Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2012
Festival des österreichischen Films

von Kurt Hofmann

Eine Leistungsbilanz, ein Blick auf das breite Spektrum unterschiedlicher Formen, ein unprätentiöser Versuch von Gegenöffentlichkeit mit filmischen Mitteln: All dies und mehr ist das Festival des Österreichischen Films, die Diagonale. Der Ort ist Graz, die Ausgabe war die fünfzehnte.

Jemandem nach dem Leben trachten, Zwietracht säen, eine Tracht Prügel beziehen: schon die Sprache ist verräterisch. Hinter der Inszenierung von Dirndl und Lodenjanker für die touristische Außenwelt steckt Kalkül. Eintracht, Eintracht: «Wir tragen Niederösterreich» verkündet der mächtige Landesfürst Erwin Pröll und meint damit wohl in autokratischer Manier seine Partei, die ÖVP, signalisiert aber auch, wie Kleider im ländlichen Umfeld Leute machen und zu Uniformierung und Abgrenzung dienen.

 

Othmar Schmiderers Stoff der Heimat (Österreich 2011) interessiert sich für die verlogenen, geschichtsrevisionistischen Rituale, die niemals hinterfragt werden. Wenn etwa in Tirol die Schützen aufmarschieren und an «Freiheitskämpfer» wie Andreas Hofer erinnern, für den Menschenrechte ausländisches Teufelswerk waren, das Glauben, Kaiser und Vaterland in den Grundfesten bedrohte, oder wenn der «Kärntner Abwehrkampf» gefeiert wird und Politiker aller Couleur einträchtig dem rechten Mythos zuklatschen, dann wird die Tracht zur Uniform, zum Stoff, aus dem die reaktionäre Gesinnung ist. «Mir san mir» heißt es in dieser Angelegenheit im benachbarten Bayern, doch ebendort findet Schmiderer ein schwules Paar, das Mitglied im örtlichen Trachtenverein geworden ist. Ja, derf denn des sein?

Zum anderen, meint Schmiderer, der im Salzburgischen aufgewachsen ist, dort, wo US-Touristen immer noch «Edelweiß, Edelweiß» singen und an alles Ecken und Enden die Trapps vermuten, muss man die Tracht aus der Geiselhaft der Rechten befreien. Freilich wollten diese alles, was das genormte Bild stört, schon in den 1920er Jahren aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannen, wie die lange vor Hitler entstandenen Pamphlete Salzburger Trachtenvereine, denen jüdische Frauen im Dirndl ein Dorn im Auge waren, belegen.

Doch wenn österreichische Muslimas mit Kopftuch und Tracht, lachend und selbstbewusst, die krachledernen AusgrenzerInnen daran erinnern, dass deren Deutungshoheit ein Ablaufdatum hat, keimt Hoffnung auf. Dass dem urbanen Betrachter von Othmar Schmiderers Stoff der Heimat dennoch vieles suspekt bleibt, liegt wohl in der Natur der Sache.

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1934 bei einem (gescheiterten) Putschversuch durch Nazis ermordet, gilt der austrofaschistische Diktator Engelbert Dollfuß vielen in der christdemokratisch-konservativen ÖVP als Märtyrer, gar als Freiheitskämpfer. Sein Bild hängt immer noch im Parlamentsklub dieser Partei, der stellvertretende Nationalratspräsident aus deren Reihen hat kürzlich einem Abgeordneten für die Verwendung des Begriffs «Austrofaschismus» einen Ordnungsruf erteilt. Erst im Vorjahr, 73 Jahre nach dem Ende der austrofaschistischen Diktatur, wurden überlebenden Opfern des Regimes Entschädigungen zugesprochen und Urteile kassiert. Dass die Austrofaschisten den Hitlerfaschisten den Weg ebneten, darf ebensowenig gesagt werden, wie eine Aufarbeitung dieser Jahre nach wie vor unerwünscht ist.

Nun aber, in der Experimentierfilm-Abteilung der «Diagonale», Benjamin Swiczinskis Animationsfilm Heldenkanzler. Da wäre ein kleinwüchsiger Gernegroß, der eine nach Beratung durch sein italienisches Vorbild im Schwarzhemd erstellte Checkliste für Diktatoren Punkt für Punkt zu erfüllen bemüht ist. Immer wieder nimmt er Anlauf, um dann vor immer neuen Hürden zu stehen. Es ist nicht leicht, ein schwerer Held zu werden... Dollfuß und Mussolini als Protagonisten einer Satire: Es ist der Moment der Demaskierung, wenn die Posen der Faschisten dem Gelächter preisgegeben werden.

«Alles!» war einst die Antwort Tucholskys auf die Frage, was Satire denn dürfe. Swiczinskis ebenso witzige wie geschichtsbewusste Arbeit Heldenkanzler macht Lust auf mehr. Ernsthaft, etwas mehr an scharfem und genauem Witz könnte der stets zu Schwermut neigende österreichische Film durchaus vertragen...

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Ein Höhepunkt des vergangenen Kinojahrs war Ruth Beckermanns American Passages. «Yes, we can!»: Mit dem Wahlsieg des amtierenden Präsidenten und den Hoffnungen, die dieser auslöste, beginnt Beckermanns Film. Ein afroamerikanischer Präsident – wer hätte das gedacht? Stoff für Geschichte(n), das zum mindesten. Überhaupt, die Historie. Meist gilt für die offizielle Selbstdarstellung der USA ja noch das «Liberty Valance»-Prinzip, doch lieber auf die Legende, denn auf die Wahrheit zu setzen.

Aber selbst dort, wo man sich anhand von Dokumenten zurückerinnert, beginnt die Erzählung irgendwann, ihr Gleichgewicht zu verlieren, und kippt ins Legendenhafte, wie in dem Moment, in dem in American Passages bei einer Veteranenfeier die Lady aus der Oberschicht, die über Hymne, Befreiungskrieg und dergleichen erzählt, in Tränen ausbricht. Fraglos hat sie diese Rede schon Dutzende Male gehalten und ist wohl stets an der gleichen Stelle punktgenau in Tränen ausgebrochen – Hollywood ist überall.

Es gibt aber auch lehrreiche Laienspiele zur immer wieder bemühten US-Geschichte. Etwa, wenn afroamerikanische Jugendliche in einem Museum die Geschichte ihrer Ahnen mimisch nachempfinden und einer Dreizehnjährigen von ihrer Lehrerin erklärt wird, jetzt wäre sie im idealen Alter für eine weibliche Sklavin, sie würde auf dem Sklavenmarkt den Höchstpreis erzielen, weil sie ab nun regelmäßig und sozusagen zeitgerecht alle eineinhalb Jahre für Nachschub an zu versklavendem Menschenmaterial sorgen könne...

Eine Momentaufnahme kennzeichnet jedoch mehr als alle anderen das Bild von «America as it is»: Da ist die gut ausgebildete weiße Frau, die ihr Hab und Gut zur Versteigerung freigeben muss, um ihre Schulden zahlen zu können. Am College, erzählt sie, habe sie noch gegen ihren Professor opponiert, als ihr dieser erklärte, in den USA werde es bald nur noch ganz reich und ganz arm geben, dazwischen nichts mehr, nun wisse sie, es sei der Istzustand.

Und da ist die andere weiße Frau, die ersteigert, was die erste zurückgelassen hat aus ihrem früheren Leben. Die Dame in den besten Jahren jubiliert über das Schnäppchen, das sie nun mit ordentlichem Profit weiterverkaufen könne. Das macht Spaß, meint sie und schafft im Nu ein trauriges Gesicht, als ihr Beckermann von der Vorbesitzerin und deren zerstörter Existenz erzählt. «So sad» sei das, aber irgendeine müsse den Krempel ja kaufen, wenn nicht sie, dann eine andere.

In elf Bundesstaaten hat Ruth Beckermann für American Passages gedreht, Gewinner und Verlierer zu Wort kommen lassen und ihre Geschichten gegeneinander abgewogen – eine unvoreingenommene Spurensuche, die schließlich mehr und mehr zu einem Sittenbild der USA der Gegenwart gerät.

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