Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2012

Lucas Zeise über den Umgang mit dem Finanzsektor

Wie kommen wir von den Staatsschulden runter? Die Bundesregierung, die Staats- und Regierungschefs in der EU, die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF sagen unisono: durch hartes Sparen. Die Forderungen aus 2008, die Banken an die Leine zu legen, sind aus der veröffentlichten Meinung verschwunden. Stattdessen übernimmt der Staat die Schulden der privaten Banken – und die Staatsschulden steigen weiter.

Lucas Zeise, Jahrgang 1944, Finanzjournalist, fordert ein Ende dieses Teufelskreises und einen harten Schuldenschnitt. Zeise war 1999/2000 an der Gründung der Financial Times Deutschland beteiligt und schrieb bis vor kurzem dort noch eine vierzehntägige Kolumne.

Wie ist es gegenwärtig um die Stabilität der europäischen Banken bestellt?

Die Banken in Spanien sind richtig «gestresst». Sie haben eine ganze Menge von faulen Immobilien in ihren Büchern. Bei jeder Verschärfung der Krise besteht die Gefahr, dass Banken kaputt gehen. Deswegen gibt es ja die Bankenrettungsprogramme. Insgesamt gilt: Der Bankensektor ist viel zu groß.

In deinem Buch Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus sprichst du davon, dass man den Banksektor «schrumpfen» muss. Was ist darunter zu verstehen?

In den letzten 30 Jahren ist der Finanzsektor übermäßig gewachsen. Das drückt sich einerseits in einem riesigen Finanzvermögen, andrerseits in der riesigen Verschuldung aus. Das Bilanzvolumen der Banken ist im Vergleich zur Größe der realen Wirtschaft stark gewachsen. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Es bedeutet aktuell, dass das Wachstum der Realwirtschaft dauernd behindert wird.

Wie soll dieses «Schrumpfen» vonstatten gehen? Das wird sicherlich nicht der Ackermann von sich aus machen.

Mit entsprechenden Auflagen kann man jede Bank klein machen. Nehmen wir die Commerzbank: Große Teile des Geschäfts der Commerzbank müssten eigentlich abgewickelt werden. Oder man kann die Bedingungen für die Geschäfte der Banken stark erschweren, insbesondere das Investmentbanking.

Kannst du mal ein Beispiel dafür nennen, wie man das Investmentbanking bei der Commerzbank bremsen könnte?

Eine ganz einfache Maßnahme zu Bremsung des Finanzmarktes ist die Finanztransaktionssteuer. Sie würde jedes Geschäft mit einem kleinen Steueraufschlag belegen und damit einen Teil der Geschäfte nicht lohnend machen. Der größte Teil der Derivate sollte einfach verboten werden. Da würde das Rad, das gedreht wird, kleiner werden.

Welche weiteren Regulierungsmöglichkeiten gäbe es?

Da möchte ich auf die Euro-Staatsschuldenkrise zurückkommen. Denn die hat viel mit dem Thema zu tun. Die Finanzkrise brachte ja eine unglaubliche Erhöhung der Verschuldung der privaten Banken – nicht der staatlichen Banken. 2008 haben die Staaten die Verschuldung der privaten Banken in ihre Bücher genommen. In Deutschland ist die staatliche Verschuldung durch die Übernahme der privaten Schulden von 60% des Bruttoinlandprodukts (BIP) auf ungefähr 80% hochgeschnellt.

Wir stellen fest, dass in allen kapitalistischen Ländern, in Europa, aber auch in Japan und in den USA, diese staatliche Verschuldung unglaublich hoch ist. Eigentlich wäre es an der Zeit, dass man bei diesen Schulden einen richtig fetten «Haircut» macht – mindestens um 50%.

Auch in Deutschland?

Es wäre wichtig, dass das nicht nur die «Schwachen», sondern auch die «Starken» tun. Am besten sollte das in allen großen Industriestaaten gleichzeitig passieren. Damit würde natürlich das vorhandene Finanzvermögen beschnitten. Das würde der Bankensektor in der gegenwärtigen Form nicht überleben, dafür sind die Schulden viel zu groß. Es wäre aber auch die Gelegenheit, den Bankensektor auf ganz neue Beine zu stellen, unter staatliche Aufsicht zu bringen und neue Regeln aufzustellen.

Da wären wir beim Thema «Sozialisierung des Bankenwesens». Was würde in diesem Fall mit den  «toxischen Schulden» passieren? Das sind ja riesige Summen.

Die übelsten Schulden haben die Staaten in Form von «Bad Banks» schon ausgelagert und mit einigen Garantien versehen. Das ist einer der Gründe, weshalb die Staatsschulden so hoch gegangen sind. Wenn man nun diese Staatsschulden abschreibt, ist dieser Teil der Verschuldung weg.

Man muss allerdings eine Regelung finden für die Leute, die Guthaben bei den Banken haben. Ich spreche von Leuten wie du und ich, die ein Girokonto bei der Bank haben und ein Sparkonto dazu. Sie wären auch von einem Bankrott betroffen. Der Staat muss deshalb bis zu einer bestimmten Höhe die Ersparnisse seiner Bürger garantieren. Er muss die Bank rekapitalisieren und z.B. bis zu 500.000 Euro die Ersparnisse garantieren. Für höhere Summen muss eine andere Regelung her.

Ist es möglich, die Bad Banks so einfach von der Landkarte zu streichen, ohne viel Schaden anzurichten?

Ja, die Schulden, die in diesen Bad Banks stecken, sind bei so einem Haircut dann zu einem bestimmten Anteil gestrichen.

Das Gegenstück zu der in der Finanzkrise deutlich angeschlagenen Commerzbank ist die Deutsche Bank, die offensichtlich die Turbulenzen besser überstanden hat. Deren Chef Josef Ackermann hat staatliche Hilfen weit von sich gewiesen. Wie kriegt man die Deutsche Bank an die Kandare?

Reden wir zunächst noch mal über die Commerzbank: Eigentlicher Nutznießer der Hilfe für die Commerzbank ist die Allianz. Die Commerzbank hatte ja bekanntlich die Dresdner Bank von der Allianz gekauft. Und die Dresdner Bank war so gut wie pleite. Erst das Eingreifen des Staates hat es der Commerzbank ermöglicht, die Dresdner Bank zu kaufen, und damit der Allianz das Nachschießen gewaltiger Geldsummen zur Stützung der Dresdner Bank erspart. Durch die Maßnahmen zur Stützung der Commerzbank wurde die Allianz, ein von außen betrachtet kerngesundes Versicherungsunternehmen, beträchtlich begünstigt.

Ähnlich ist es mit der Deutschen Bank. Die Rettung der Hypo Real Estate und der IKB durch den Staat haben der Deutschen Bank sehr geholfen. Wenn Ackermann sagt: «Wir haben keine staatlichen Hilfsmaßnahmen nötig», ist das Quatsch. Denn natürlich hat die Deutsche Bank von der Rettung der Hypo Real Estate und der IKB profitiert. Und dazu kommt noch die Rettung der größten amerikanischen Versicherung, AIG, durch den amerikanischen Staat. Auch hiervon hat die Deutsche Bank mit rund 12 Mrd. US-Dollar profitiert. Ohne diese staatlichen Rettungsmaßnahmen hätte die Deutsche Bank als Gläubiger der genannten Institute alt ausgesehen.

2008 war die Gelegenheit gegeben, den gesamten Bankensektor unter staatliche Kontrolle zu nehmen. Martin Wolf, der Chefökonom der Financial Times hatte das damals auch so gefordert. Damit der Bankensektor seiner Aufgabe als Bereich der Infrastruktur gerecht wird, muss er staatlich organisiert sein.

Manche Kritiker dämonisieren die Finanzwirtschaft als das Böse, wohingegen die sog. «Realwirtschaft» – also Daimler, Siemens, RWE – als das «Gute» vorgestellt wird, dem die Finanzwirtschaft zu «dienen» habe. Was ist deine Meinung?

Im Grunde ist dieser Gedanke nicht so falsch. Denn ein finanzdominierter Kapitalismus funktioniert anders. Aber real ist es schon so, dass das Finanzkapital die Herrschaft über die Großkonzerne übernommen hat. Wenn wir an Leute wie Piëch denken, den Eigentümer von Volkswagen und Porsche, der betreibt natürlich selbst Finanzjongliererei, er übernimmt ja mit Hilfe von Krediten diesen riesigen Konzern Volkswagen. Finanzspekulation findet auch innerhalb der Großkonzerne statt, die Großkonzerne sind selbst als Finanzspekulanten tätig.

Wie schon Lenin und Hilferding feststellten: Industriekapital und Finanzkapital sind zusammengewachsen. Aber dabei hat das Finanzkapital die Herrschaft übernommen. Das Management der Großkonzerne ist da voll miteinbezogen. Sie betreiben Industriegeschäft nur noch als Nebengeschäft.

Wenn wir uns den Finanzsektor in der BRD anschauen, so gibt es eine völlig unüberschaubare Fülle von Finanzdienstleistungen, die von den unterschiedlichsten Instituten mit großem PR-Aufwand parallel in nahezu identischer Form angeboten werden. Ist da vieles nicht völlig überflüssig? Wenn man davon ausgeht, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Krediten und das Einsammeln von Geld für Investitionen sowie die Abwicklung des Zahlungsverkehrs die eigentlichen Aufgaben von Banken wären, stellt sich dann nicht die Frage: Ist nicht vieles völlig überdimensioniert und letztlich somit überflüssig?

Wenn wir auf die Bundesrepublik der 50er und 60er Jahr schauen, so war der Finanzsektor damals streng reguliert. Es gab relativ wenig Konkurrenz zwischen den Finanzinstituten. Die Leute konnten ihr Erspartes zur Bank tragen, und die Bank hat das Geld der Industrie als Kredit zur Verfügung gestellt. Dieses einfache System hat damals recht gut funktioniert.

Von Lucas Zeise erschien zuletzt: «Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus». Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors, Bonn: Papyrossa, 2010. Momentan arbeitet er an einem Buch mit dem Titel «Euroland ist abgebrannt: Opfer – Profiteure – Alternativen».

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.