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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2012
Mehrfacher Mord an kolumbianischen Gewerkschaftern

von Jochen Gester

Kolumbien ist ein Land mit vielen Bodenschätzen und anderen natürlichen Reichtümern. Es ist deshalb ein bevorzugtes Investitionsgebiet internationaler Konzerne. Auch Großunternehmen aus der EU sichern sich mit einem Freihandelsabkommen einen privilegierten Zugriff.Das staatliche Regime bietet autoritären Schutz und ist selbst mit paramilitärischen Todesschwadronen liiert, die als Schutztruppe der Großgrundbesitzer aufgestellt wurden.

Für Gewerkschafter ist das Land die Hölle. Über 2500 von ihnen wurden in den letzten 25 Jahren ermordet, hier finden 60% der weltweit begangenen Morde an organisierten Arbeitern statt, wobei nur 6% der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung überhaupt gewerkschaftlich organisiert sind.

Im Fadenkreuz der Angriffe steht vor allem die Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal, deren Mitgliederbestand durch Terror und Drohungen auf 3600 gedrückt wurde. Mehr als 20 aktive Mitglieder wurden seit Mitte der 80er Jahre ermordet. Dreizehn davon arbeiteten vorher in einer Nestlé-Fabrik.

Luciano Romero

In Kolumbien bleibt die Ermordung von Gewerkschaftern und anderen Menschenrechtsaktivisten so gut wie folgenlos. Lediglich in 5 von etwa 2000 Fällen haben die Gerichte bisher einen Mörder zur Verantwortung gezogen. Ein solcher Ausnahmefall war der Prozess, der auf die Ermordung des Nestlé-Arbeiters und Sinaltrainal-Aktivisten Luciano Romero folgte. Richter José Nirio Sanchez verurteilte vier ehemalige Paramilitärs zu Haftstrafen bis zu vierzig Jahren.

Es ist bezeichnend für den alles andere als demokratischen Charakter des von westlichen Politikern umworbenen kolumbianischen Staates, dass dieser Richter anschließend in den USA politisches Asyl suchen musste.

Luciano Romero war über viele Jahre in der Nestlé-Fabrik Cicolac in Valledupar beschäftigt. Auf Grund seines gewerkschaftlichen Engagements wurde er immer wieder bedroht. Romero war einer der Organisatoren eines Streiks, mit dem Nestlé-Beschäftigte verhindern wollten, dass die Firma Löhne und Sozialleistungen senkt und die medizinische Versorgung auflöst. Bis auf zwei Arbeiter wurden alle Streikorganisatoren in der Folge Opfer von Mordanschlägen.

Deshalb suchte Luciano 2004 vorübergehend Schutz im spanischen Exil. Doch die Sehnsucht nach der Familie und seine Überzeugung, im Land eine Aufgabe wahrnehmen zu müssen, ließen ihn zurückkehren. Er nahm seine gewerkschaftliche Arbeit wieder auf und klagte auf Wiedereinstellung in die Nestlé-Fabrik. Am 10. September 2005, wenige Tage, bevor er vor einem internationalen Tribunal gegen Nestlé in der Schweiz aussagen wollte, wurde er ermordet, von Auftragskillern mit 50 Messerstichen langsam zu Tode gefoltert.

Neue Wege

Weil diese Verhältnisse so unerträglich sind, haben sich kolumbianische, deutsche und Schweizer Anwälte jetzt entschlossen, juristisch neue Wege einzuschlagen. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) hat bei der Staatsanwaltschaft im Kanton Zug gegen die Nestlé AG Strafanzeige wegen «fahrlässiger Tötung durch Unterlassen» eingereicht.

Nestlé wusste seit Jahren von der Gefährdung des Ermordeten, leitende Mitarbeiter der kolumbianischen Niederlassung Cicolac haben durch verleumderische Äußerungen seine Bedrohung massiv gefördert. Der später Ermordete wurde von Nestlé-Managern öffentlich als «Guerillero» bezeichnet. Zudem drohte das Unternehmen mit seiner Schließung, würde Sinaltrainal nicht gestoppt werden. Ersteres kommt in Kolumbien schon einem Todesurteil gleich. Und mit der Schließungsdrohung rief man die von Nestlé abhängigen Milchlieferanten, Großgrundbesitzer mit besten Beziehungen zu den Paramilitärs, auf den Plan.

Die ECCHR hat nicht nur deshalb die Schweiz als Ort für die Klage gewählt, weil Nestlé dort seinen Stammsitz hat, sondern weil die Schweiz – ganz im Gegensatz zu Deutschland – ein Unternehmensstrafrecht besitzt. Ziel ist es, eine richterliche Entscheidung zu bewirken, dass dieses Recht entweder auf das angeklagte Unternehmen angewendet oder öffentlich klargestellt wird, dass die existierenden Rechtsmittel noch unzureichend sind und erweitert werden müssen. Dafür kämpft auch die Schweizer Kampagne «Recht ohne Grenzen».

Solidarität

Die Einreichung der Klage war ein Paukenschlag, die Resonanz bisher gut. In der Schweiz wird flächendeckend berichtet. Auch in Berlin gab es nach der Pressekonferenz am 9. März gut recherchierte Artikel zum Thema.

Hier und auf weiteren Veranstaltungen, die auch in die Schweiz führen, informiert Carlos Olaya, Vorstand der Sinaltrainal, über die Situation seiner Gewerkschaft. Er wird begleitet von Beatrix Sassermann von BaSo Wuppertal, die zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen am Wochenende vom 31.3. bis 2.4 zu einer Konferenz mit dem Thema «Konzerne, Menschenrechte, soziale Kämpfe und internationale Solidarität in Kolumbien und anderen Ländern» einlud.

Dabei wurde auch der 30-jährige Geburtstag der Sinaltrainal gefeiert, die durch ihren Mut und ihr Beispiel zeigt, welche großen politischen und moralischen Kräfte die Arbeiterbewegung auch heute hervorbringt.

 

www.rechtohnegrenzen.ch/de.

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