von Klaus Engert
Als in England im Jahre 1765 die erste Lebensversicherung gegründet wurde, deren Beitragsberechnung auf streng mathematischer Grundlage erfolgte, wurde sie eingeführt: die Beitragsrückerstattung. 1768 war es zum ersten Mal soweit. Und aus gutem Grund ist sie für diese Art der Versicherung auch heute im Gesetz verankert.
Die Beiträge werden von den profitorientierten Versicherungsunternehmen sehr «vorsichtig» kalkuliert und dadurch können die Versicherten ungebührlich geschröpft werden. Deshalb ist in vielen Ländern eine entsprechende Überprüfung und im Bedarfsfall Rückerstattung vorgesehen. Deutschland gehört zu den Ländern mit den schärfsten diesbezüglichen Regeln.
Wenn nun allerdings der Gesundheitsminister Bahr von den gesetzlichen Krankenkassen eine Rückerstattung fordert, ist das etwas völlig anderes. Die gesetzlichen Krankenkassen sind keine Privatunternehmen und ihre Überschüsse verschwinden nicht in den Taschen irgendwelcher Anteilseigner. Und was die Kalkulation angeht, so wird, und das weiß natürlich auch Herr Bahr, die Beitragshöhe der Krankenkassen nicht von diesen selbst, wie im Fall der Lebensversicherungen, sondern vom Gesetzgeber festgelegt.
Es gibt noch einen dritten wesentlichen Unterschied: Die Einnahmen der Krankenkassen sind konstruktionsbedingt, da nach Einkommen gestaffelt, extrem konjunkturabhängig. Im Gegensatz zum Gerede von der «Kostenexplosion» im Gesundheitswesen ist das Problem der Krankenkassen folgerichtig seit Jahrzehnten nicht in erster Linie die Ausgaben-, sondern die Einnahmeseite. Der derzeitige Überschuss ist ausschließlich die Folge des erheblichen Rückganges der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren plus der steigenden Zuschüsse des Bundes.
Wenn der Gesundheitsminister also der Meinung ist, dass die Beiträge zu hoch seien, dann hätte er jederzeit die Möglichkeit, sie zu senken. Dass er das nicht tut, ist allerdings aus seiner Sicht plausibel: Zum einen müsste er sie dann bei dem (zu erwartenden) erneuten Anstieg der Arbeitslosenzahlen wieder erhöhen, und das macht bei den Wählern gar keinen guten Eindruck. Zum anderen wäre die monatliche Absenkung von etwa fünf Euro längst nicht so sensationell wie die avisierte Rückerstattung von 30 bis 60 Euro auf einen Schlag. Da kann er sich wohlfeil auf Kosten der gesetzlichen Kassen als Wohltäter aufführen.
Es ist daran zu erinnern, dass die Kassen zwischen 2001 und 2003 Defizite von über 10 Milliarden angehäuft hatten, die über Kredite finanziert werden mussten – ein glänzendes Geschäft für die Finanzbranche. Es dauerte dann bis 2008, bis die Kassen diese Schulden einigermaßen losgeworden waren.
Und man muss sich vor allem klarmachen, dass sich 8,5 Milliarden Euro nach viel Geld anhören, aber gerade einmal die Ausgaben der Krankenkassen für 17 Tage abdecken: Jeden Tag geben sie fast eine halbe Milliarde aus.
Natürlich könnten die Beiträge der Krankenkassen erheblich niedriger sein, und zwar nicht nur um 3 oder 5 Euro im Monat, sondern um schätzungsweise das Zehn- bis Zwanzigfache. Aber dann müsste man sich mit den exorbitanten Gewinnen der Pharmaindustrie, der medizinisch-technischen Industrie und nicht zuletzt auch mit denen der privaten Krankenhauskonzerne beschäftigen, die durch die Deregulierungs- und Privatisierungspolitik aller Bundesregierungen der letzten 25 Jahre möglich geworden sind.
Natürlich stimmt es, was der Stern als Argument für eine Rückerstattung anführt, dass nämlich im Bereich der ärztlichen Selbstverwaltung, die ja auch aus den Solidarbeiträgen finanziert wird, eine schamlose Selbstbedienungsmentalität herrscht und beispielsweise die «Übergangsgelder» im sechsstelligen Bereich für Ärztefunktionäre durch nichts zu rechtfertigen sind. Aber auch hier sind es nicht die Krankenkassen, die dafür verantwortlich sind, sondern Gesundheitspolitiker wie der Herr Bahr von der Zahnärztepartei.
Der Skandal besteht nicht darin, dass die Kassen für die zu erwartende erneute Finanznot der nächsten Jahre einen Notgroschen behalten wollen, sondern darin, dass permanent die solidarisch aufgebrachten Kassenbeiträge in privaten Profit verwandelt werden.
Ein Vorschlag, Herr Bahr: Wie wäre es denn mit einer Rückerstattung aus den Kassen der Firmen Siemens, Bayer, Aventis und wie sie sonst alle heißen und aus den Kassen der florierenden privaten Krankenhausketten? Da käme wenigstens eine nennenswerte Summe zusammen.
Man könnte ja auch endlich einmal daran denken, die Beitragsbemessungsgrenze aufzuheben. Dann würden für die, die ein paar Euro mehr bitter nötig haben, die Beiträge ebenfalls kräftig sinken. Aber diese Sau wird der Schweinehirt im Gesundheitsministerium sicher nicht durchs Dorf treiben. Das wäre ja auch nicht Populismus, sondern schon fast Kommunismus…
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