von Dirk Seifert und Jan Rübke
In Hamburg geht die Initiative «Unser Hamburg – unser Netz» in den Volksentscheid. Dieser wird parallel zur nächsten Bundestagswahl stattfinden, voraussichtlich im September 2013. Ziel ist es, die Energienetze für Strom, Fernwärme und Gas vollständig zu rekommunalisieren. Die SPD-dominierte Hamburger Bürgerschaft hat am 18.4.2012 in erster Lesung eine Minderheitsbeteiligung von 25,1% beschlossen. Sie will die Netze auch künftig mit Vattenfall und E.on betreiben.
Neben mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz geht es bei der Rekommunalisierung auch um die Beschäftigten bzw. die Arbeitsplätze der betroffenen Unternehmen. In einer inzwischen von 30 Organisationen unterschriebenen Resolution der Initiative heißt es: «Die bei Vattenfall und E.on Hanse Beschäftigten sind bei der Rekommunalisierung zu den gültigen Tarifbedingungen und bei Erhalt aller Arbeitsplätze zu übernehmen.»
Deren Vertretungen, die Betriebsräte, haben sich mehrfach öffentlich gegen die vollständige Rekommunalisierung gestellt, ebenso die Vertrauensleute der IG Metall (Vattenfall: Strom und Fernwärme) und von Ver.di (E.on Hanse: Gas).
Die IG Metall Hamburg äußert sich öffentlich nicht zur Rekommunalisierung. In der Taz-nord vom 13.6.2011 wird die 2.Bevollmächtige der IG Metall, Ina Morgenroth, so zitiert: «Morgenroth jedoch kritisiert, dass die Initiative sich nicht um das Schicksal der Beschäftigten kümmert. Bei einer Übernahme seien ‹viele Regelungen unklar, das sorge für Existenzängste›.»
Wolfgang Rose, Hamburgs Ver.di-Chef, wird wie folgt zitiert: «Im Grundsatz habe die Gewerkschaft ‹eine positive Haltung› zur Re-Kommunalisierung der Netze ... Er selbst habe die Listen an alle Ver.di.-Fachbereiche verteilen lassen: ‹Aber von den Beschäftigten kann ich doch nicht verlangen, dass sie das blanko unterschreiben.›» Damit ist vor allem der Ver.di-Fachbereich 2 (Ver- und Entsorgung) gemeint, der sich gegen die Volksinitiative ausspricht. Andere Ver.di-Fachbereiche sympathisieren offen mit dem Bündnis.
Strukturprobleme und Arbeitsplatzabbau
Dass die Gewerkschaften sich öffentlich mit klaren Positionen zurückhalten, liegt zum einen sicherlich an der großen Nähe zur regierenden SPD. Es dürfte aber auch daran liegen, dass die Hamburger Gewerkschaften von der Energiewende und den Auseinandersetzungen um die Rekommunalisierung einigermaßen überrascht wurden. Ihre Debatten und ihr Verhalten sind in den letzten Jahren stark mit der eigenen Existenzsicherung verbunden: schwindende Mitgliederzahlen, eigener Personal- und damit auch Kompetenzabbau.
Vor diesem Hintergrund stehen Gewerkschaften häufig eher in Konkurrenz zu einander, anstatt gemeinsame Perspektiven zu suchen. Eine dezentrale Energiewende mit Bürgerbeteiligung und gesellschaftlicher Debatte scheint die Hamburger Gewerkschaften bisher zu überfordern. Vor allem die IG Metall Hamburg schweigt.
Dabei brennt es in beiden Energieunternehmen. Die Beschäftigten stehen seit vielen Jahren unter enormem Druck. Tausende von Arbeitsplätzen wurden bereits abgebaut – ganz ohne Energiewende und Volksinitiative. Bereits 2010 – also vor der Atomkatastrophe von Fukushima – hatte der Vorstand von Vattenfall angekündigt, bis 2018 rund 1600 Stellen abbauen zu wollen, 180 Millionen Euro sollten eingespart werden.
Mitte November 2011 setzte Vattenfall den Kolleginnen und Kollegen des Kundenservice das Messer auf die Brust: 900 von ihnen sollten drastische Gehaltssenkungen hinnehmen, oder sie würden verkauft. Im Januar einigten sich Betriebsrat und Vattenfall, dass der Kundenservice im Unternehmen bleibt, aber 300 Stellen in den nächsten Jahren sozialverträglich abgebaut werden. Das dürfte erst der Auftakt für noch gravierendere Maßnahmen bei Vattenfall sein.
Inzwischen wird in Vorstandskreisen von Einsparungen in Höhe von 600 Millionen Euro gesprochen. Zu vermuten ist, dass dies durch weiteren Arbeitsplatzabbau und noch mehr Arbeitsverdichtung erreicht werden soll. Der Druck wird deutlich zunehmen.
Die strukturellen Probleme bei Vattenfall sind erheblich: Der schwedische Staatskonzern musste sein Expansionsstrategie, in allen Ostseeanrainerstaaten zu agieren, inzwischen kleinlaut eindampfen. Aus Finnland, Polen und Dänemark hat sich Vattenfall zurückgezogen oder wird dies demnächst tun. Auch die extrem schlechte CO2-Bilanz in der Stromerzeugung macht dem Konzern schwer zu schaffen: Die geplante Fernwärmeauskopplung über eine sog. Moorburgtrasse ist nach den Verhandlungen mit dem Senat inzwischen so gut wie vom Tisch. Ohne Fernwärmeauskopplung dürften jedoch die Stromerzeugungskosten für Moorburg weiter steigen.
Funkstille bei IG Metall, Debatte bei Ver.di
Völlig unabhängig vom anstehenden Volksentscheid zur vollständigen Rekommunalisierung der Energienetze findet also ein erheblicher energiewirtschaftlicher Umbau statt, der vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Angesichts der gravierenden Probleme ist es völlig unverständlich, wie abwesend die IG Metall Hamburg in der gesellschaftlichen Debatte über die Rekommunalisierung der Energienetze ist.
Es müsste im ureigensten Interesse von IG Metall, Ver.di und DGB liegen – gerade zum Schutz der Beschäftigten – eigene Konzepte zu entwickeln, die Chancen, die eine Rekommunalisierung bei der beginnenden Energiewende bietet, auszuloten, Perspektiven und Vorschläge zu entwickeln. Damit könnte zudem das organisationspolitisch wichtige Organizingprojekt der IG Metall in der Windenergiebranche wirksam unterstützt werden.
Nachdem «Unser Hamburg – Unser Netz» den Volksentscheid erfolgreich und überzeugend gewonnen hat, hat sich die Debatte bei Ver.di verstärkt. Am 3.4. beschloss der Landesbezirksvorstand, bis Mitte Juni verschiedene Diskussionsveranstaltungen durchzuführen: über Rekommunalisierung als Grundstrategie von Ver.di für eine demokratische Dienstleistungspolitik; über den gewerkschaftlichen Beitrag zu einer sozialökologischen Wende in der Energiepolitik; über die betriebspolitische Interessenlage und die gewerkschaftlichen Erfahrungen zur Beschäftigungssicherung in Umbruchsituationen; über gewerkschaftliche Überlegungen zur Demokratisierung der Wirtschaft. Die Fachbereiche sind aufgefordert, über politische Unterstützung zu diskutieren, die Gewerkschaft will dadurch einen breiten Konsens erreichen.
Die Unterstützung einer Mehrheit der Fachbereiche für das Volksbegehren ist durchaus möglich. Ein Gutachten von Bontrop/Marquardt («Chancen und Risiken der Energiewende») zeigt Alternativen zum Marktversagen der Energiekonzerne auf.
Neue Räume besetzen
Ver.di organisiert neben E.on Hanse auch das zu Hamburg Wasser gehörende städtische Ökostromunternehmen Hamburg Energie. Bislang ist Hamburg Energie kein wirklicher Faktor. Mit knapp 50 Beschäftigten ist es vor allem mit dem Vertrieb von Ökostrom beschäftigt. Das ließe sich ändern: Ein städtisches Unternehmen, das vom Senat für die dezentrale (!) Energiewende aufgestellt und aufgebaut würde, könnte viele Räume neu besetzen – und damit auch Impulse für mehr Beschäftigung bieten. Gerade hier sind die Gewerkschaften gefordert, mit industriepolitischen Umbaukonzepten für mehr öffentliche Beschäftigung und für eine nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gerechte Energiewende in die Debatte einzusteigen.
Dem Druck des Volksbegehrens «Unser Hamburg – unser Netz» konnte sich die SPD nicht entziehen. Der SPD-Senat hat an der Bürgerschaft vorbei mit Vattenfall und E.on Hanse Verhandlungen geführt, sie will jetzt 25,1% der Netze übernehmen. Für die Energiewende kommt dabei wenig raus, denn das reicht nicht zum Gestalten. Aber wo sich die Stadt beteiligen wird, sollen künftig bessere Mitbestimmungsrechte für die Beschäftigten gelten. Diese Verbesserung ist vor allem der Initiative «Unser Hamburg – unser Netz» anzurechnen, ohne die es die Debatte nicht gegeben und die SPD sich nicht einmal für eine Teilkommunalisierung eingesetzt hätte. Wie sehr die Auseinandersetzung die SPD «nervt», zeigt sich auch bei der Moorburg-Fernwärmetrasse: Noch im Wahlkampf hatte die SPD sich massiv dafür ausgesprochen, in den Verhandlungen mit Vattenfall wurde sie nun gestrichen. Sie wird vermutlich vollständig entfallen.
«Unser Hamburg – Unser Netz» hat, ohne je an einem Verhandlungstisch gesessen zu haben, viel bewegt. Und es geht noch mehr: Die Entscheidungskompetenzen von Vattenfall und E.on müssen vollständig in die Stadt zurückgeholt werden. Die Energiewende muss endlich dezentral gedacht und angegangen werden. Dann ist die Rekommunalisierung eine große Chance – für Beschäftigte, für Bürger und Verbraucher.
Dirk Seifert ist Anti-AKW Aktivist, Jan Rübke Mitglied im Ver.di-Landesbezirks-Fachbereichsvorstand 4 Hamburg.
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