von Moshe Machover
Der US-Verteidigungsminister will einen Bericht nicht dementieren, wonach Israel «sehr wahrscheinlich» im April, Mai oder Juni den Iran militärisch angreifen wird.
Im Jahr 2008 berichtete die Jerusalem Post über eine Konferenz am Israelischen Institute for National Security Studies. Im Bericht heißt es:
«Der Erfolg des Iran bei der Erlangung der Nuklearfähigkeit wird Juden davon abhalten, nach Israel einzuwandern, und viele Israelis dazu bringen, das Land zu verlassen, er wird somit das Ende des ‹zionistischen Traums› bedeuten, äußerte sich der frühere stellvertretende Verteidigungsminister Ephraim Sneh. Er sagte: ‹Eine Atomwaffe in der Hand des Iran wird eine für Israel nicht tolerierbare Realität sein. «Der frühere Mossad-Chef Ephraim Halevy tadelte die politische Führung Israels scharf, weil sie die atomare Bedrohung durch den Iran als ‹existenzielle Bedrohung› bezeichnet. ‹Es ist falsch, wenn wir unseren Feind darüber informieren, dass er unseren Untergang herbeiführen kann›, sagte Halevy. ‹Es ist auch falsch, dass wir die Welt darüber informieren, dass in dem Moment, wo die Iraner über Nuklearfähigkeit verfügen, der Countdown zur Zerstörung des Staates Israel beginnt. Wir sind die Supermacht im Mittleren Osten und es ist Zeit, dass wir anfangen uns wie eine Supermacht zu verhalten.›
Das wirkliche Ziel des Iran, meinte Halevy, sei es, selbst eine regionale Supermacht zu werden und mit den USA Diplomatie auf Augenhöhe zu betreiben. Sneh sagte, Israel müsse sich eine militärische Option offenhalten, auch wenn sie nicht die bevorzugte sei, denn eine solche Möglichkeit motiviere die internationale Gemeinschaft, diplomatische Anstrengungen zu unternehmen, um den Iran zu stoppen. Er fügte hinzu, er sei zuversichtlich, dass Israel einen militärischen Schlag gegen den Iran erfolgreich durchführen könne.»
Zwei Punkte sind an diesem Bericht bemerkenswert. Erstens spricht ein Experte, ein ehemaliger Mossad-Chef, hier über die Aussicht auf eine iranische Nuklearfähigkeit, nicht von der tatsächlichen Produktion und dem Besitz einer Atomwaffe. Alle Experten sind sich wohl bewusst, dass es kein Indiz dafür gibt, dass der Iran ein Programm zur Produktion einer solchen Waffe hat. Das ist heute so wahr wie 2008. US-Verteidigungsminister Leon Panetta hat es jüngst bekräftigt. Zweitens behauptet kein Experte, anders als die israelische und die westliche Propaganda, der Iran plane tatsächlich, Israel anzugreifen, schon gar nicht einen nuklearen Holocaust. Die Schreckenspropaganda, der Iran stelle eine glaubwürdige militärische Bedrohung für Israel dar, weist der frühere Mossad-Chef zurück.
Tatsächlich treibt Israel die Sorge um die reale politische Bedrohung um, die der Iran für die regionale Hegemonie Israels darstellt, nicht die imaginäre Bedrohung, von der Islamischen Republik militärisch angegriffen zu werden. Der Besitz der Nuklearfähigkeit ist gewiss eine Komponente in dieser politischen Bedrohung, da sie die diplomatische Position des Iran bei seinen Verhandlungen mit anderen Staaten des Mittleren Ostens und mit den USA stärken würde. Aber das ist nur eine Komponente. Auch ohne Nuklearfähigkeit hat der zionistische Staat ein klares Interesse daran, das aktuelle iranische Regime durch eines zu ersetzen, das sich der globalen US-Hegemonie unterordnet.
Israelischer Alleingang
In diesem Ziel stimmen die Interessen der USA und Israels vollständig überein. In Bezug auf die Mittel scheint es jedoch Differenzen zwischen der Regierung Obama und der Regierung Netanyahu zu geben.
Die USA, die noch die Wunden aus ihren abenteuerlichen Kriegen im Irak und in Afghanistan lecken, würden gern einen offenen militärischen Konflikt mit dem Iran vermeiden, denn der Staat kann seinen Angreifern ernsthaften Schaden zufügen. Darüber hinaus hätte im aktuellen ökonomischen Klima ein starker Anstieg des Ölpreises – unvermeidliche Begleiterscheinung eines Krieges im Mittleren Osten – katastrophale Folgen für die kapitalistische Weltwirtschaft. Das Spiel, das die Regierung Obama mit dem Iran veranstaltet, kann unbeabsichtigt außer Kontrolle geraten und zu verheerenden, nicht beabsichtigten Folgen führen. Die Regierung hofft indes, die Gefahr unter Kontrolle zu halten und einen offenen Krieg zu vermeiden – zumindest für die nächste Zeit.
Ganz anders die israelische Regierung: Die Anzeichen mehren sich, dass Netanyahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak entgegen dem Rat einiger ihrer militärischen und Geheimdienstberater eine Provokation in Erwägung ziehen, die zu einem größeren Krieg führen würde. Das bereitet der US-Regierung ernsthaft Sorgen: Sie will von ihrem israelischen Juniorpartner nicht in einen solchen Krieg hineingezogen werden.
Am 20.Januar äußerte Generalstabschef Martin Dempsey bei einem wenig beachteten Besuch in Israel, «dass sich die USA an einem von Israel ohne vorherige Zustimmung Washingtons begonnenen Krieg gegen den Iran nicht beteiligen würden. Dempseys Warnung, die sowohl Ministerpräsident Netanyahu als auch Verteidigungsminister Barak übermittelt wurde, ist der bisher deutlichste Versuch von Präsident Obama, einen israelischen Angriff zu verhindern und sicherzustellen, dass die USA nicht in einen regionalen Flächenbrand mit dem Iran einbezogen werden.»
Die Warnung scheint auf taube Ohren gefallen zu sein. Am 2.Februar berichtete Associated Press: «Panetta wurde von Reportern gebeten, eine Kolumne von David Ignatius in der Washington Post zu kommentieren, der schrieb, Panetta glaube, Israel werde ‹sehr wahrscheinlich› im April, Mai oder Juni angreifen. Auf die Frage, ob er diesen Bericht dementiere, antwortete Panetta: ‹Nein, ich gebe keinen Kommentar.› Er stellte fest, Israel habe öffentlich erklärt, dass es eine militärische Aktion gegen den Iran in Erwägung ziehe, und dass die USA ‹ihre Sorge geäußert› haben.»
Meiner Meinung nach ist das auf Israels Seite nicht nur Säbelrasseln. Es gibt Gründe zu glauben, dass Netanyahu ernsthaft eine Provokation in Betracht zieht, die darauf gerichtet ist, einen größeren Brand im Mittleren Osten auszulösen – trotz der enormen Risiken, die eine iranische Vergeltung bedeutet, die den Verlust zahlreicher israelischer Leben zur Folge hätte.
Um Netanyahus rücksichtslose Rechnung zu erklären, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf den zionistischen Albtraum richten: die palästinensische «demografische Gefahr».
Eine zionistische Ein-Staaten-Lösung
Mittlerweile wissen die meisten Menschen, dass die aktuelle israelische Regierung alles in ihrer Macht stehende getan hat, um eine «Zwei-Staaten-Lösung» zu torpedieren. Weniger bekannt ist, dass die Opposition gegen einen auf irgendeinem Teil von «Eretz Yisrael» errichteten souveränen Palästinenserstaat nicht nur der aktuellen rechten Regierung anhaftet, sondern als fundamentales Prinzip von allen Hauptparteien des Zionismus geteilt wird. General Moshe Dayan drückte dies 1975 so aus:
«Ein palästinensischer Staat ist grundsätzlich eine Antithese zum Staat Israel ... Wenn wir uns heute auf diesen Weg begeben und sagen, dass die Palästinenser ein Anrecht auf ihren eigenen Staat haben, weil sie Einheimische desselben Landes sind und dieselben Rechte haben, dann wird dies nicht mit dem Westjordanland aufhören. Das Westjordanland und der Gazastreifen zusammen machen keinen Staat aus … Die Errichtung eines solchen palästinensischen Staates würde den Grundstein legen für etwas anderes … Entweder der Staat Israel – oder ein palästinensischer Staat.»
Diese Haltung ist ein Eckstein der politischen Strategie Israels geblieben. Aus diesem Grund hat keine israelische Regierung je eine legal bindende Verpflichtung unterzeichnet, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren. Dies gilt insbesondere für die Oslo-Abkommen von 1993. In diesem Vertrag wird kein palästinensischer Staat erwähnt. Die Unterlassung ist nicht zufällig: Als Rabin das Oslo-Abkommen der Knesset zur Ratifizierung vorlegte, erklärte er deutlich, Israel bestehe auf einem palästinensischen «Gebilde, das weniger ist als ein Staat».
Der demografische Faktor
Viele Beobachter waren von Israels harter Ablehnung eines – selbst kleinen – souveränen palästinensischen Staates westlich des Jordans verwirrt. Diese Haltung erscheint schrecklich kurzsichtig. Denn wenn das gesamte Palästina der Zeit vor 1948 unter israelischer Souveränität verbleibt, muss Israel über eine feindselige palästinensisch-arabische Bevölkerung herrschen. Dann wird dieses Territorium als ganzes ein Staat sein.
Derzeit ist die Bevölkerung beider nationaler Gruppen nummerisch etwa gleich stark. Da jedoch eine jüdische Einwanderung großen Ausmaßes nicht zu erwarten ist und da die natürliche Zuwachsrate der palästinensischen Bevölkerung höher ist als die der hebräischen Bevölkerung, wird erstere die letztere innerhalb weniger Jahrzehnte beträchtlich übersteigen.
Sicher können einer palästinensischen Mehrheit nicht unbegrenzt gleiche Rechte verweigert werden; aber gleiche Rechte würden das Ende des jüdischen Staates bedeuten. Für den Zionismus ist diese «demografische Gefahr» noch schlimmer als ein souveräner palästinensischer Ministaat. Indem Israel die Schaffung eines solchen Staates sabotiert, steuert es scheinbar genau auf die Situation zu, die es seiner eigenen herrschenden Ideologie nach als den «Abgrund» betrachtet.
Hinter diesem scheinbaren Widerspruch verbirgt sich jedoch eine dritte Option: weder die Zwei-Staaten-Lösung noch ein einziger Staat mit einer arabischen Mehrheit, sondern ein «Bevölkerungstransfer»: Eine großangelegte ethnische Säuberung der palästinensischen Araber würde einen einzigen Staat auf dem gesamten Territorium mit einer jüdischen Mehrheit bedeuten – das letztendliche Ziel aller Hauptparteien des Zionismus.
Die Durchführung einer ethnischen Säuberung ausreichend großen Ausmaßes – technisch recht einfach – ist politisch allerdings sehr heikel. Unter normalen, politisch ruhigen Umständen kann sie nicht durchgeführt werden. Sie erfordert, was in zionistischer Ausdrucksweise «she’ at kosher» genannt wird: den günstigen Moment einer größeren politischen und vorzugsweise militärischen Krise.
Interessanterweise berührte ein Minister der Regierung Shamir diesen Punkt bereits vor ziemlich langer Zeit, am 16.November 1989, in einer Rede an der Bar-Ilan-Universität, einer Hochburg des klerikalen ultrachauvinistischen Zionismus. Die Jerusalem Post berichtete am 19.11.1989, der stellvertretende Außenminister habe «Israel aufgerufen, politische Gelegenheiten zu nutzen, um große Teile der Palästinenser aus den [besetzten] Gebieten zu vertreiben». Sie zitiert ihn sinngemäß: «Die Regierung habe versäumt, politisch günstige Situationen auszunützen, um im großen Stil Vertreibungen in Zeiten durchzuführen, ‹in denen der Schaden relativ klein gewesen wäre. Ich glaube immer noch, dass es Gelegenheiten gibt, viele Menschen zu vertreiben.›» Und ja, der Name des Ministers: Binyamin Netanyahu.
Eine goldene Gelegenheit
Ein Krieg mit dem Iran wäre eine goldene Gelegenheit für eine großangelegte Vertreibung von Palästinensern, genau weil (anders als bei der Irak-Invasion 2003) die Kämpfe so bald nicht zu Ende wären und es wahrscheinlich größere Proteste und Unruhen unter den Massen der Region, einschließlich der palästinensischen Araber unter israelischer Herrschaft, geben würde. Welchen besseren Weg gäbe es, solche Unruhen zu beenden, als durch die «Vertreibung vieler Menschen»?
Selbstverständlich ist ein Beschluss, einen Krieg gegen den Iran zu entfachen, keiner, den ein israelischer Führer leicht fassen würde. Das Risiko, dass Israel große Verluste erleiden würde, ist nicht zu vernachlässigen. Einen solchen Preis zu zahlen, würde auch der abenteuerlichste Ministerpräsident nur in Betracht ziehen, wenn der erwartete Lohn sehr hoch ist. Aber in diesem Fall ist der Lohn aus zionistischer Sicht der höchstmögliche: die Beseitigung der demografischen Bedrohung für die Zukunft Israels als einer jüdischen Ethnokratie. Netanyahu wird arg in Versuchung geraten, für das höhere nationale Wohl sein eigenes Volk zu opfern.
Doch kann er ohne die Zustimmung der USA nicht ohne weiteres einen Krieg anfangen. Deshalb ist das wahrscheinlichste Szenario eine Reihe von israelischen Provokationen, zumeist auf krummen Wegen, um den Konflikt zu eskalieren und die USA nach und nach hineinzuziehen.
Moshe Machover, geb. 1936 in Tel Aviv, ist Mathematiker und Philosoph. Nach seinem Ausschluss aus der KP Israels wegen seiner radikalen antizionistischen Haltung war er 1961 Mitbegründer der Israelischen Sozialistischen Organisation (ISO/Matzpen). Er lebt heute in London.
(Gekürzt aus: Workers Weekly, Nr.900, 9.2.2012, www.cpgb.org.uk.), Nr.900, 9.2.2012, www.cpgb.org.uk.)
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