von Tariq Ali
In den meisten Kolonialkriegen werden Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert und oftmals getötet. Nicht einmal ein Schein von Legalität wird als nötig erachtet. Der amerikanische «Einzeltäter», der an einem Sonntagmorgen [11.März] unschuldige Afghanen niedermetzelte, ist bei weitem keine Ausnahme.
Dies war nicht die Tat eines irren Killers, der in einer amerikanischen Stadt Schulkinder tötet. Der «Einzeltäter» ist Sergeant der US-Streitkräfte. Er ist nicht der erste und wird auch nicht der letzte sein, der auf diese Weise tötet.
Die Franzosen haben dasselbe in Algerien getan, die Belgier im Kongo, die Briten in Kenya und Aden, die Italiener in Libyen, die Deutschen in Südwestafrika, die Buren in Südafrika, die Israelis in Palästina, die US-Amerikaner in Korea, Vietnam und Mittelamerika; und ihre Surrogate haben sich gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung in ganz Südamerika und großen Teilen Asiens ebenso verhalten.
Die russische Besetzung Afghanistan sah auch «Einzeltäter», die sich so verhielten. Aber, da sie gebildeter waren als viele ihrer amerikanischen Kollegen, pflegten sie, nachdem sie aus Afghanistan abgezogen waren, über ihr Warum und Wieso in beklemmenden Tagebüchern zu schreiben. In seinem Buch Afgantsy zitiert Rodric Braithwaite die entsprechenden Passagen.
So etwas wie einen «humanitären Krieg» gibt es nicht. Je früher die Bürger der Besatzerländer diese Tatsache akzeptieren, desto eher wird die Mobilisierung gegen neokoloniale Abenteuer und die damit verbundenen Scheußlichkeiten gelingen.
Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Afghanen gegen die Besetzung ihres Landes sind. Die Besatzungssoldaten sind sich dieser Tatsache wohl bewusst. Der «Feind» ist nicht verborgen. Er ist die Öffentlichkeit. Somit ist das Auslöschen von Frauen und Kindern Bestandteil des Krieges. Kampfhubschrauber, Jagdbomber und Dronen sind effizientere Killer als «einzelne» Soldaten.
Die Lage in Afghanistan ist heute so schlimm, dass die Besatzungstruppen nicht wissen können, ob die Afghanen, die mit ihnen zusammenarbeiten, wirklich auf ihrer Seite stehen oder nicht. Einige der jüngsten Attacken auf US- und NATO-Soldaten gingen von Afghanen aus, die Polizei- und Armeeuniformen trugen, die von der NATO selbst entworfen wurden.
Somit ist nun jedermann der Feind – sogar der Marionettenpräsident Karzai, der weiß, dass seine Tage gezählt sind, wenngleich er wenigstens noch über einige sichere Zufluchtsorte und Nummernkonten verfügt, die auf ihn warten. Für die USA ist der Widerspruch unerbittlich: Die Afghanen wollen sie raus haben, doch der Krieg ist nicht zu gewinnen.
Also was tun? Sofort abziehen. Die Kriege, die den «Feind» entmenschlichen, entmenschlichen auch die Bürger der Kriegstreiberstaaten. Wir werden in einem Zustand der Unwissenheit gehalten, tragen aber durch unsere Apathie dazu bei, dass ein solcher Zustand unbegrenzt anhält. Der Einzeltäter wird rasch aus unseren Gedanken verschwinden, und wir können uns ruhig wieder den alltäglichen Routinetötungen widmen, die kollektiv auf Befehl der von uns gewählten Politiker stattfinden.
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