von Helmut Born
Ende Januar mussten die Bosse der Drogerie-Discounter-Kette Schlecker Insolvenz anmelden. Auch wenn es sich um eine sogenannte «Planinsolvenz» handelt, zeigt der Vorgang den Niedergang des einstmals unangefochtenen «Marktführers» an.
Die Geschichte von Schlecker ist die eines Unternehmens, das sich ständig mit einem schlechten Image herumschlagen musste. Das hat viel mit dem Geschäftsmodell, aber auch mit den unternehmenspolitischen Vorstellungen des Firmengründers, Anton Schlecker, zu tun.
Das Geschäftsmodell beruhte bis vor ein paar Jahren darauf, in jedem Wohnviertel eine, häufig sehr kleine, Filiale zu haben. Diese waren mit einer minimalen Personalbesetzung ausgestattet. Zumeist waren die Verkäuferinnen alleine tätig.
So wie die Ausstattung der Läden waren auch die Bedingungen für die Beschäftigten: äußerst karg. Tarifverträge und gesetzliche Bestimmungen wurden nicht eingehalten, mit den installierten Telefonen ließen sich nur betriebsinterne Telefonate abwickeln, und selbst der Besuch der Toilette musste bis auf den letzten Moment hinaus geschoben werden, weil ja keine Ablösung bereit stand. Hinzu kamen die ständigen Schikanen der Vorgesetzten, die den Verkäuferinnen leicht das Leben zur Hölle machen konnten.
Aus der ständigen One-woman-Besetzung folgte, dass Schlecker-Filialen sehr häufig überfallen wurden. Die Zeitungen berichten bis heute darüber, das mal wieder ein Drogeriemarkt überfallen wurde und die Täter durch Bedrohung mit einer Pistole oder einem Messer eine gewisse Summe erbeuten konnten.
Mit zunehmender Präsenz der Konkurrenten DM, Rossmann, Müller oder anderer kam das Geschäftsmodell von Schlecker unter Druck. Die sog. Schlecker-Kampagne der damaligen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen brachte die Machenschaften des Anton Schlecker ans Licht der Öffentlichkeit.
Die miese Bezahlung, die Arbeitsbedingungen in den Filialen wurden zum Diskussionsgegenstand in der Öffentlichkeit. Fernsehbeiträge zur besten Sendezeit beschäftigten sich mit den Verhältnissen bei Schlecker. Anton Schlecker wurde in einem Gerichtsverfahren wegen Sozialversicherungsbetrug zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Mit dieser Kampagne gelang es der HBV, sich bei Schlecker, zuerst in Baden-Württemberg, zu verankern und Betriebsrätestrukturen aufzubauen. Trotzdem musste jeder einzelne Schritt gegen den erheblichen Widerstand vom Boss durchgesetzt werden. Gewerkschaften, Betriebsräte, Arbeiterrechte o.ä. waren im Geschäftsmodell von Anton Schlecker nicht vorgesehen.
Uneinsichtig bis zum Schluss
Bis vor wenigen Jahren schien dieses Geschäftsmodell Profite zu erwirtschaften. Trotz stetig steigender gewerkschaftlicher Organisierung und des widerständigen Agierens vieler Betriebsräte, das so manche Erfolge brachte, konnte Schlecker nicht zu einem grundlegenden Kurswechsel gezwungen werden. Bis er, offensichtlich veranlasst durch schlechte Betriebsergebnisse, einen Strategiewechsel hin zu größeren Filialen, den sog. XXL-Filialen, bekannt gab. Wie die Änderung dann betrieben wurde, sollte wiederum zum Gegenstand der öffentlichen Debatte werden und ist die Grundlage für die jetzige Misere.
Schlecker gründete eine eigene Leiharbeitsfirma, die gegen ganz kleine Bezahlung Beschäftigte an die jeweils neugegründete XXL-Filiale auslieh. Im Zuge der neuen Filialgründungen wurden im Umfeld kleinere Filialen geschlossen, was dazu führte, dass die Beschäftigten der kleineren Filialen arbeitslos zu werden drohten. Alternativ könnten sie sich ja, so Schlecker, bei der Leiharbeitsfirma bewerben. Damit bewies er, dass er rein gar nichts aus den Auseinandersetzungen der letzten Jahre gelernt hatte. Er beharrte auf seinem Herr-im Haus-Standpunkt und meinte tatsächlich, sich gegen alle Widerstände durchsetzen zu können. Inzwischen waren die Bedingungen bei Schlecker aber so, dass die Betriebsräte, wo immer sie konnten, diese Personalpolitik blockierten und ihre Gewerkschaft Ver.di die Praktiken an die Öffentlichkeit brachte.
Dies sorgte für einen Sturm der Entrüstung, Schlecker musste klein beigeben. Ver.di schloss mehrere Vereinbarungen, die die Rechte der Beschäftigten schützten, und erstmals auch Tarifverträge mit Schlecker ab.
Die Gründung der eigenen Leiharbeitsfirma und die sich daraus ergebende Praxis brachte selbst die derzeitige Bundesregierung in Zugzwang und zwang sie, solchem Geschäftsgebaren einen Riegel vorzuschieben. Diese Niederlage veranlasste den Patriarchen, die Geschäftsführung seinen beiden Kindern zu übertragen. Die können sich nun mit den Folgen der Geschäftspolitik ihres Vaters herumschlagen und versuchen, den Laden irgendwie wieder flott zu kriegen.
Was wird aus der Belegschaft?
Nachdem sich Ver.di, endlich auch durch Vereinbarungen abgesichert, bei Schlecker etabliert hatte und die neuen Chefs der Gewerkschaft gegenüber eine Kehrtwende vollzogen, wurde die wirtschaftliche Situation bei Schlecker immer mehr offenbar. Offensichtlich schreibt das Unternehmen seit mehreren Jahren Verluste und hat Rechnungen von Lieferanten spät oder manchmal gar nicht beglichen.
Dementsprechend waren die Filialen bestückt: Die Kundinnen standen immer häufiger vor leeren Regalen, während äußerst erfolgreiche Unternehmen wie DM und Rossmann Schlecker immer mehr Marktanteile abjagten – und das mit einem Geschäftsmodell «humaner Kapitalismus», also genau das Gegenteil von Schlecker. Mit ihrem Sortiment und der Gestaltung ihrer Filialen bieten sie Kundinnen zudem eine wirkliche Alternative zu dem sehr bieder wirkenden Schlecker-Auftritt.
Mit dem Insolvenzverfahren versuchen die Schlecker-Geschwister nun zu retten, was zu retten ist. So wird mit Sicherheit die Gründung weiterer XXL-Filialen und die Schliessung kleinerer Filialen vorangetrieben. Der Insolvenzverwalter wird dazu einen Plan vorlegen. Die Beschäftigten beziehen ihr Einkommen jetzt erst einmal drei Monate lang von der Agentur für Arbeit, und ein Teil der knapp 36000 Beschäftigten könnte sich demnächst vielleicht auch arbeitslos melden.
Für Ver.di geht es um einiges: Aufgrund der jahrzehntelangen Auseinandersetzungen ist Schlecker inzwischen eins der best organisierten Unternehmen im Einzelhandel. Mit einem Pleite gegangenen Unternehmen drohen auch diese Errungenschaften verloren zu gehen. Deswegen ist es vollkommen berechtigt zu fordern, dass Anton Schlecker von seinem, den Beschäftigten abgepressten, Milliardenvermögen Geld in die Sanierung steckt.
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