Im Rahmen des Staatsbesuchs von Präsident Nursultan Nasarbajew Anfang Februar hat die Bundesregierung ein weithin kritisch aufgenommenes Rohstoffabkommen mit Kasachstan abgeschlossen. Dabei geht es vor allem um die sog. «seltenen Erden», bei denen bislang China mit einem Weltmarktanteil von 90% führender Exporteur ist. Das Abkommen ist laut Bundesregierung «Bestandteil der Rohstoffstrategie und soll Partnerländer bei einer nachhaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung unterstützen und zur Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft beitragen».
Andrej Hunko, LINKE-Abgeordneter im Bundestag, war Mitte Januar als Teil einer Delegation des Europarats Wahlbeobachter in Kasachstan. Im Gespräch mit der SoZ berichtet er von seinen Erfahrungen und auch darüber, was im Dezember in Schanaosen geschehen ist.
Über das Rohstoffabkommen mit Kasachstan wurde in den Medien relativ ausführlich und kritisch berichtet. Ist das ein Erfolg?
Es ist ein großer Erfolg, dass dieses Abkommen bis weit in die bürgerlichen Medien als komischer Deal mit einem Diktator aus Kasachstan charakterisiert wurde. Die Berichterstattung änderte sich schon nach dem 16.Dezember 2011, als bei einem brutalen Eingriff der kasachischen Polizeieinheiten gegen Demonstranten in Schanaosen, mehrheitlich seit Mai streikende Ölarbeiter, mindestens 17 Menschen ums Leben kamen. Noch dazu äußerten sich im Vorfeld des Staatsbesuchs am 8.Februar eine Reihe von Menschenrechtsorganisationen sehr kritisch. Auch die in Kasachstan Mitte Januar abgehaltenen Wahlen wurden von den internationalen Wahlbeobachtern mehrheitlich kritisiert.
Am 16.Dezember gab es einen Angriff gegen die Demonstranten, aber die Unruhen und der Streik ziehen sich schon seit letztem Mai hin. Was genau ist da passiert?
Was als Hungerstreik begann, wurde ab dem 17.Mai zu einem Vollstreik der Ölarbeiter. In Schanaosen, eine dieser Arbeiterstädte nicht weit vom Kaspischen Meer, versammelten sich die Arbeiter stets auf dem zentralen Platz. Das taten sie auch am 16.Dezember, das ist in Kasachstan ein Staatsfeiertag, der 20.Jahrestag der Gründung der Republik. Genau auf dem Platz, wo sich sonst die Protestierenden versammeln, sollte an dem Tag eine Jubelveranstaltung stattfinden. Dabei stürmten streikende Arbeiter die Bühne, beim anschließenden Polizeieinsatz wurde scharf geschossen, auch auf fliehende Arbeiter. Offiziell gab es 17 Tote, vermutlich waren es viel mehr, die Gewerkschaften sprechen von 70 Toten.
Die Bedeutung der Unruhen war umso größer, als dieser Tag so etwas wie ein nationaler Schicksalstag ist, vergleichbar mit unserem 9.November. Schon 1986, noch zu Zeiten der Sowjetunion, gab es Aufstände am 16.Dezember. Als ich in Kasachstan war, merkte ich bei meinen Treffen mit Menschenrechtsgruppen, dass das, was am letzten 16.Dezember geschehen war, einen großen Schock ausgelöst hat, eine Art Paradigmenwechsel.
Bislang gibt es jedoch lediglich eine Untersuchung unter der Leitung des Generalstaatsanwalts Davidowitsch – mit dem ich auch gesprochen habe –, die meines Erachtens völlig unzureichend ist. Ich fordere eine unabhängige Untersuchungskommission. Die offizielle Untersuchung, bei der gerüchteweise auch das amerikanische FBI behilflich ist, hakt nicht wirklich nach. Bislang wurden nur drei lokale Polizisten verurteilt, die angeblich geschossen haben. Dass das jedoch höchstwahrscheinlich eine organisierte und von oben angeordnete Aktion war, wird nicht wirklich untersucht.
Warst du in Schanaosen?
Ja, ich war dort, um die Wahlen zu beobachten. Vorher habe ich Natalja Sokolowa besucht, Gewerkschaftsjustiziarin in dem Betrieb, in dem der Streik stattgefunden hat. Sie wurde verhaftet und am 8.August zu sechs Jahren Haft wegen «Schürens sozialer Konflikte» verurteilt. Das Urteil ist skandalös, wir fordern ihre Freilassung.
In Schanaosen sahen wir uns den Platz an, wo die Schüsse auf die Demonstranten erfolgten. Auf Videos sieht man, wie die Leute auf dem Platz verbluten. Ich beobachtete die Wahllokale, man merkte, dass die Stadt belagert war, sofort nach den Unruhen war dort der Ausnahmezustand verhängt worden, niemand kam rein – wir hatten eine Sondergenehmigung als Wahlbeobachter für den Europarat.
Während wir da waren, kamen Journalisten höchstens mit einer Sondergenehmigung in die Stadt. Der Ausnahmezustand dauerte bis zum 31.Januar, es ist unklar, was in dieser Zeit passierte. Es gibt viele Berichte über Folter. Offiziell betonte man stets, dass man das untersuchen will, aber de facto wurden auch die Führer der Streikbewegung verhaftet und gefoltert, man wollte genau schauen, wer spielt da welche Rolle.
Gab es denn in Schanaosen irgendeine Möglichkeit zu überprüfen, wie viele Tote es im Dezember tatsächlich gab?
Ich war im Rahmen einer Wahlbeobachtung des Europarats da. Das war keine Delegation zur Untersuchung der Ereignisse in Schanaosen. Ich wollte aber gezielt in diese Region. Leider ist es in so einem Rahmen völlig unmöglich, eine Untersuchung zu machen. Man kann höchstens Eindrücke sammeln. Wir haben uns den Wahlvorgang angeschaut, haben kontrolliert, ob es Wahlfälschungen gibt. So haben wir z.B. festgestellt, dass nach unserer Schätzung ungefähr 3000 nicht in Schanaosen ansässige Polizisten und Militärs dort abgestimmt haben, das wurde dem Stimmergebnis der Bevölkerung von Schanaosen zugeschlagen.
Die Wahl fand doch vor allem statt, damit Nasarbajew sein Image in der Welt verbessert, oder?
Bis jetzt gab es in Kasachstan nur eine Partei im Parlament, die Nur Otan, Licht des Vaterlands heißt das, die Partei von Nasarbajew. Da selbst in Kasachstan die Entwicklungen, die wir im arabischen Raum beobachten, eine Rolle spielen, wollte er sich ein etwas demokratischeres Image geben. Die vorgezogenen, eigentlich gar nicht vorgesehenen, Wahlen rief er mit der Begründung aus, er wolle eine zweite Partei im Parlament haben. Nun sind es drei Parteien geworden, außer Nur Otan sind jetzt noch die Kommunistische Volkspartei Kasachstans und die Wirtschaftspartei Ak Schol (Heller Weg) im Parlament. Beide sind sehr regimetreu, also keine ernstzunehmenden Oppositionsparteien.
Die Kommunistische Partei hat sich gespalten, nur der regimenahe Teil wurde zur Wahl zugelassen, andere oppositionelle Parteien und Kandidaten wurden nicht zugelassen. Der vorgezogene Wahltermin wurde außerdem damit begründet, dass 2012 mit einer Wirtschaftskrise zu rechnen sei. Nasarbajew wollte die Wahlen vor der Krise abhalten, weil er damit rechnet, dass die Krise noch mehr Unzufriedenheit schüren wird. Es sind also sehr taktische Gründe, aus denn diese Wahlen angesetzt wurden, auf diese Weise hat man versucht, eine öffentliche Auseinandersetzung darüber, welchen Weg Kasachstan gehen soll, zu verhindern.
Nach den Schüssen auf die streikenden Ölarbeiter hat Nasarbajew seinen Schwiegersohn, den Manager des Ölkonzerns, entlassen. Damit hat er sich gewissermaßen der Verantwortung für die tödlichen Angriffe entledigt.
Nach dem 16.Dezember verfolgte Nasarbajew eine Doppelstrategie: Einerseits sagte er, ja, die Forderungen sind berechtigt, er kritisierte, dass darauf nicht eingegangen wurde und forderte die Wiedereinstellung der Arbeiter. Auf der anderen Seite erklärte er, Hooligans seien für die Ausschreitungen verantwortlich, und verhängte den Ausnahmezustand. Offenbar will er den Großteil der Arbeiter wieder zurückgewinnen und nur die Anführer verhaften und aus dem Verkehr ziehen. Vordergründig klingt das gut, aber in den Wochen nach der Wahl gab es weitere Verhaftungen von Oppositionellen, auch Gewerkschaftern.
Sind denn die Leute, die in der Ölindustrie arbeiten, nicht wesentlich wichtig für das Regime? Und wenn ja, warum werden sie nicht besser behandelt? Oder sind sie leicht ersetzbar?
Der Streik hat auch Probleme in der Ölförderung verursacht, das hat das Regime wohl falsch eingeschätzt. Eigentlich hat so ein Regime kein Interesse daran, solche Leute so schlecht zu behandeln, deshalb versucht Nasarbajew auch, sie wieder einzustellen und zurückzugewinnen; er will sich nur von radikalen oder politisch oppositionellen Elementen trennen.
Die Frage ist nur, ob das funktioniert, denn in Kasachstan ist die Unzufriedenheit insgesamt sehr groß, auch auf politischer Ebene. Der ökonomische Kampf ist sehr schnell in einen politischen Kampf umgeschlagen, bis hin zur Forderung nach Rücktritt von Nasarbajew. Es gibt eine politische Aufbruchstimmung, die im Kontext mit den Demokratiebewegungen im arabischen Raum zu sehen ist.
Besteht die Bevölkerung hauptsächlich aus Muslimen?
Ich hatte das Gefühl, dass Religion im dortigen politischen Leben keine große Rolle spielt.
Die Affinität zum arabischen Frühling kommt also nicht daher?
Nein, es ist die Unzufriedenheit mit der Art von Semidiktatur, die dort herrscht.
Wie sah die Wahlbeobachtung konkret aus?
Ich war Wahlbeobachter für den Europarat, es gab auch Wahlbeobachtung von der OSZE. Beim Europarat ist es so, dass die Abgeordneten in die Hauptstadt fliegen. Zwei Tage vor der Wahl finden mit allen möglichen Parteien, den zugelassenen Parteien wie den nicht zugelassenen, Gespräche statt, ebenso mit Menschenrechtsorganisationen, mit dem Vertreter der Wahlbehörde, mit allem, was in Bezug auf die Wahl relevant ist. Diese führten wir zusammen mit den OSZE-Beobachtern.
Dann teilt man sich auf in Zweierteams, zwei Europaratsabgeordnete, die aus verschiedenen Ländern kommen und verschiedenen politischen Fraktionen angehören müssen, sie bekommen jeweils einen Dolmetscher und einen Chauffeur. Man schaut sich das Wahlgeschehen an und trifft sich theoretisch nachher wieder in der Hauptstadt. Dort werden die Erfahrungen zusammengetragen, dann gibt es eine Pressekonferenz und ein Statement sowie einen ausführlichen Bericht, der auf der nächsten parlamentarischen Versammlung des Europarates verabschiedet wird – dieser ist gerade in Arbeit.
Da wir aber zweieinhalbtausend Kilometer von der Hauptstadt entfernt waren, waren wir nicht rechtzeitig zum persönlichen Austausch zurück. Deswegen haben wir unsere Erfahrungen telefonisch durchgegeben.
Was plant ihr jetzt weiter für Aktionen?
Ich habe meine Rolle in der Wahlbeobachtung genutzt um die Campaign Kazakhstan zu unterstützen und bekannter zu machen, ich habe auch auf ihrer Kundgebung in Berlin anlässlich des Staatsbesuchs gesprochen. Die Campaign unterstützt auch die Gewerkschaften in Kasachstan. Außerdem will ich mich für die Freilassung der erwähnten Gewerkschaftsjustiziarin Natalja Sokolowa einsetzen, da ich der einzige außerhalb ihrer Familie bin, der sie im Gefängnis besuchen durfte. Leider verbietet mir meine sonstige Tätigkeit, mich darüber hinaus auf Dauer intensiv mit Kasachstan zu beschäftigen.
Das Rohstoffabkommen war wohl ein exemplarischer Fall, es gibt ja mittlerweile eine erhöhte Sensibilität darüber, von wem Rohstoffe bezogen werden.
Teil des strategischen Ansatzes der deutschen Außenpolitik ist derzeit, verstärkt mit regionalen Hegemonialmächten wie Kasachstan oder der Türkei eine enge Kooperation zu suchen und auch solche Verträge abzuschließen. Menschen- oder Gewerkschaftsrechte spielen da keine Rolle, immer wird betont, Kasachstan sei ein Vorbild an Stabilität in der Region. Das ist aber bestenfalls eine sehr kurzsichtige Denkweise, weil Stabilität, die soziale und Menschenrechte ausklammert, nicht von Dauer sein kann.
Mehr zu Kasachstan und Andrej Hunkos Erfahrungen dort kann man auf seiner Homepage finden, www.andrej-hunko.de.
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