Am 15.Februar erschien Eleftherotypia, eine der am weitesten verbreiteten Tageszeitungen Griechenlands, in neuem Gewand: Die Belegschaft, die seit sieben Monaten keinen Lohn mehr erhält, gibt Eleftherotypia der Arbeiter in Eigenregie heraus. Moissis Litsis, Wirtschaftsredakteur und Mitglied des Redaktionskomitees, hat in der Rubrik «Freie Tribüne» dazu folgenden Text veröffentlicht:
Da ist sie! Geschafft! Die Beschäftigten von Eleftherotypia («Pressefreiheit»), eine der größten und angesehensten Tageszeitungen Griechenlands, treiben ein großartiges Vorhaben voran: die Herausgabe ihrer eigenen Zeitung, Eleftherotypia der Arbeiter!
Seit dem 15.Februar hängt in den Kiosken im ganzen Land neben den gewöhnlichen Zeitungen eine weitere Zeitung aus, die von ihren eigenen Angestellten gemacht wird. Eine Zeitung, die nicht nur über den Kampf der Beschäftigten von Eleftherotypia informiert, sondern ein vollständiges Informationsmedium sein will, besonders in dieser für Griechenland kritischen Periode.
Die 800 Beschäftigten des Unternehmens X.K.Tegopoulos, das die Zeitung Eleftherotypia herausgibt – Journalisten, Techniker, Reinigungskräfte, Pförtner… – befinden sich seit dem 22.Dezember 2011 in einem unbefristeten Streik, denn das Unternehmen hat ihnen seit dem letzten August keine Löhne mehr bezahlt!
Da das Unternehmen die Anwendung von Artikel 99 des Konkursgesetzes verlangt, um sich vor seinen Gläubigern zu schützen – d.h. vor seinen Beschäftigten, denen es insgesamt etwa 7 Millionen Euro an Löhnen schuldet –, haben die Beschäftigten von Eleftherotypia beschlossen, parallel zu den Mobilisierungen und zum juristischen Vorgehen ihre eigene Zeitung herauszugeben – eine Zeitung, die von den Pressedistributoren im ganzen Land verbreitet wird, zum Preis von 1 Euro (gegenüber dem üblichen Preis von 1,30 Euro der anderen Zeitungen) – auch mit dem Ziel, die Streikkasse zu unterstützen.
Die Belegschaft von Eleftherotypia, die seit sieben Monaten keinen Lohn mehr erhält, wird von einer Solidaritätsbewegung aus verschiedenen Kollektiven und einzelnen Bürgern unterstützt, die Geld- oder Sachspenden (Nahrungsmittel, Decken…) geben. Mit der Herausgabe ihrer eigenen Zeitung und dem Erlös aus deren Verkauf wird die Belegschaft ohne die mindeste Vermittlung ihren Streik finanzieren können: Schließlich geht sie zu einer Art Selbstverwaltung über.
Die Zeitung wird in einem befreundeten Betrieb hergestellt, in einer Umgebung, die an die Herausgabe einer Untergrundzeitung erinnert, denn die Direktion hatte zunächst, als sie erfuhr, dass die Journalisten dabei waren, ihre eigene Zeitung zu machen, die Heizung abgestellt, dann das von den Redakteuren zur Erfassung ihrer Artikel verwendete System und schließlich die Betriebsräume selber geschlossen, wenngleich der Zugang zum Büro momentan noch frei ist. Eleftherotypia der Arbeiter wurde mit Unterstützung der Druckergewerkschaft in einer Druckerei gedruckt, die nicht zum Unternehmen gehört, weil die Beschäftigten der zeitungseigenen Druckerei vor der Besetzung ihres Arbeitsplatzes zurückschreckten.
Das Management droht aus Furcht vor der Wirkung einer selbstverwalteten Zeitung mit rechtlichen Schritten und versucht, die Belegschaft mit der Drohung einzuschüchtern, das von den Streikenden demokratisch gewählte Redaktionskomitee zu entlassen. Doch die griechische Öffentlichkeit, nicht nur die Leser von Eleftherotypia, wartete gespannt auf ihr Erscheinen – wir erhielten überwältigend viele Botschaften, die es begrüßten, dass wir die Zeitung in Eigenregie herausgeben –, denn die Diktatur der Märkte geht einher mit der Diktatur der Medien, die die griechische Realität verschleiern.
Eleftherotypia ist kein Einzelfall. Dutzende Unternehmen des Privatsektors haben seit langem die Lohnzahlungen eingestellt, ihre Aktionäre haben sie faktisch in Erwartung besserer Zeiten aufgegeben… Im Pressebereich ist die Lage noch schlimmer. Wegen der Krise haben die Banken aufgehört, den Unternehmen Darlehen zu geben, aus eigener Tasche wollen die Besitzer nicht zahlen und nehmen lieber zu Artikel 99 Zuflucht – mindestens 100 an der Börse notierte Unternehmen haben dies getan –, um mit Blick auf einen möglichen griechischen Bankrott und Ausstieg aus der Eurozone Zeit zu gewinnen. [Artikel 99 des Konkursgesetzes schützt den Schuldner vor der Verfolgung durch die Gläubiger. Lohnabhängige werden als «Gläubiger» ihres Unternehmers betrachtet. Der Boss muss ihnen also den Lohn nicht weiter zahlen.]
Eleftherotypia wurde 1975, in der Zeit der Radikalisierung nach dem Sturz der Diktatur, als «Zeitung seiner Redakteure» gegründet. Heute, in einer Periode der neuen «Diktatur der internationalen Gläubiger», wollen die Beschäftigten von Eleftherotypia ein leuchtendes Beispiel einer vollkommen anderen Information geben – im Widerstand gegen den «Terror» sowohl der Unternehmer als auch der Medienbarone, die absolut nicht wollen, dass die Werktätigen das Schicksal der Information in die eigene Hand nehmen.
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