Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2012

Roman, Berlin: Dittrich, 2011, 173 S.

von Dieter Braeg

Ohne Kriegserklärung gibt es zwischen Köln und Mönchengladbach eine Gegend, die Menschen heimatlos gemacht hat und wohl auch noch macht, dort gibt es eine tote Landschaft.
Landschaft? Nein, es ist ein Bild der Zerstörung, verursacht durch Kapital und Politik. Blühende Landschaften verrecken, Schaufelradbagger, deren größter am Tag (!) 240.000 Kubikmeter Erde, also Landschaft, „bewegt», damit RWE Power Geschäfte macht – auf Kosten der Menschen, ihrer Gesundheit und gegen ihre Interessen.

«I bin da Lois’s – und do bin i dahoam» – sendet das dritte Programm des Bayerischen Fernsehens und zeigt bodenständige Menschen in einer idyllischen Landschaft. Der Lug und Trug dieser Fernsehspots, der sollte einmal im Braunkohle Tagebaugebiet Garzweiler und Hambach wirken. Da ist keine Heimat, da kann man nicht leben! Hier findet Heimatvertreibung statt, und die Täterinnen und Täter bleiben straflos.

In einer Vorbemerkung zu dem Roman, der viel mehr Beachtung in diesem immer ekelerregend werdenden «Literaturbetrieb» finden müsste, schreibt die Autorin Ingrid Bachér:

 

«In diesem Roman sind alle Personen, die mit Namen genannt werden, fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen können nur rein zufällig sein. Auch den Aschoffschein Hof gab es nicht. Doch die mit ihren wahren Namen genannten Dörfer und ihre Vernichtung, die Grube und ihre unaufhaltsame Ausdehnung werden geschildert, wie ich es sah und erlebte.

Ich danke allen, die mir Auskunft gaben und die mich Anteil nehmen ließen über zwei Jahrzehnte hinweg, in denen ein Dorf nach dem anderen für immer unauffindbar verschwand und dies mitten in unserem friedlichen Land.»

Sterbende Dörfer, Vertriebene, Heimatvernichtung. Eine junge Frau erzählt in diesem Roman den Braunkohlenkrieg: «Kein Krieg, keine Besatzung, keine Naturkatastrophe in all den Jahrtausenden hat unser Land so gründlich vernichtet wie diese Braunkohle-Connection. Und ihre Herrschaft breitet sich immer mehr aus. Was für ein schönes Land und was für korrupte Politiker!» Die Erzählerin verliert ihren Bruder, der die Zerstörung des Hofes, der seit vielen Generationen im Besitz der Familie war, nicht verkraftet. Herzinfarkt. Dieser Text ist zum Teil kaum zu ertragen, weil er in einer Sprache, die real und doch mitfühlend ist, eine Wut entstehen lässt, die tiefe Verzweiflung erzeugt.

Wie anders wirkt da, was der Chef des größten deutschen Energiekonzerns E.on, Johannes Teyssen, in der Bild über steigende Strompreise gnadenlos verkündet: «Die Energiewende darf Strom nicht zum Luxusgut, zum Spaltgraben der Gesellschaft machen. Wird der Energieumbau zu teuer, dann muss das Sozialsystem einspringen und die Mehrbelastung für einkommensschwache Haushalte abfedern.»

Nein, den Menschen wurde nicht geholfen, die den Kahlschlag erlebten, erzeugt durch die RWE Geschäftspraxis. In der Schule wird bald nicht mehr gelesen werden, aber so lange dies noch geht, wäre dieser Roman eigentlich Pflichtlektüre. Ob in NRW Lebensraum weggebaggert wird, oder Regenwälder vernichtet werden: Klar, man hat irgendwo ein neues Dorf gebaut, aber Dorfgemeinschaften entwickeln sich nicht so, wie ein Gegenstand, der im täglichen Leben da ist und ersetzbar wird. Das „Sozialsystem», das von denen nicht finanziert wird, die es dann in Anspruch nehmen, wenn das „Ergebnis» nicht mehr stimmt, die Rendite zu niedrig ist, ist längst zerstört.

Wer demnächst in NRW wählen geht, der kann dort seine Stimme keiner der Parteien geben, die seit Jahrzehnten Krieg führen und barbarisch die Landschaft zerstören und diese den Gewinninteressen eines Großkonzerns unterordnen. Die Grube hilft Leserin und Leser zu begreifen und zu verstehen, was mit den Opfern von RWE geschieht, vielleicht hilft das Buch auch, die Ohnmacht zu überwinden, die noch viel zu viele resignierend erklären lässt: «Die da oben mach eh’, was sie wollen!»

Eine Reportage «Letzte Ausfahrt Garzweiler» von Christoph Ruhkamp und Burkhard Maus veröffentlichten wir in SoZ 24/1997.

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