Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2012
Palästinenser distanzieren sich von antijüdischer Palästina-«Solidarität»
von Sophia Deeg

Einem in weiten Kreisen der palästinensischen und internationalen Bewegung für die Rechte der Palästinenser wegen seiner dubiosen Verschwörungstheorien unerwünschten «Mitstreiter», Gilad Atzmon, bietet die «Palästina-Solidaritätsbewegung» – anscheinend immer noch eher eine «Israel-Empörungsbewegung» – hierzulande eine Bühne. Sein unerwünschtes Grußwort auf der Stuttgarter Palästina-Konferenz 2010 wirkt bis heute nach. Es mussten erst Palästinenser kommen, um deutlich zu machen, dass eine kulturalistisch antijüdische Ideologie mit ihrer Bewegung unvereinbar ist.

Dabei ist der Fall sehr einfach, das zeigen wenige Sätze aus dem «solidarischen Grußwort» des Überraschungsgasts in Stuttgart:

«Wir neigen dazu zu vergessen, dass das Wort ‹universell› der jüdischen Kultur sehr fremd ist. Die jüdische Kultur ist tribal orientiert. Wir neigen immer wieder dazu, die eindeutige Tatsache zu vergessen, dass Frieden in der Form der Versöhnung, des Liebe deinen Nächsten ... der jüdischen Kultur zutiefst fremd ist ... Es ist keine schlechte Idee, mit ihnen in Frieden zusammenzuleben, aber dieser Planet ist vermutlich nicht der richtige Platz dafür ... weil dieser Kultur die Vorstellung, seinen Nachbarn zu lieben, fremd ist.»

Das konnte der Gast vor gebildeten, zum Teil sich als links verstehenden Deutschen, von denen sich viele über islamophobe Tendenzen in diesem Land empören und sicher keiner sich als Antisemit sieht, unwidersprochen äußern? Auf einer politischen Konferenz, bei der die allzu deutsche Israel-Empörungs-Bewegung erstmals mit den aus der palästinensischen Zivilgesellschaft hervorgegangenen, basisdemokratischen Widerstandsbewegungen für die Rechte der Palästinenser in Berührung kam?

Dem Gerede des Gastes wurde widersprochen, denn zum Glück für das deutsche Publikum stellten die anwesenden palästinensische Aktivisten und Theoretiker klar, dass im gemeinsamen Kampf für ein ebenbürtiges Zusammenleben von Palästinensern und Israelis krude Anschauungen wie die von Gilad Atzmon fehl am Platz sind.

Im Übrigen ist man der locker assoziativ gestrickten Rede von mal «jüdisch», mal «zionistisch», als wären es Synomyme, nun wirklich überdrüssig, da sie einem von der israelischen Propaganda und dem ihr devot folgenden deutschen Mainstream non-stop serviert wird.

Als die haarsträubenden Sätze auf der Stuttgarter Konferenz fielen, reagierte das Publikum kaum. Doch im privaten Gespräch äußerten manche deutsche und auch eine französische Teilnehmerin ihr Befremden. Manche waren zu überrascht, um gleich reagieren zu können. Die Vorstellung, Krieg und Wirtschaftskrise habe nichts mit gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und alles mit den ewigen kulturellen oder ideologischen Zügen einer Menschengruppe zu tun, schien einfach zu bizarr. Man war schließlich nicht auf einer NPD-Versammlung oder einer Lesung mit Herrn Sarrazin...

Unbelehrbar

Es gab und gibt aber auch einige, die jetzt erst recht Gilad Atzmon, dem israelisch-britischen Jazzer und selbsternannten Kämpfer für die palästinensische Sache, in Deutschland eine Bühne bieten, denn er spricht ihnen offenbar aus der Seele. Seinen Adepten geht es nach eigenem Bekunden um die Redefreiheit, die sie mit heroischem Gestus verteidigen, obwohl niemand sie ihrem Idol abgesprochen hat, auch nicht seine palästinensischen Kritikern. Diese nahmen sich lediglich die Freiheit, ihren Standpunkt zu begründen, dass antijüdische Ideen in der palästinensischen und internationalen Bewegung für gleiche Rechte nichts zu suchen haben.

Weder Atzmon selber, noch seine deutschen Anhänger sind jemals auf diese Argumente eingegangen. Er setzte vielmehr noch einen drauf und schrieb unter dem Titel «Die Wahrheit über Stuttgart» auf seiner Webseite, nur ein paar Juden (!) und eine Marxistin (Marxisten sind Atzmon fast genauso verhasst wie antizionistische Juden) hätten sich kritisch geäußert.

Atzmon spricht weiterhin, z.B. in den USA, wo er derzeit sein neuestes Buch vorstellt, unbeirrt von «unserer Bewegung» und bleibt bei seinen kulturalistischen Thesen, obwohl seine Äußerungen in der Solidaritätsbewegung in Großbritannien, den USA, Frankreich, vor allem aber in Palästina und unter Palästinensern auf präzise begründete Ablehnung stoßen. Linke wie Moshé Machover, Mitbegründer von Matzpen, werden von Atzmon wüst beschimpft, sobald sie ihn kritisieren. Intellektuelle wie Brian Klug, die zu den Themen  Antisemitismus, Islamophobie und Nahost forschen und publizieren, würden sich nicht mit Atzmon an einen Diskussionstisch setzen. Auch der Holocaust-Überlebende Hajo Meyer, der zunächst dazu bereit war, lehnte ab, nachdem er Äußerungen von Atzmon gelesen hatte, die nichts weniger als eine höhnische Leugnung dessen darstellen, was Meyer selber erlebt und erlitten hat.

Ein Kontrapunkt

Am 13.März 2012 verfassten Ali Abuniemah (Gründer von http://electronicintifada.net) und Haidar Eid (Mitglied der PACBI-Kampagne, www.pacbi.org), die Atzmon schon in Stuttgart Paroli geboten hatten, gemeinsam mit palästinensischen Intellektuellen und Aktivisten eine Erklärung. Binnen weniger Stunden kursierte sie weltweit in Aktivenkreisen und fand allgemeinen Anklang. Sie wendet sich vor allem gegen die Arroganz und die kolonialistische Haltung, mit der Atzmon es «sich seit vielen Jahren zur Aufgabe (macht), für die palästinensische Bewegung zu definieren, welcher Art ihr Kampf und die ihn begründende Philosophie sei».

Möglicherweise reagiert die deutsche «Palästina-Solidaritätsbewegung» so gleichmütig (und mitunter sogar begeistert) auf Atzmons Äußerungen und ignoriert die Distanzierung der Palästinenser, weil die politische Kultur eines Diskurses und von Aktivitäten gemeinsam und auf Augenhöhe mit den Besetzten, Ausgebeuteten und Unterdrückten hierzulande noch kaum angekommen ist.

Atzmon «vertritt» die palästinensische Sache völlig ungebeten. Seine intellektuelle Unlauterkeit und Verworrenheit fallen offenbar nicht auf, sein Begriff der Solidarität ist herablassend kolonialistisch und impliziert: Wir wissen besser, was für sie gut ist.

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