von Angela Klein
Diktaturen sind eine hässliche Sache: Sie verbinden sich mit Machtusurpation, Ausnahmezustand, blutiger Niederschlagung von Opposition, Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Folter. Diktatoren haben ein Gesicht.
Unter unseren Augen wird in Europa derzeit jedoch eine neue Form von Diktatur erprobt, die scheinbar ohne Blutvergießen, ohne Gesinnungsterror und gewaltsame Einschüchterung auskommt – und vor allem ohne Diktator. Es ist die Diktatur der Finanzmärkte, und wenn wir hier Diktatur schreiben, dann ist damit gemeint, dass die Finanzakteure in die Lage gekommen sind, ihren Belangen alle anderen – sozialen, kulturellen, ökologischen – Erfordernisse unterzuordnen, sich alle Regierungen in der EU gefügig zu machen, oder dort, wo dies nicht eindeutig der Fall war, ihr eigenes Personal als Regierungschefs zu inthronisieren, die Europäische Zentralbank zur Herrscherin über das finanzielle Überleben von Staaten zu machen, und der Europäischen Union einen neuen Vertrag zu verpassen, der die Verfassungen ihrer Mitgliedstaaten aushebelt, ohne dass es dazu den Willensbildungsprozess gegeben hätte, den diese Verfassungen vorschreiben.
Diktator Sachzwang
Die neue Diktatur stützt sich nicht auf das Militär, sondern auf die Anleihemärkte und die großen Kapitalbesitzer, die sich hinter ihnen verbergen. Finanzmärkte haben kein Gesicht; was die Öffentlichkeit zu sehen bekommt, sind ihre Vollstrecker, z.B. EZB-Chef Mario Draghi, oder die Regierungschefs großer EU-Länder wie Merkel und Sarkozy – die wirken aber eher wie Befehlsempfänger denn wie Kommandierende. Wenn zusammen mit dem Fiskalpakt auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eingeführt wird, werden es die Finanzminister und ihre Staatssekretäre sein, zumal sie in der Ausübung ihrer ESM-Tätigkeit niemandem rechenschaftspflichtig sind.
Der Mechanismus der neuen Diktatur ist nicht der des Befehls, sondern des unerbittlichen, unpersönlichen, quasi naturgesetzlichen Sachzwangs – der Fiskalpakt gibt dieses Moment sehr präzise wieder in der Forderung nach einem «automatischen Sanktionsmechanismus»: Ein EU-Mitgliedstaat, der ein strukturelles Defizit über 0,5% seines Bruttoinlandsprodukts hat, fällt automatisch unter diesen Mechanismus: Er muss dann einen Plan erstellen, wie er in kurzer Frist wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt kommt, und sollte ihm dies nicht möglich sein oder er dies nicht wollen, werden automatisch Strafzahlungen fällig.
Kein Heerführer überfällt mehr den Nachbarn, weil er den fälligen Tribut schuldig geblieben ist, keine Regierung besetzt mehr das Ruhrgebiet, um sich mit dem direkten Zugriff auf die Rohstoffe die Zahlungen der ausstehenden Reparationen zu sichern.
Das sind Vorgänge von gestern. Heute drehen die EZB und der Kapitalmarkt einfach den Geldhahn zu, wenn Griechenland sich in seinen Ruin nicht fügt, es kann sich dann umschauen, ob ihm vielleicht Araber oder Chinesen Geld leihen, sonst bleibt ihm nur noch der albanische Weg. Das griechische Kapital aber hat sich inzwischen längst nach London oder in die Schweiz aufgemacht.
Eine Diktatur aber darf der Mechanismus genannt werden, weil er jegliche Opposition ausschaltet: Der Fiskalpakt lässt keine abweichenden Politikpfade zu. Er lässt keinen Spielraum für andere Wege, um die Staatsschulden los zu werden und die europäische Krise zu lösen. Ein Mitgliedsland kann sich nur seinem Diktat beugen oder es muss aus aus dem Euro oder gar aus der EU austreten (ein Austritt aus dem Fiskalpakt ist, wie ein Austritt aus dem Euro, nicht vorgesehen).
Der Fiskalpakt ist der finale Angriff auf die Reste des europäischen Sozialstaatsmodells, einschließlich öffentlichem Dienst. 0,5% des Bruttoinlandsprodukts als Höchstmarge für die Haushaltsverschuldung und automatische Sanktionen sind Schönwettervorgaben: Jedes Erlahmen der Konjunktur würde künftig sofort an die Sozialhaushalte und Kommunen durchgereicht, an abfedernde Instrumente wie Kurzarbeitergeld oder Abwrackprämie wäre nicht mehr zu denken.
In Südeuropa ist dieser Angriff bereits in vollem Gang, hier konzentrieren sich die Sparpakete auf den (teilweise sechsstelligen) Stellenabbau im öffentlichen Dienst, auf die Abschaffung von Flächentarifen und Kündigungsschutz sowie drastische Lohnsenkungen.
Der ESM
Im gleichen Atemzug jedoch verpflichtet der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der parallel zum Fiskalpakt verabschiedet werden soll, die EU-Staaten Geld nachzuschießen, wenn die Mittel zur Abwendung einer Staatskrise nicht ausreichen sollten.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus regelt, wie zahlungsunfähige Mitgliedstaaten der Eurozone finanziell mit Krediten der Gemeinschaft der Eurostaaten unterstützt werden. Er bildet das Herzstück des Pakets, das bis Anfang Januar 2013 ratifiziert werden soll; die Ratifizierung des Fiskalpakts ist nur die politische Voraussetzung dafür, dass der ESM in Kraft treten kann. Ohne Fiskalpakt gibt es kein Geld aus dem ESM.
Der ESM wiederum unterliegt keiner politischen Kontrolle, ist niemandem rechenschaftspflichtig und steht faktisch außerhalb von Recht und Gesetz. Seinen Handlungen sind keine Grenzen gesetzt.
Die alte Politik, die Vermögenden zu subventionieren und die Sozialhaushalte zu strangulieren, wird damit zu einem ewigen absolutistischen Gesetz erhoben. Die Politik ist entmündigt, das Parlament entmachtet und die bürgerliche Demokratie ausgehebelt.
Nationale Haushalte, die die strengen Bestimmungen des Fiskalpakts nicht einhalten (können), bekommen einen Haushaltskommissar vor die Nase gesetzt, wie das in einigen deutschen Kommunen schon der Fall ist. «Damit wird das Haushaltsrecht des Bundestags ausgehöhlt», sagt Herta Däubler-Gmelin, die eine Verfassungsklage gegen den Fiskalpakt anstrengt. Der Vertrag hat außerdem «Ewigkeitscharakter», man kann ihn nicht kündigen, er kann nur im Einverständnis aller Mitgliedstaaten aufgelöst werden.
«Wenn man eine solche Vereinheitlichung und Zentralisierung der Wirtschafts- und Währungspolitik wünscht, hätte man einen Europäischen Konvent einsetzen müssen, um einen neuen EU-Vertrag auszuarbeiten. Aber den Weg ist man nicht gegangen. Stattdessen haben die Regierungen untereinander Sonderverträge abgeschlossen, die die EU-Verträge ändern. Die EU tut damit einen entscheidenden Schritt zu einer europäischen Staatlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung mehrmals gesagt, dass in diesem Fall eine neue Verfassung nötig ist. Die Bevölkerung muss dem zustimmen», fordert Däubler-Gmelin.
Kontraproduktiv
Die Maßnahmen zur Rettung des Euros sind kontraproduktiv, das zeigt sich an mehreren Stellen:
– Griechenland wird trotz Ruinierung seiner Wirtschaft seinen Schuldenstand in den kommenden Jahren nicht abbauen;
– die Inflationsgefahr wird nicht eingedämmt werden, weil die EZB, statt den Staaten Direktmittel zur Verfügung zu stellen und Schulden zu streichen, die Banken mit Geld überschwemmt (allein im letzten Quartal 2011 mit einer Billion Euro);
– das Kaputtsparen hat den Zinsdruck auf Spanien nicht gelockert, im Gegenteil: Haben die Finanzmärkte in Griechenland darauf spekuliert, dass die Regierung ihre Anleihen nicht zurückzahlen kann, spekulieren sie in Spanien darauf, dass das Sparpaket das Land in die Rezession treibt.
Die Zustimmung zu den bisherigen Rezepten zur Eurorettung schwindet rapide. Die Wahlen in Griechenland am 6.Mai sagen einen dramatischen Einbruch der PASOK (auf 14,5%) und einen Anstieg der Kräfte links von ihr auf 24% voraus (die konservative Nea Dimokratia käme nur auf 19,5%).
Die portugiesische Linke diskutiert über eine geordnete Staatseninsolvenz, d.h. über einen verhandelten Austritt aus dem Euro.
Die tschechische Regierung hat sich aufgelöst, weil eine der Koalitionsparteien sich über der Frage der Sparpolitik gespalten hat (dabei hat die Tschechische Republik den Fiskalpakt nicht einmal unterschrieben!). Die irische Regierung wird am 31.Mai über den Fiskalpakt ein Referendum durchführen.
Die niederländische Regierung ist zurückgetreten, weil die Rechtspopulisten der Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders das Sparpaket nicht mittragen.
Und die Wahlen in Frankreich ebnen einer Präsidentschaft Hollande den Weg, die alle Chancen hat, unter den Druck massiver Mobilisierungen gegen den Fiskalpakt zu geraten.
Wir haben in Deutschland nichts davon, wenn wir an der Hoffnung festhalten, Qualität und Aggressivität der deutschen Wirtschaft würden uns dauerhaft vor den Folgen der kapitalistischen Globalisierung bewahren. Dieser neue deutsche Sonderweg würde uns abermals in die Sackgasse führen. Größere Chancen haben wir, wenn wir uns zusammen mit den Bevölkerungen in den anderen europäischen Ländern um eine solidarische Alternative zu dieser EU bemühen. Das heißt:
– Nein zum Fiskalpakt und Aufkündigung des Vertragswerks von Maastricht und Lissabon, in dessen Fußstapfen er steht.
– Ja zu einem Volksentscheid darüber.
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