Wahlergebnisse der Parlamentswahlen in Griechenland am 6.Mai,
Artikel und Kommentare
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Summe Linke no Austerity: 30%
Summe Troika: 32%
Summe extr. Rechte: 17,5%
2012 Stimmen | 2012 Prozent | 2012 Sitze | 2009 Stimmen | 2009 Prozent | 2009 Sitze | |
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PASOK | 832722 | 13,18% | 41 | 3011521 | 43,92% | 160 |
ND | 1190974 | 18,85% | 91 | 2295318 | 33,48% | 108 |
KKE | 535635 | _8,48% | 26 | 517062 | _7,54% | 21 |
SYRIZA | 1060301 | 16,78% | 52 | 315501 | _4,60% | 13 |
DIMAR | 385741 | _6,10% | 19 | --- | --- | --- |
Grüne | --- | --- | --- | 385741 | _6,10% | 19 |
UG | 669992 | 10,60% | 33 | --- | --- | --- |
GM (2012) LAOS (2009) | 440529 | _6,97% | 21 | 386063 | _5,63 | 15 |
Summen (nur die Parlamentsparteien):
Summe extr. Rechte: 17,5
Summe Troika: 32
Summe Linke no Austerity: 30%
2012: Registered 9.941.269 | Voted 6.471.110 | Abstention 34,91% I Valid 97,64% | Blank 0,55% | Invalid 1,81%
Wahlergebnisse 2009/2012:
ABGEGEBENE UND GÜLTIGE STIMMEN
2012: 6.324.104
2009: 6.858.421
2007: 7.159.006
2004: 7.406.619
Griechenland – Es geht um viel
von Michael Prütz
Um es vorweg zu sagen: Es geht in Griechenland in den nächsten vier bis sechs Wochen nicht um das Ende des Kapitalismus und auch nicht um die sozialistische Revolution. Es geht um die Frage, ob es zur Bildung einer linken Regierung kommt, die mit der Art und Weise der aktuellen Politik des Kapitals und seiner Institutionen bricht. Die Frage nach der sozialistischen Revolution, nach dem Ende des Kapitalismus mag sich in den nächsten Monaten stellen – keiner kann das beurteilen – aber, wie gesagt, es geht jetzt um die nächsten vier bis sechs Wochen.
Das Wahlergebnis vom 6. Mai hat einen sehr deutlichen Aufschwung der Kräfte links der Sozialdemokratie gebracht. Die Parteien, die sich auf die Politik der Troika und der Europäischen Union beziehen, d.h., die Parteien, die die desaströse Sparpolitik in Griechenland durchgesetzt haben, sind von 77% der Wählerstimmen auf 32% gefallen. 32% der Wähler stimmten für Parteien links der Sozialdemokratie. Auch Parteien wie die Faschisten und die "Unabhängigen Griechen", die man natürlich nicht zur Linken rechnen kann, lehnen die Sparpolitik der Troika und der europäischen Union von Grund auf ab. In keinem Land Europas hat es seit 1945 eine derartige Linksverschiebung gegeben. Die 32% der Stimmen für Parteien links der Sozialdemokratie verteilen sich auf vier Blöcke:
1. Syriza. Syriza ist in etwa vergleichbar mit der Linkspartei in Deutschland, steht aber einen Hauch linker und hat sich an allen sozialen Mobilisierungen der letzten Jahre aktiv beteiligt.
2. Die Kommunistische Partei Griechenlands KKE. Die KKE ist eine dogmatische, alt-stalinistische Partei, die aber in Teilen der traditionellen Arbeiterklasse über großen Einfluss verfügt (Hafenarbeiter, Bauarbeiter, Industrie).
3. Die demokratische Linke, die Dimar. Die Dimar ist in etwa vergleichbar mit dem Forum Demokratischer Sozialismus der Linkspartei in Deutschland und hat sich von Syriza abgespalten.
4. Antarsya. Antarsya ist das Bündnis verschiedener linksradikaler Organisationen, die am klarsten und deutlichsten auf einen revolutionären Bruch hin orientieren.
Das Wahlergebnis in Griechenland hat panische Reaktionen bei den Regierungen der EU, der Troika und dem IWF hervorgerufen. Im Viertelstundentakt äußern sich die Staatschefs und die Vertreter des Kapitals und ermahnen die „Griechen“, ja nicht von der vereinbarten Sparpolitik abzurücken. Die Hetze in der bürgerlichen Presse nimmt ungeheuerliche Formen an, so schreibt z.b. die Bildzeitung: „Syriza will uns unsere Milliarden nicht zurückgeben.“ Aber wie sie es auch drehen und wenden, ihre willfährigen Helferlein in Athen, die Pasok und Nea Demokratia, haben keine Mehrheit mehr.
Neueste Umfragen nach den Wahlen vom 6. Mai prophezeien, dass die Linksparteien noch stärker werden und Syriza die stärkste Partei überhaupt wird. Durch das griechische Wahlrecht würde Syriza dann als stärkste Partei fünfzig Extrasitze bekommen und wäre mit 128 von 300 Parlamentssitzen kurz vor der absoluten Mehrheit.
Aufgrund dieser Situation hat Syriza vorgeschlagen, eine gemeinsame Regierung aller linken Kräfte zu bilden. Traditionell gesagt schlägt Syriza die Bildung einer Arbeiterregierung vor. Diese solle auf der Grundlage eines 5-Punkte-Plans arbeiten. Dieser 5-Punkte-Plan beinhaltet unter anderem Folgendes: Den Verbleib Griechenlands in der Eurozone, die Kündigung aller Sparverträge mit der EU, der Troika und der EZB, die staatliche Kontrolle über alle Banken, die Rücknahme aller Lohnkürzungen und Einschränkungen des Tarifrechts. Offensichtlich entspricht dies, und das zeigt die Dynamik der Wahlumfragen, dem Wunsch von über 70% der Griechinnen und Griechen.
Ich will es klar und deutlich sagen: Eine solche Regierung wäre keine Revolution und kein Sozialismus, aber sie wäre der Bruch mit der herrschenden Logik der Sparpolitik in ganz Europa. Diese potenzielle Regierung wäre ein schwerer Schlag für das Kapital und ihre Regierungen. Sie würde den antikapitalistischen Kräften in ganz Europa, den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, die bisher vergeblich gegen die Sparpolitik angerannt sind, Auftrieb und Zuversicht verleihen. Diese Regierung ist aus meiner Sicht das Gebot der Stunde.
Es wäre vernünftig, wenn sich zu den wahrscheinlich in den nächsten 4 Wochen kommenden Wahlen, und nur zu diesen, alle Kräfte der Linken, sowohl die antikapitalistisch-revolutionären, als auch die reformistischen, hinter Syriza versammeln würden. Natürlich würde dies nicht die Aufgabe der eigenen Identität bedeuten, Kräfte wie Antarsya müssen weiter für den grundlegenden Bruch mit dem Kapitalismus agitieren. Aber es besteht die Chance, im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, im Interesse der Mehrheit der Lohnabhängigen, einen Bruch mit der herrschenden Logik herbeizuführen.
Am problematischsten ist die Haltung der Kommunistischen Partei Griechenlands, der KKE. Die KKE hat bei den letzten Wahlen wenig dazu gewonnen (1%) und verweigert sich jedem Linksbündnis. Ganz davon abgesehen, dass die KKE ein Gesellschaftsbild hat, das ungefähr dem Bild einer DDR 2.0 entspräche, übt sie sich sich in einem ungeheuerlichen Sektierertum. Die KKE vertritt die These „Eine schwache Regierung bedeutet ein starkes Volk“ und propagiert ansonsten den Sozialismus in einer fernen Zukunft. Kein Wort, mit welchen Mitteln und Methoden man gedenkt, zu dieser sozialistischen Gesellschaft zu kommen. Die KKE verhält sich wie eine riesige Sekte, die grundsätzlich nur Bündnisse mit sogenannten „Front-Organisationen“ macht, die von ihr kontrolliert werden.
Die derzeitige Situation ist vergleichbar mit der Situation der Weimarer Republik Anfang der 30er Jahre. Zusammengefasst war die Haltung der Kommunistischen Partei Deutschlands damals: Keine Einheitsfront mit der SPD, soll doch dieser Hitler an die Macht kommen, danach kommen wir. Das heißt, die Politik der KKE ist eine einzige aufgeblasene Schaumschlägerei, die keinen einzigen Zwischenschritt für die Massenbewegung in Griechenland aufzeigt, nichts darüber verlauten lässt, was hier und jetzt zu passieren hätte.
Revolutionäre Politik ist eben nicht nur eine Frage von Überzeugungen und Haltungen, sondern sie muss auch deutlich aufzeigen, was konkret zu einem bestimmten Zeitpunkt passieren kann und passieren soll. Der Aufstieg der faschistischen Partei in Griechenland, die 7% der Stimmen erhalten hat, ist ein deutliches Indiz dafür, dass Politik wie kommunizierende Röhren funktioniert: Versagen die einen, kommen die anderen. Die griechische Linke hat den Schlüssel zur Zukunft der griechischen und europäischen Arbeiterbewegung in der Hand. Selten genug, dass man diesen Schlüssel in die Hand bekommt. Schließt sie die Tür jetzt nicht auf, wird sie morgen in einem autoritären, halb-faschistischen Griechenland wieder aufwachen. Die Einheitsfront aller griechischen Linksparteien gegen den Neoliberalismus und gegen den Aufstieg der Faschisten ist das absolute Gebot der Stunde.
Michael Prütz, 12.5.2012
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