Berlin: Aufbau, 2012, 575 S., 12,99 Euro
von Udo Bonn
Vecchio ist der alte geheime Hintermann der politischen Geschäfte im Italien der 70er Jahre. Während sich im Roman Der Leopard von Giuseppe Tomasi di Lampedusa die Verhältnisse noch ändern müssen, damit alles so bleibt, wie es ist, reicht es hundert Jahre später aus, alles wie bei einer Jonglage in Bewegung zu halten, um den gesellschaftlichen Status quo abzusichern. In Vecchios Netz, in dem sich die Roten Brigaden wie auch die Mafia ahnungslos verfangen haben, gerät eine römische Straßenräuberbande, die hochhinauf kommen will: Dandi, Libanese und Freddo schließen sich zusammen. Um an Grundkapital zu kommen, organisieren sie eine tödlich endende Entführung und schalten die alten Platzhirsche im Drogenhandel der Hauptstadt aus. Jetzt geben sie den Ton im Rauschgiftgeschäft an, zielstrebig wird das Verprassen der Gewinne mit Prostituierten und Koks in Richtung Legalisierung der Geschäftstätigkeit betrieben. Ihnen gehören bald Bars, Restaurants, Bordelle und wertvolle Immobilien. Sie sind keine Unbekannten mehr, aber weder Kommissar Scialoja noch Richter Borgia können die immer größer werdende Bande zerschlagen, zu sehr ist aus ihr ein Netzwerk geworden, das für die Unterstützung rechtsextremer Attentate und für die Kompromittierung von Politikern und Juristen Rückendeckung von den Geheimdiensten erhält. Und auch die Mafia ist an ihnen interessiert, deren Statthalter gibt es in Rom zwar schon, aber um hier geschäftlich mit Nachdruck Fuß zu fassen, muss sie noch Bündnisse schließen und Gefälligkeiten erweisen. Nach einem rasanten Aufstieg der Magliana-Bande beginnt der Zersetzungsprozess: Rivalitäten, Neid, Drogensucht, Verfolgungsdruck durch die Behörden zerfressen Freundschaftsbande, führen zu Verrat und internen Abrechnungen. Fast zeitgleich mit ihrem Niedergang endet der Kampf der linken bewaffneten Organisationen, die alten politischen Kräfte der Christdemokraten und Kommunisten gehen geschwächt aus der Krise hervor und Vecchio bereitet seine Nachfolge vor. Giancarlo De Cataldos Romanzo Criminale, der vom Verlag fälschlicherweise – weil zu einengend – als Mafiathriller beworben wird, ist der erste Band einer Geschichte Italiens von den 70er Jahren bis heute, in der die Verknüpfung von Politik und Verbrechen in ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Etappen und Dynamiken analysiert wird. In der Anlage mit Ellroys dreiteiligem Underworld USA vergleichbar, wirkt Romanzo Criminale trotz häufiger bloßer Andeutungen näher an der Realität, ohne damit die schriftstellerische Freiheit aufgeben zu müssen. Dies hängt wohl nicht zuletzt damit zusammen, dass Cataldo als Richter die Möglichkeit hatte, Gerichtsakten der Magliana-Bande zu studieren und ehemalige Bandenmitglieder zu interviewen.
von Udo Bonn
Vecchio ist der alte geheime Hintermann der politischen Geschäfte im Italien der 70er Jahre. Während sich im Roman Der Leopard von Giuseppe Tomasi di Lampedusa die Verhältnisse noch ändern müssen, damit alles so bleibt, wie es ist, reicht es hundert Jahre später aus, alles wie bei einer Jonglage in Bewegung zu halten, um den gesellschaftlichen Status quo abzusichern. In Vecchios Netz, in dem sich die Roten Brigaden wie auch die Mafia ahnungslos verfangen haben, gerät eine römische Straßenräuberbande, die hochhinauf kommen will: Dandi, Libanese und Freddo schließen sich zusammen. Um an Grundkapital zu kommen, organisieren sie eine tödlich endende Entführung und schalten die alten Platzhirsche im Drogenhandel der Hauptstadt aus. Jetzt geben sie den Ton im Rauschgiftgeschäft an, zielstrebig wird das Verprassen der Gewinne mit Prostituierten und Koks in Richtung Legalisierung der Geschäftstätigkeit betrieben. Ihnen gehören bald Bars, Restaurants, Bordelle und wertvolle Immobilien. Sie sind keine Unbekannten mehr, aber weder Kommissar Scialoja noch Richter Borgia können die immer größer werdende Bande zerschlagen, zu sehr ist aus ihr ein Netzwerk geworden, das für die Unterstützung rechtsextremer Attentate und für die Kompromittierung von Politikern und Juristen Rückendeckung von den Geheimdiensten erhält. Und auch die Mafia ist an ihnen interessiert, deren Statthalter gibt es in Rom zwar schon, aber um hier geschäftlich mit Nachdruck Fuß zu fassen, muss sie noch Bündnisse schließen und Gefälligkeiten erweisen. Nach einem rasanten Aufstieg der Magliana-Bande beginnt der Zersetzungsprozess: Rivalitäten, Neid, Drogensucht, Verfolgungsdruck durch die Behörden zerfressen Freundschaftsbande, führen zu Verrat und internen Abrechnungen. Fast zeitgleich mit ihrem Niedergang endet der Kampf der linken bewaffneten Organisationen, die alten politischen Kräfte der Christdemokraten und Kommunisten gehen geschwächt aus der Krise hervor und Vecchio bereitet seine Nachfolge vor. Giancarlo De Cataldos Romanzo Criminale, der vom Verlag fälschlicherweise – weil zu einengend – als Mafiathriller beworben wird, ist der erste Band einer Geschichte Italiens von den 70er Jahren bis heute, in der die Verknüpfung von Politik und Verbrechen in ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Etappen und Dynamiken analysiert wird. In der Anlage mit Ellroys dreiteiligem Underworld USA vergleichbar, wirkt Romanzo Criminale trotz häufiger bloßer Andeutungen näher an der Realität, ohne damit die schriftstellerische Freiheit aufgeben zu müssen. Dies hängt wohl nicht zuletzt damit zusammen, dass Cataldo als Richter die Möglichkeit hatte, Gerichtsakten der Magliana-Bande zu studieren und ehemalige Bandenmitglieder zu interviewen.
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