererhöhung für Konzerne und Vermögende.
In Anbetracht der Kräfteverhältnisse in Deutschland stehen die Chancen für einen solchen Kurswechsel ausgesprochen schlecht. Viel wahrscheinlicher ist mittlerweile, dass Kerneuropa einen Staatsbankrott in Griechenland nebst Austritt aus dem Euro in Kauf nimmt. Ob es dann gelingt, Italien und Spanien wirklich abzuschirmen, ist mehr als fraglich. Die Orientierung des Ex-BDI-Chefs Henkel auf einen Nord-Euro (also der Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen) ist weit realistischer als die vielen Durchhalteparolen der herrschenden Politik.
Dass die deutsche LINKE nicht über das Für und Wider eines Austritts der Peripherieländer aus der Eurozone diskutiert, könnte sich bald bitter rächen. In der griechischen Linken wird diese notwendige Debatte, wenn auch kontrovers, immerhin geführt (siehe SoZ 12/2011: «Raus aus dem Euro?»). Denn es ist keineswegs ausgemacht, dass ein kontrollierter und regulierter Ausstieg Griechenlands mit ökonomischer Anschubfinanzierung durch die EU der schlechtere Weg sein muss. Welche positiven Wirkungen ein Wechselkurs entfalten kann, hat Argentinien in der letzten Dekade vorgemacht.

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