Trotz massiver Schikanierung der Antifaschisten in den letzten Jahren erlitten die Neonazis in diesem Jahr einen Riesenmisserfolg.
Seit dem Jahr 2000 «gedenkt» die extreme Rechte am 13.Februar und dem darauffolgenden Samstag in Dresden der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Es war bislang der größte Neonazi-Aufmarsch Europas. 2011 gelang es Antifaschisten, die Demonstration zu blockieren. Der sächsische Staat reagierte darauf mit massiver Repression gegen die Antifaschisten. Dabei wurden die Grundrechte de facto aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ein, konstruierte eine kriminelle Vereinigung nach §129 StGB, erfasste rund eine Million Mobilfunk- und 54.000 Stammdaten von Handynutzern. Die Immunität von Abgeordneten der Linkspartei wurde aufgehoben, ein Jenenser Jugendpfarrer des Aufrufs zur Gewalt bezichtigt und seine Wohnung sowie seine Diensträume durchsucht (die SoZ berichtete).
Trotzdem wurde 2012 für die Naziszene zum Fanal. Ein schlappes Häuflein von 400 Rechtsextremen hatte sich am 13.2. zum Aufmarsch zusammengerottet. Nach einer Minirunde von 1200 Metern ging nichts mehr. Rund 6000 Dresdenerinnen und Dresdener blockierten die Route. Der 18.Februar fiel für die Nazis komplett ins Wasser. Wo vor einem Jahr noch Kameraden marschierten, demonstrierten in diesem Jahr 12.000 AntifaschistInnen gegen die «Sächsischen Zustände». Das Bündnis «Dresden Nazifrei» hatte das Kräfteverhältnis gekippt.
Die Nazi-Szene ist orientierungslos, zerstritten und frustriert. Und auch im Freistaat Sachsen scheint einiges ins Wanken zu geraten. «Der CDU schwimmen die Felle davon. Sie hinkt jetzt der bürgerlichen Mitte hinterher», meint Wolfhard Pröll, der sich im Bündnis engagiert.
Die Mehrheit der Dresdenerinnen und Dresdener hat mittlerweile die Bedeutung der Blockaden erkannt. Viele von ihnen haben sich beteiligt und werden dies voraussichtlich auch wieder tun. Die CDU ist mit ihrem Versuch, die Blockaden und antifaschistisches Engagement politisch zu diskreditieren und zu kriminalisieren, gescheitert. Hinzu kommt, dass die Positionen des Staates offenkundig hanebüchen sind.
Diesem Sieg kommt eine große Bedeutung zu – auch über die sächsische Landesgrenze hinaus. Nach Ansicht des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins bildete Dresden den Versuch, die Grenzen staatlichen Handelns neu zu justieren. Man wollte testen, ab wann man mit (politischem oder juristischem) Widerstand auf staatliche Repression rechnen musste.
Sächsische Strukturen und Kontinuitäten
Dass gerade Dresden als Versuchslabor herhalten musste, ist kein Zufall. Der sächsische Verwaltungsapparat wird von ehemaligen Blockflöten, also Blockparteien, dominiert, die weiterhin im Stile der SED herrschen, freilich mit «umgekehrtem Vorzeichen». Zu DDR-Zeiten waren sie von SEDlern kaum zu unterscheiden und hatten bereits beachtliche Positionen inne, ärgerten sich aber, nicht ganz vorne dabei zu sein. Mit der Wende waren sie am Zug, die CDU war nun die «führende Partei». «Die verfahren nach dem Motto: ‹Wir sind das Gesetz und machen per se alles richtig. Und übertreten wir einmal das Gesetz, so doch um der Sache willen›», so Pröll.
Seit einigen Jahren tauchen zudem einige «junge Wilde» am Horizont auf. Zu Wendezeiten in der Pubertät, haben sie den für die damalige Jugend typischen Politisierungs- und Polarisierungsprozess durchlaufen. Sie entstammen zumeist der Mittelschicht und sind kapitalistische Hardliner mit eingefleischtem Konkurrenz- und Elitedenken. Begünstigt durch das Rebellionsbedürfnis gegen das Elternhaus, tummelten sie sich eine Zeitlang in der rechten Szene, bevor sie den Weg zu FDP oder CDU gingen.
Die alten Freundschaften blieben oft genug bestehen. So tauchten Lars Rohwer (jugendpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag) und Lars Kluger (CDU-Stadtrat in Dresden) auf der Geburtstagsparty eines führenden Neonazis auf, und die Landtagsabgeordneten Benjamin Karabinski (FDP) und Christian Hartmann (erst jugendpolitischer, später finanzpolitischer Sprecher der CDU) schrieben für die Junge Freiheit.
Bei der Polizei finden sich – neben demokratisch gesonnenen Beamten – auch zahlreiche Law-and-Order-Fans. Uniformen und hierarchische Strukturen ziehen ein bestimmtes Klientel verstärkt an. Dieses fühlt sich von Linken provoziert. «Die wenden sich gegen die Arbeitgeber und den Staat. So einen Angriff auf Autoritäten können manche Polizisten nicht leiden. Da kommen sie mit den Rechten besser klar», schätzt Wolfhard Pröll. Als Biedenkopf, der erste sächsische Ministerpräsident nach der Wende, behauptete, die Sachsen seien nicht rechtsextrem, verzichteten Polizisten darauf, rechtsextreme Hintergründe für Straftaten anzugeben. Man wollte die Obrigkeit nicht damit behelligen, dass die Zustände im Freistaat etwa rechtsextrem orientierte Menschen hervorbringen könnten. In den Reihen der sächsischen Polizei tummeln sich darüber hinaus eingefleischte Neonazis.
Die Sonderrolle Dresdens
Dresden nimmt in Sachsen noch einmal eine Sonderrolle ein. Die ehemalige Residenzstadt ist berühmt für ihre Architektur. Zu DDR-Zeiten galt die Stadt als zweitwichtigste nach Ostberlin. Man fühlte sich als etwas Besonderes und mit der Wende – und den «neuen» Großstädten im Westen – degradiert. Verantwortlich machte man die Alliierten, die einem die Altstadt genommen hätten. Da müsse man doch trauern dürfen. Linke Gegendemonstranten wurden als Störer gebrandmarkt. Risse bekam das Bild erst, als der jüdische Geschichtsverein HATiKVA auf die Bedeutung des 13.Februars 1945 für die von der Deportation bedrohten Jüdinnen und Juden und die Zerstörung der Synagoge – immerhin ein Bau des Architekten Semper – durch die Nationalsozialisten hinwies.
Zu DDR-Zeiten galt Dresden als «Tal der Ahnungslosen» – ohne Empfang von Westsendern und stets ruhig und beschaulich. Auch nach der Wende blieb es still. Um so geschockter war der Staat von der Vehemenz des Bündnisses «Dresden Nazifrei». Er reagierte sprichwörtlich über. Dass es dem bundesweiten Bündnis «Dresden Nazifrei» dennoch gelungen ist, den politischen Mainstream in Dresden zu verändern, ist ein um so größerer Erfolg.
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