von Jochen Gester
Die Gewerkschaft der Flugsicherung in Frankfurt/M fordert die Angleichung an ein Gehaltsniveau, wie es anderen Flughäfen bereits existiert. Trotzdem wird sie vom Arbeitsgericht und von der Konkurrenzgewerkschaft Ver.di geblockt.
In Einhaltung der 24-stündigen Vorlaufzeit rief die Gewerkschaft der Flugsicherung e.V. (GdF) am Frankfurter Flughafen am 15.Februar ihre Mitglieder in der Verkehrszentrale, der Vorfeldkontrolle und Vorfeldaufsicht auf, am nächsten Tag die Arbeit zwischen 15 und 22 Uhr einzustellen.
Diese Ankündigung, das reibungslose Funktionieren des wichtigsten Verkehrsdrehkreuzes der Republik für Stunden zu unterbrechen, wirkte wie ein Kanonenschlag und katapultierte die bisher weitgehend unbekannte Gewerkschaft in die Top-News. Der Streik wurde befolgt, doch bevor es zu einem Verhandlungsergebnis kam, wurde er durch ein Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am 29.2. beendet, das einer Einstweiligen Verfügung der Arbeitgeberseite folgte.
Wer sind die wichtigsten Akteure in diesem Konflikt und von welchen Interessen lassen sie sich leiten?
Die Gewerkschaft der Flugsicherung
Beginnen wir mit der GdF. Die Gewerkschaft wurde 2004 gegründet, hat ca. 3800 Mitglieder und ihre wichtigsten Verbandsstrukturen sind Mitgliederversammlungen in ca. 30 Orten. Die Organisation hat seit ihrer Gründung Tarifverträge an mehr als einem Dutzend von Flughäfen abgeschlossen.
Ihre Gründungsmitglieder kamen aus dem Verband der Deutschen Flugleiter (VDF) und dem Verband Deutscher Flugsicherungs-Techniker und -Ingenieure (FTI). Diese Berufsgruppen waren damals verbeamtet. Als die Flugsicherung privatisiert wurde, schloss der FTI einen Kooperationsvertrag mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), der die Mitglieder jedoch enttäuschte. Es kam – so resümiert die GdF – zu Situationen, in denen die DAG die Vertretung der Interessen der Flugsicherer verweigerte, oder diese mit minderwertigen Abschlüssen abzuspeisen versuchte.
Der Verband der Flugsicherungstechniker unternahm dann einen weiteren Versuch, eine Kooperation mit der neu entstandenen Ver.di abzuschließen, kam hier jedoch, in den Worten der GdF, vom Regen in die Traufe, so dass der Kooperationsvertrag am 31.12.03 endete. Die darauf folgende Tarifrunde fand schließlich ohne VDF und FTI statt. Als Bescherung gab es ein negatives Verhandlungsergebnis. Am Ende stand die Neugründung eines eigenen Gewerkschaftsverbandes, die GdF, die sich nicht als Berufs- oder Spartengewerkschaft begreift und gerade dabei ist, neue Berufsgruppen zu organisieren – vor allem aus dem Bereich der Lufthansa.
Es sind Dispatcher bei Lufthansa Cargo und Mitarbeiter der Verkehrszentrale, also beim «operativen Herz des Flugbetriebs», die der ständigen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen ein Ende setzen wollen und vor allem gegen einen extrem belastenden Schichtplan rebellieren. Sie alle eint die Unzufriedenheit darüber, dass Ver.di nicht in der Lage oder bereit ist, für diese Gruppen «bessere Arbeitsbedingungen, vernünftige Lohnentwicklung, Sicherheit vor Sparzwang» zu erkämpfen, sagt Matthias Maas, Sprecher der GdF.
Die Fraport AG
Der bestreikte Gegner ist die Fraport AG, die vor allem von der Deutschen Lufthansa als direkt betroffener Anteilseigner unterstützt wird. Beide wollen die Entwicklung neuer Gewerkschaften, die sich nicht in korporative Strategien einbinden lassen, verhindern oder wenigstens begrenzen. Sie haben mit UFO und Cockpit* bereits genug Händel und wollen das eigenständige Auftreten weiterer Berufsgruppen in streikrelevanten Schlüsselstellungen unterbinden. Sie favorisieren den Grundsatz «ein Betrieb, eine Gewerkschaft» mit Ver.di als einzigem Verhandlungspartner, der als Gegenleistung für einen teilweisen Verzicht des Arbeitgebers auf weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen Arbeitsfrieden garantiert.
Ver.di unterschrieb 2009 ein 24-Millionen-Sparprogramm über drei Jahre. Die Beschäftigten bezahlten den Verzicht des Fraport-Managements, die Bodenverkehrsdienste auszulagern, mit der Streichung überbetrieblicher Leistungen und bezahlter Pausen.
Seit Jahren bereitet sich die Fraport AG auf den aktuellen Konflikt vor und hat Personal geschult, das als Streikbrecher eingesetzt werden kann. Dabei soll auch die Lufthansa mit eigenem Personal ausgeholfen haben. Nach Angaben der GdF wurde unter anderem Personal eingesetzt, das die erforderliche fachliche Eignung nicht hat und deshalb Sicherheitsrisiken produziert. Die GDF reagierte mit einer Anzeige gegen Fraport beim Verkehrsministerium.
Fraport will auf diesem Wege erreicht haben, dass bis zu 80% der Flüge gesichert wurden. Nichtsdestotrotz fügte der durch die GdF ausgelöste Streik dem Flughafenbetreiber und seiner wichtigsten Airline schmerzliche Verluste zu. Zeit-online spricht von 1400 ausgefallenen Flügen. Laut Presseangaben gab es dadurch bei der Fraport AG einen einstelligen, bei der Lufthansa einen zweistelligen Millionenverlust.
Die Forderungen der GdF
Was fordert die GdF, und wie weit ist die Fraport AG bereit, darauf einzugehen?
Das exakte Forderungspaket der GdF ist nicht veröffentlicht, was in den Medien nicht ganz zu Unrecht kritisiert wird. Die GdF hat frühzeitig erkannt, dass Verhandlungen wegen der stark auseinander klaffenden Positionen schwierig würden, und deshalb eine Schlichtung vorgeschlagen, der Fraport dabei sogar die Wahl des Schlichters zugestanden. Schlichter Ole van Beust legte einen Vorschlag auf den Tisch, der von Fraport verworfen wurde.
Erst als eine weitere Verlängerung der Friedenspflicht die Haltung des Arbeitgebers nicht veränderte, leitete die GdF Kampfmaßnahmen ein. Dagegen startete Fraport eine PR-Kampagne. Die in fast allen Medien vermeldete zentrale Botschaft war: «Hier will eine egoistische Berufsgruppe auf Kosten der Allgemeinheit eine 70%ige Lohnforderung durchsetzen.» Verhandlungsführer der GdF, Markus Siebers, konnte in einem Spiegel-online-Interview klarstellen, dass das Unsinn ist: Im Endergebnis würden für ältere Arbeitnehmer Zuwächse bis zu 5% herauskommen, für jüngere Mitarbeiter deutliche Lohnsteigerungen. Das angestrebte Volumen bewege sich zwischen 30 und 50%, verteilt auf vier Jahre.
Hier wurden nicht neue Sphären des Gutlebens ersonnen. Die Frankfurter fordern die Angleichung an ein Gehaltsniveau, wie es anderen Flughäfen bereits existiert. Doch für die Fraport AG war das zu keiner Zeit verhandlungsfähig. Der CDU-Hardliner und Vorstandsvorsitzende von Fraport, Schulte, formulierte die Position des Arbeitgebers im Handelsblatt so: «Kein Kompromissangebot, kein Entgegenkommen, nicht mal ein Hauch von Verständnis».
Der Ex-ÖTV-Vorsitzende Herbert Mai durfte das dann als Fraport-Sprecher in Gewerkschaftsprosa übersetzen. Leider stößt er damit nicht auf taube Ohren. In einem vom Ver.di-dominierten Betriebsrat verteilten Flugblatt hieß es: «Wir fordern den Vorstand auf, den überzogenen Forderungen der GdF keinesfalls nachzugeben.» Und Frank Bsirske warnte den Flughafenbetreiber, ein Nachgeben gegenüber dem Flugsicherungspersonal werde entsprechende Nachforderungen bei den von Ver.di vertretenen Beschäftigungsgruppen nach sich ziehen.
Zweifellos ist Ver.di die größte Gewerkschaft der ca. 19000 Beschäftigten auf dem Flughafen, auch wenn der Zusammenschluss aller anderen sie mittlerweile zu einer Minderheit machen könnte. Doch zeigt der aktuelle Konflikt einmal mehr, dass der Kurs des «sozialverträglichen» Abfederns sozialer Verschlechterungen nur die eigene soziale Basis unterminiert. Die Bildung von UFO (Unabhängige Flugbegleiter-Organisation, die Gewerkschaft und Interessenvertretung der Stewardessen und Stewards), Cockpit (Berufsverband der Piloten und Flugingenieure) und jetzt der GdF sollte Anlass genug sein, darüber nachzudenken, ob es nicht ratsamer ist, alle zu unterstützen, die eine reale Verbesserung der Situation erreichen können, statt auf den Misserfolg der eigenen Kollegen zu setzen. Dafür kann man dann auch auf die Solidarität der Unterstützten hoffen, wenn man sie selber braucht.
Die GdF-Kollegen schreiben dazu: «Wir sind bereit, alle Mittel einzusetzen, die uns zur Verfügung stehen, um den Ausverkauf von Arbeitnehmerinteressen aufzuhalten ... Es geht hier schon lange nicht mehr um eine Vergütungsanpassung oder andere inhaltliche Regelungen, es handelt sich um einen gut organisierten und geplanten Angriff der Arbeitgeber auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Dieses Grundrecht soll zur Diskussion gestellt und gekippt werden. Die Interessen von Spezialistengruppen sollen wieder in die träge, für diese Interessen gänzlich unsensible und uninformierte Masse der Großgewerkschaften integriert werden, wo sie dann ins Leere laufen und keinen Schaden mehr anrichten können. Der soziale Friede, der gern vollmundig auch seitens der Großgewerkschaften ins Feld geführt wird, ist in Wahrheit der Friede der Unternehmen, die weiterhin komfortabel Arbeitnehmerinteressen ignorieren und freie Hand bei der Gestaltung von Arbeitsumfeldern haben wollen, die Arbeitnehmern schaden und sie ausbeuten. Das geht natürlich viel leichter, wenn man als Verhandlungspartner nur eine große, träge Gewerkschaft hat, deren Führer mit erheblich weniger Aufwand kontrolliert und manipuliert werden können.»
Debatte um gewerkschaftliche Rechte
Juristisch wurde der Arbeitskampf in Frankfurt durch ein Urteil gestoppt, in dem die Richter die Aufforderung der GdF an die Fluglotsen, mit ihr in einen Solidaritätsstreik zu treten, für unverhältnismäßig erklärten, weil dadurch der gesamte Flugbetrieb zum Stillstand gekommen wäre. Ferner beanstandeten die Richter, das Forderungspaket enthalte Gegenstände, die der Friedenspflicht unterliegen.
Damit hat der Streik auf dem Frankfurter Flughafen auch die Debatte um eine Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte neu belebt. Unternehmerverbände wie der BDA und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände fordern erneut gesetzliche Eingriffe, die Arbeitsministerin will sich der Sache annehmen. Am liebsten wäre der CDU-Ministerin wohl eine Art freiwilliger Selbstbeschränkung, bei der sich der Gesetzgeber vornehm zurücklehnen kann.
Diese Message ist auch bei Ver.di angekommen: «Das Streikrecht wird von keiner Gewerkschaft so sehr beansprucht, dass man es gesetzlich regeln muss», erklärte Pressesprecher Jan Jurczyk. Doch für alle Fälle hat die Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung, gefördert u.a. von der Lufthansa, eine Gesetzesinitiative erarbeitet, die weitreichende Einschränkungen der gewerkschaftlichen Rechte in Bereichen der Daseinsfürsorge fordert, eine Praxis, die auch in Italien und Frankreich verfolgt wird.
Die GdF ist in Berufung gegangen. Auch sind Schadensersatzforderungen gegen die GdF gerichtsanhängig. In dieser Situation hat sich die Gewerkschaft nun für eine Einigung mit dem Arbeitgeber entschieden. Der hat zugestanden, dass alle von der GdF organisierten Beschäftigtengruppen in einem Tarifvertrag aufgenommen werden. Über das erzielte Gehaltsvolumen gibt es bis jetzt von keiner Seite verlässliche Informationen.
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