«Er kommt, er kommt nicht, er kommt, er kommt nicht» – das Rätselraten um die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs gegen den Iran nimmt zuweilen die Züge eines Gänseblümchenspiels an.
Unübersehbar hat Netanyahu bei seinem Besuch in Washington Anfang März versucht, Präsident Obama eine Entscheidung für einen militärischen Angriff, mindestens aber die Hinnahme eines militärischen Alleingangs Israels, abzunötigen: Im Vorfeld war davon die Rede, Israel werde allein losschlagen, wenn die USA sich nicht dazu entschließen könnten und werde vorab die USA auch nicht informieren. Vor der ultrazionistischen Israel-Lobby AIPAC verkündete Netanyahu, die diplomatischen und wirtschaftlichen Druckmittel seien ausgereizt und hätten nichts gebracht, man könne mit einer militärischen Aktion «nicht mehr viel länger zuwarten».
Einen Tag später «stellte Obama den ganzen Trupp mit einer kurzen und knappen Replik in den Senkel», schrieb das jüdische Onlinemagazin Tachles am 9.März. Er hatte erklärt, eine verfrühte israelische Attacke gegen Iran wäre mit einem hohen Preis sowohl für Jerusalem als auch für Washington verbunden. «Auch ein Netanyahu, der vor der AIPAC in einer ans Zynische grenzenden Effekthascherei den Amerikanern ihr zögerliches Verhalten in der Frage der Bombardierung von Auschwitz im Zweiten Weltkrieg unter die Nase rieb, wird nicht umhin können, seine politisch-militärische Auslegeordnung neu zu sortieren», kommentiert das Magazin. «Israel hat wohl das Recht, sich selbst zu verteidigen, darf darüber aber nicht vergessen, dass es auch heute noch vorwiegend die Amerikaner sind, die dem jüdischen Staat die Fähigkeit verleihen, eigene Entscheidungen nicht nur zu treffen, sondern auch in die Tat umzusetzen.»
Bei der Zurückweisung blieb es jedoch nicht. Gleichzeitig stimmte die Regierung Obama nämlich der Lieferung moderner Flugzeuge zum Auftanken von Düsenjägern in der Luft und bunkerbrechenden Bomben vom Typ GBU-28 zu. Obama ist dem israelischen Druck damit weiter entgegen gekommen als seinerzeit George W.Bush: Der lehnte die Lieferung damals ab, weil er befürchtete, Israel werde sie für Angriffe auf den Iran verwenden. Obamas Zustimmung wird nun als Anzeichen dafür verstanden, dass er sich mittelfristig auf militärische Aktionen gegen Teheran einstellt – denn dass die USA zuließen, dass Israel ohne sie einen solchen Krieg führt, ist undenkbar.
Der israelischen Zeitung Maariv zufolge ist die Lieferung von Großwaffen an Israel Obamas Preis dafür, dass Israel ihm eine Galgenfrist einräumt und nicht vor den Präsidentschaftswahlen im November dieses Jahres losschlägt.
Es geht also allem Anschein nach nicht mehr um das Ob, sondern um das Wann und Wie. Dennoch kommentierte Uri Avnery von der israelischen Friedensorganisation Gush Shalom am 11.März in der israelischen Tageszeitung Haaretz: «Israel wird Iran nicht angreifen. Punkt. Die USA werden den Iran nicht angreifen. Punkt. Nicht in diesem Jahr, nicht in den kommenden Jahren – weil ein Angriff eine nationale Katastrophe für die USA selbst und ein Desaster für die ganze Welt darstellen würde.»
Zur Unterstützung seiner Behauptung zitiert Avnery Napoleon: «‹Wenn Sie die Politik eines Landes verstehen wollen, schauen Sie auf die Landkarte.› Minuten nach einem Angriff würde der Iran die Straße von Hormus schließen, durch die fast das gesamte Erdöl muss, das von Saudi-Arabien, den Vereinigten Emiraten, Kuwait, Qatar, Bahrain, dem Irak und dem Iran exportiert wird – 40% des weltweit auf dem Seeweg beförderten Öls passieren diese Meeresenge. Minuten nach einer solchen Maßnahme würde der Ölpreis in den Himmel klettern – und die US-Ökonomie, die Weltwirtschaft würden zusammenbrechen ... Der Iran macht keinen Unterschied zwischen einem israelischen und einem amerikanischen Angriff.»
Am 13.April beginnen in Genf Diskussionen zwischen dem Iran, den USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland über das iranische Atomprogramm. Es wird erwartet, dass sich die Verhandlungen über drei Monate hinziehen und dass Israel solange nichts unternehmen wird. Das von der EU beschlossene Embargo von iranischem Erdöl tritt am 1.Juli in Kraft.
Eben dieses Embargo könnte sich jedoch als Boomerang erweisen.
«Die wichtigste Waffe Teherans ist nicht der Cyberterror oder die Schnellbootflotte und schon gar nicht die fiktive Atombombe», schreibt Gary Sick in Le Monde Diplomatique. «Es ist eine Art wirtschaftliche Massenvernichtungswaffe – der Ölpreis. Um diese Waffe einzusetzen, muss das Land nicht einmal die Straße von Hormus abriegeln.»
Es könnte aber sein, dass der Westen diese Waffe selbst auslöst – durch die gegen Iran verhängten internationalen Sanktionen: Bis Mitte 2012 werden pro Tag 2 Millionen Barrel iranischen Öls auf den internationalen Märkten fehlen. Der Ölpreis könnte in ungeahnte Höhen steigen, und zwar für unbestimmte Zeit. Die Weltwirtschaft würde in eine tiefe Rezession stürzen. Zwar hat Saudi-Arabien erklärt, die Lieferausfälle durch eine Steigerung der eigenen Produktion auszugleichen. Dennoch würde ein Ausfall iranischer Lieferungen z.B. Griechenland, Italien und Spanien hart treffen, weil sie mit dem Iran Kompensationsgeschäfte ausgemacht hatten, also nicht in Geld, sondern in anderen Waren bezahlen; außerdem wäre das saudische Öl teurer als das iranische und die Verträge kurzfristiger.
Die «lähmenden» Sanktionen treffen also nicht nur den Iran, sie haben auch Folgen für den Rest der Welt.
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