Die Arbeitslosigkeit in Frankreich hat den höchsten Stand seit zwölf Jahren erreicht. Die Zahl der Erwerbslosen stieg im letzten Quartal 2011 auf 2,86 Millionen = 9,8% einschließlich der Überseeterritorien (bei Präsident Sarkozys Amtsantritt vor fünf Jahren lag sie noch bei 7,8%). Ohne die einstigen Kolonien liegt sie bei 9,4%.
Besonders alarmierend ist die Jugendarbeitslosigkeit von 25%. Deshalb predigt der derzeit um seine Wiederwahl kämpfende Nicolas Sarkozy seit Monaten «das deutsche Modell». Das aber bedeutet so viel wie Produktivitätssteigerung durch Lohnverzicht, Rationalisierungen und Produktionsverlagerungen ins Ausland.
Im kleinen Ort Yssingeaux in der Auvergne kämpften mutig und beispielhaft im letzten Winter die Arbeiterinnen der Unterwäschefabrik «Lejaby» gegen die von «oben» beschlossen Produktionsverlagerung und die damit verbundene Stilllegung «ihres» Betriebs. Sie waren verzweifelt, außer ihnen hätten nicht mehr viele auch nur einen Cent auf ihre Zukunft gewettet. Doch nun kehrt mit dem Frühling auch die Hoffnung in das 7000 Seelen-Nest zurück. Es geht weiter, die taffen Französinnen können weiter arbeiten – bei einem anderen «Patron» zwar, aber weiterhin in ihrem Dorf.
Nicht sofort, erst müssen sie an einer neunmonatigen Umschulung teilnehmen. Doch das stecken sie weg «wie eine Schwangerschaft», flachst eine der Kolleginnen mit hoch erhobenem Kopf, «das ist unser Sieg». Ja, «les Lejabys» wie sich die neunzig Frauen und drei Männer selber auch weiterhin nennen, kämpften geschlossen zusammen und setzten ihr Recht auf Arbeit durch. Und so flattern die roten Fahnen der Gewerkschaft CGT völlig berechtigt im frischen Wind. Die von den Näherinnen während ihres Kampfes gefertigten Transparente «Non à la délocalisation» (Nein zur Produktionsverlagerung) wurden auch noch nicht gleich abgehängt.
Das Aus für die Fabrik kam nicht überraschend, es zeichnete sich schon lange ab. Seit 1996 kam es immer wieder zu Besitzerwechseln und «Sanierungen». In Frankreich wurde vom Konzern ein Werk nach dem anderen geschlossen, die Produktion zu 93% nach Marokko, Tunesien und China verlagert. Am 27.Oktober 2011 meldete Lejaby Konkurs an, am 22.Dezember wurde die Liquidierung gerichtlich angeordnet, das Ende der Produktion der 1930 in Frankreich gegründeten BH-Firma war gekommen.
Soll das alles gewesen sein?, fragten sich die Näherinnen, als das Handelsgericht einen Käufer fand, der nur den Verkauf, nicht auch die Produktion in Frankreich weiter betreiben wollte? Die Näherinnen beschlossen, massiven Widerstand gegen diesen nur scheinbar unabwendbaren Schicksalsschlag aufzunehmen. Keine der «copines» (Freundinnen) wollte da abseits stehen, wenn es darum ging zu verhindern, dass da irgendwelche Herren die Rechnung ohne sie machen wollten. Spektakulär besetzten sie am 21.Januar 2012 ihre Fabrik, informierten Presse, Rundfunk, Fernsehen und organisierten mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft, der CGT, mehrere beindruckende Demonstrationen.
Wäre nicht gerade Präsidentschaftswahlkampf gewesen ... Aber so versprach Staatspräsident Sarkozy unter dem Druck der Medien und der Emotionen, er werde eine Lösung finden. Flugs kreuzte dann von der Opposition noch der Globalisierungskritiker und PS-Abgeordnete Arnaud Montebourg mit einer ehemaligen Managerin der französischen Wäschemarke «Princesse tam-tam» samt einem konkreten Übernahmeplan in der Fabrik auf. Sarkozy kam mächtig unter Zugzwang und so sprang ihm Laurent Wauquiez, seines Zeichens Hochschulminister der Regierung und Bürgermeister im Nachbarort Puy-en-Velais, zur Seite und besorgte seinem Regierungschef unerwartet einen Unternehmer aus der Region, der Lederwaren für den Luxusgüterkonzern LVMH verarbeiten lässt. Bei dem Unternehmer handelt es sich um Bernard Arnault, dem Vorstandsvorsitzenden von LVMH, der – welch ein schöner Zufall – ein ehemaliger Trauzeuge von Sarkozy ist und daher dem befreundeten Präsidenten gern einen Gefallen tut, zumal damit auch noch ordentlich Profit zu machen ist.
Fürs erste scheinen nun die früheren Lejaby-Arbeiterinnen gewonnen zu haben – sichere Arbeitsplätze gibt es im Kapitalismus bekanntermaßen nicht. Mit Ausnahme von zehn Kolleginnen, die in Rente gehen, werden alle vom neuen Fabrikherrn weiterbeschäftigt. Die Frauen haben zwar ihre frühere Dienstalterszulage verloren, aber für die Entlassung durch Lejaby erhielten die Näherinnen eine Abfindung, die bis zu 30000 Euro pro Arbeiterin beträgt.
Bis letztes Jahr vernähten sie, zum Teil schon Jahrzehnte lang, Seide und Spitzen. In Zukunft werden sie Lederwaren und Taschen herstellen. Sarkozy kam zu Besuch, um sich vor laufenden Kameras als Arbeitsplatzretter und «Macher» feiern zu lassen. Auf die Frage an die Frauen, ob sie denn nun aus Dankbarkeit dem Präsidenten ihre Stimme geben würden, kam als Antwort ein einhelliges «Non, Monsieur le Président!». Ihr Kampf, sagte eine CGT-Gewerkschafterin stolz in die Kameras, hätte doch bewiesen, dass die Menschen den Lauf der Geschichte allein ändern könnten.
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