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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2012

Für einen nationalen Mindestlohn und Festanstellung

von Kunal Chattopadhyay

Elf indienweite Gewerkschaftsverbände und rund 5000 Gewerkschaften riefen zusammen am 28.Februar 2012 zum Streik auf. Daraus wurde ein Generalstreik.

Der Generalstreik fand trotz wiederholter Gerichtsanordnungen statt, die die Ausrufung von Bandhs oder Hartals, also Generalstreiks, als unzulässig erklärten, weil sie politische Aktionen sind, die sich nicht nur gegen einzelne Industriebosse richten, sondern gegen die Regierung und deshalb nicht toleriert werden können. In zahlreichen Provinzen gab es scharfe Reaktionen der Regierungen.

Alles in allem war der Streik ziemlich erfolgreich. Die Industriegewerkschaften, die Gewerkschaften der Unorganisierten, Bank- und Lehrergewerkschaften – sie alle schlossen sich zusammen. Die Vereinigung der Hochschullehrer (All India Federation of University and College Teachers Organisations) stimmte ebenfalls dem Streikvorhaben zu. Bergarbeiter, Beschäftigte im Energiesektor und im Baugewerbe bekundeten ihre Solidarität mit dem Streikaufruf. Unter den Forderungen waren gleiche Löhne für gleiche Arbeit für reguläre wie für Leiharbeiter.

Nach außen hin machten die Regierungen gute Miene zum bösen Spiel und erklärten den Streik zum Misserfolg. Die Realität ließ sich jedoch nicht leugnen. Die Vereinigte Industrie- und Handelskammer Indiens (Assocham) meinte, es gebe keine Rechtfertigung für den Streik, denn er werde auf nationaler Ebene womöglich zu einem Verlust von umgerechnet 20 Mio. US-Dollar führen.

Die Gewerkschaften forderten einen nationalen Mindestlohn, eine feste Anstellung für 50 Millionen Leiharbeiter, größere Bemühungen der Regierung, die Lebenshaltungskosten zu begrenzen, und den Stop der Privatisierung erfolgreicher öffentlicher Unternehmen.

Vor Ort

In Kolkata, einer traditionellen Gewerkschaftshochburg, blieben die meisten Bankfilialen, Läden und anderen Betriebe geschlossen, auf den Straßen waren kaum Rikschas oder Taxis zu sehen. Die U-Bahn fuhr regulär, und der aggressive Ministerpräsident Westbegalens, Mamata Banerjee, der sich gegen den Streikaufruf gewandt hatte, brachte zusätzlich 1000 Busse in die Stadt. Laut Kolkatas Polizeichef Pachnanda waren 10000 Polizeibeamte über die Stadt verteilt – inklusive Spezialeinheiten in Regierungsbüros, Busdepots und Metrostationen, um das einschüchternde Aufstellen von Streikposten zu verhindern. Die Nachrichtenagentur Press Trust of India (PTI) berichtete, 100 Streikbefürworter seien in verschiedenen Bezirken wegen Behinderung des Schienen- und Straßenverkehrs verhaftet worden.

In Mumbai, dem Finanzzentrum Indiens, wurde der Bankensektor nach Angaben des Generalsekretärs der indienweiten Vereinigung von Bankbeamten, Vishwas Utagi, vollständig stillgelegt. Die Verrechnungsstelle der Zentralbank war geschlossen worden, «damit die privaten und ausländischen Banken, in denen wir nicht präsent sind, auch betroffen sind», so Utagi gegenüber der PTI. In der Hauptstadt Neu-Delhi gab es weniger Verkehr als sonst, und die Leute, die am Hauptbahnhof ankamen, hatten Schwierigkeiten, in andere Teile der Stadt zu gelangen. Nur einige wenige Beschäftigte der Bank of India im Zentrum meldeten sich zur Arbeit, es gab jedoch keinerlei geschäftliche Tätigkeiten. Die Pendler klagten, dass nur wenige öffentliche Busse verkehrten.

Der eintägige Streik beeinflusste das Leben in ganz Karnataka, inklusive Bangalore, wo Geschäfte, Banken, Fabriken, Restaurants und Kinos geschlossen blieben; der öffentliche Transport war ziemlich eingeschränkt, weil keine Taxis und Autorikschas verkehrten. Über 10000 Beschäftigte, die verschiedenen Gewerkschaften angehören (dem  Dachverband All India Trade Union Congress (AITUC, steht der Communist Party of India [CPI] nahe) bzw. dem Dachverband Centre of Indian Trade Unions (CITU, mit der Communist Party of India/Marxist [CPI/M] verbunden), sowie Bankangestellte protestierten vor dem Rathaus und der Mysore Bank im Stadtzentrum gegen die gewerkschaftsfeindliche Politik der Regierung von Karnataka (sie wird von der Kongresspartei geführt).

In Nagpur waren nicht nur der Transport und die Banken betroffen, sondern zum ersten Mal in der jüngsten Vergangenheit auch die Ordnance Factory in Ambhajhari, die Artillerieraketen und die neuesten Pinaka-Raketen herstellt. In dieser Fabrik werden fast 600 Raketen verschiedener Kaliber hergestellt, u.a. auch die 155-mm-Variante, die aus Bofors-Gewehren abgefeuert werden, sowie täglich 24 Pinaka-Raketen. All dies wurde einen Tag lang aufgrund des Streiks gestoppt.

Im ganzen Land warten seit fünf Jahren Vollzeitlehrer auf ihre Gehälter, die Zahl von schlecht bezahlten Leiharbeitslehrern nimmt zu. Unter den Regierungsbeamten ist die Lage ähnlich schlimm. Durch Outsourcing, Leiharbeit und befristete Verträge gingen seit 1993/94 rund eine Million unbefristete Stellen verloren. Der Druck ist daher so groß, dass sogar der von der Kongresspartei kontrollierte Nationale Indische Gewerkschaftskongress INTUC gezwungen war, sich am Streik zu beteiligen – gemeinsam mit Gewerkschaften, die von der CPI und anderen dominiert werden. Den Gewerkschaften zufolge wurden Hunderte von Arbeitern in verschiedenen Bundesstaaten verhaftet, aus Delhi wurden 200 Verhaftungen gemeldet, aus Jammu und Kaschmir 2000. Eine ähnliche Anzahl war in Westbengalen verhaftet worden, wo sich die Regierung gegen den Streik gestellt hatte.

Quelle: www.europe-solidaire.org.

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